Schäuble im NSU-Untersuchungsausschuss:Der Mann, der von fast nichts wusste

Schäuble im NSU-Untersuchungsausschuss

Wichtiger Besuch, wenig Aussagekraft: Wolfgang Schäuble vor dem NSU-Untersuchungsausschuss.

(Foto: dpa)

Es ist ein seltsam unnahbarer Auftritt des früheren Bundesinnenministers: Er habe darüber nachgedacht, was man hätte anders machen können bei den Ermittlungen zur Mordserie. Immerhin das berichtet Schäuble als Zeuge vor dem NSU-Untersuchungsausschuss. Aber eigene Fehler will er nicht erkennen.

Von Tanjev Schultz, Berlin

Einem Mann wie ihm kann so ein Untersuchungsausschuss ja wohl nichts anhaben. Seit 40 Jahren sitzt er im Bundestag, er war Minister in mehreren Regierungen, viele Reden hat er gehalten in dieser langen Zeit, viele Entscheidungen getroffen, und jetzt soll er sich hier für Details aus seiner Zeit als Innenminister rechtfertigen? So ist der Gestus, mit dem Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) am Freitag als Zeuge vor dem Ausschuss auftritt, der das Behördenversagen rund um die Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) aufklären soll.

In seinen einleitenden Bemerkungen verliert Schäuble kein Wort über die Opfer des NSU, auch nicht über Fehler der Behörden, und schon gar nicht über eigene. Stattdessen betont er, als Minister sei er allenfalls "sehr marginal" befasst gewesen mit der Mordserie, die mittlerweile dem NSU zugeschrieben wird: "Ich habe mich nie als oberster Polizist des Landes verstanden." Die Polizei sei überwiegend Sache der Länder, und als Minister sei man gut beraten, sich nicht in Ermittlungen einzumischen.

Schäuble war von 2005 bis 2009 Bundesinnenminister; 2006 drang das Bundeskriminalamt (BKA) nach dem neunten Mord in der Serie darauf, die Ermittlungen übernehmen zu dürfen, weil die dezentrale Organisation zu Reibungsverlusten geführt hatte.

Nach dem BKA-Gesetz hätte Schäuble damals die Möglichkeit gehabt, den Fall ans BKA zu übertragen. Er machte davon aber keinen Gebrauch. Die Länder, vor allem Bayern, sträubten sich dagegen, und am Freitag kann sich Schäuble vor dem Ausschuss nicht einmal daran erinnern, dass ihm die Frage überhaupt zur Entscheidung vorgelegt worden wäre.

Das Thema wurde damals bei einer Konferenz der Innenminister nur am Rande und auf Ebene der Abteilungsleiter abgehandelt. Das Augenmerk Schäubles richtete sich seinerzeit vor allem auf die Fußball-WM im eigenen Land und den Schutz vor islamistischen Terroristen. Ihm sei auch nicht in Erinnerung, dass Beschwerden über eine schlechte Zusammenarbeit der Ermittler an ihn herangetragen worden wären, sagt Schäuble.

Als der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) ihn in der ihm eigenen, recht scharfen Art befragt, weist Schäuble das in einem genervt-väterlichen Ton zurück: "Herr Vorsitzender, bei allem Respekt . . ." Trotz vorrückenden Alters sei sein Gedächtnis nicht völlig außer Kraft gesetzt, sagt der 70-Jährige und wehrt sich gegen Unterstellungen und eine angeblich verzerrte Wiedergabe seiner Aussagen.

"Die haben gestritten bis zum Schluss"

So geht es eine Weile hin und her, und die Frage, warum der Staat die rechten Terroristen so lange Zeit nicht erkannt und entdeckt hat, gerät schon fast in den Hintergrund. Einen Fehler will Schäuble auch darin nicht erkennen, dass er 2006 die Abteilungen für Links- und Rechtsextremismus beim Verfassungsschutz fusionieren ließ - mit der Folge, dass für die Beobachtung von Rechtsextremisten weniger Beamte zur Verfügung standen. Er habe als Innenminister die Vor- und Nachteile sorgfältig abgewogen, und er "halte die Entscheidung auch im Nachhinein noch für richtig", sagt Schäuble.

Dann darf der CDU-Abgeordnete Clemens Binninger seinen Parteifreund befragen. Wie stets ist sein Beitrag sehr höflich, aber in der Sache handelt es sich doch beinahe um eine kleine Belehrung des Ministers. Binninger erinnert Schäuble daran, dass die Organisation der Ermittlungen bei der Mordserie alles andere als optimal war: "Die haben gestritten bis zum Schluss." Selbst wenn nicht das BKA den Fall hätte übernehmen müssen, sagt Binninger, so wäre es doch gut gewesen, die Ermittlungen bei einer Behörde zu konzentrieren. Stattdessen waren fünf verschiedene Staatsanwaltschaften beteiligt. Schäuble widerspricht nicht. Und er äußert den Wunsch, dass sich die Zusammenarbeit der Behörden generell, auch zwischen Bund und Ländern, verbessern möge.

Für die SPD will die Abgeordnete Eva Högl wissen, ob Schäuble sich nach Auffliegen des NSU mal gefragt habe, ob er sich selbst Fehler vorwerfen müsse? "Man denkt schon darüber nach, was hätte man anders machen können", antwortet er. "Mein Verständnis vom Menschen ist allgemein, dass Menschen immer Fehler machen." Ein konkretes Beispiel dafür, was er nun selbst falsch gemacht haben könnte, liefert der Minister dann allerdings nicht. Schäuble räumt lediglich ein, sich wie alle anderen über die wahren Hintergründe der Mordserie geirrt zu haben. Und er fügt hinzu: Es sei "angemessen und notwendig" gewesen, dass sich die Bundeskanzlerin als Vertreterin des Staates bei den Angehörigen der Opfer entschuldigt hat.

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