Ehegattensplitting für Homosexuelle:Das Gericht als Schutzmacht

Niemand hat mehr für Minderheiten in Deutschland getan als das Verfassungsgericht. Das Urteil zum Ehegattensplitting für eingetragene Lebenspartnerschaften ist ein neuer Höhepunkt: Karlsruhe ist Pfadfinder für die Politik, es prägt den Zeitgeist und stärkt die Akzeptanz von Homosexualität in der Gesellschaft. Zwischen Ehe und Homo-Ehe besteht nun kaum ein Unterschied mehr.

Ein Kommentar von Heribert Prantl

Homo-Ehe: In Frankreich fliegen Steine; in Deutschland fallen Urteile - nicht gegen, sondern für die Homosexuellen. Urteil für Urteil stärkt das Bundesverfassungsgericht die Rechte von Schwulen und Lesben; Urteil für Urteil gleicht das Gericht die sogenannte Homo-Ehe der Ehe an; Urteil für Urteil erklären die Karlsruher Richter dem Gesetzgeber, dass auch gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften Verantwortungsgemeinschaften sind; Urteil für Urteil konstatieren die Richter, dass es eine Ungleichbehandlung von Homo-Ehe und Ehe aufgrund der sexuellen Orientierung nicht geben darf.

Und Urteil für Urteil gehen die Richter dem Gesetzgeber voraus. Sie trauen sich das, was sich der Gesetzgeber noch nicht traut. Das Bundesverfassungsgericht ist Pfadfinder für die Politik, es prägt den Zeitgeist, es stärkt die Akzeptanz von Homosexualität in der Gesellschaft.

Das ist ungewöhnlich, aber richtig, ja geboten. Normalerweise hinkt ja die Justiz, auch die Verfassungsjustiz, dem Zeitgeist hinterher. In Juristenkreisen galt es lange als geradezu schick, den Zeitgeist zu verteufeln und einander aufzufordern, gegen den Zeitgeist zu schwimmen.

Man setzte dabei den Zeitgeist gleich mit kurzfristigen Moden und Trends - und übersah zumeist, dass Zeitgeist etwas anderes ist: ein kollektives Hintergrundbewusstsein. Es hat daher ewig gedauert, bis das Verfassungsgericht Sitzdemonstrationen nicht mehr automatisch als strafbare Nötigung begriffen hat - sondern als rechtmäßige Form des politischen Protests.

Lehren aus der deutschen Geschichte

Das Hintergrundbewusstsein des Verfassungsgerichts ist, wenn es um den Schutz von Homosexuellen geht, ein ganz besonderes. Die Richter sind sich dessen bewusst, dass das deutsche Grundgesetz eine Verfassung ist, die sich den Schutz von Minderheiten besonders angelegen sein lässt. Das hat natürlich einen historischen Hintergrund, denn die Nationalsozialisten haben die Minderheiten grausam verfolgt.

Das Grundgesetz hat daraus seine Lehren gezogen und das Bundesverfassungsgericht auch: Der beste Teil seiner Rechtsprechung betrifft die Rechte von Minderheiten. Ohne die Karlsruher Richter ginge es den Strafgefangenen, den Pazifisten, den nichtehelichen Kindern, den Armen dieser Gesellschaft, den Transsexuellen und den Homosexuellen viel schlechter. Das Bundesverfassungsgericht war und ist ihre Schutzmacht. Nur bei den Flüchtlingen hat es versagt. Da traute es sich nicht, der geschlossenen Phalanx der Parteien entgegenzutreten; bei der Änderung des Asylgrundrechts hat das Gericht gekuscht.

Die Schutzmächtigkeit des Gerichts hat sich bei der Stärkung der Rechte der Homosexuellen in den vergangenen gut zehn Jahren eindrucksvoll gezeigt. Seitdem das Lebenspartnerschaftsgesetz im Jahr 2001 Schwule und Lesben noch eher juristisch scheu und zurückhaltend eingeladen hat, sich vor dem Standesbeamten zu verpartnern, hat das Gericht die Rechtsentwicklung vorangetrieben.

Höhepunkt der bisherigen Rechtsprechung

Das Gesetz versuchte, eine Unterschiedlichkeit der homosexuellen Partnerschaft und der heterosexuellen Ehe zu behaupten und mit Paragrafen abzusichern. Das Karlsruher Gericht hat diese Paragrafen nicht akzeptiert. Erst hat das Gericht, in seiner Entscheidung von 2002, erklärt, dass einer Gleichbehandlung von Lebenspartnern mit Ehegatten verfassungsrechtlich nichts im Wege steht. Und in den Folgeurteilen hat es dann, mal mehr, mal weniger verklausuliert, festgestellt, dass Gleichbehandlung nicht nur erlaubt, sondern geboten ist.

Die Entscheidung zum Ehegattensplitting für homosexuelle Partnerschaften ist nun ein Höhepunkt dieser Rechtsprechung: Der Zweite Senat, der für die Steuerdinge zuständig ist, hat darin die konsequente Rechtsprechung des Ersten Senats zu den Rechten der Homosexuellen fortgesetzt. Nun steht nur noch das gemeinsame Adoptionsrecht für homosexuelle Partnerschaften aus. Dann ist die Homo-Ehe komplett - mit allen Rechten, mit allen Pflichten einer Ehe.

Die deutsche Gesellschaft hat sich, anders als die französische, an diese Rechtsentwicklung gewöhnen können. Gewiss: Es ist nicht ausgeschlossen, dass es auch in Deutschland noch zu Demonstrationen gegen eine "Ehe für alle" kommt, wie das in Frankreich genannt wird. Aber anders als in Frankreich ist die Homo-Ehe nicht auf einmal aus dem Himmel des Gesetzgebers gefallen. Der damals rot-grün dominierte Gesetzgeber hat sie im Jahr 2001, der wütenden Proteste der CDU/CSU und deren Mehrheit im Bundesrat wegen, zwar konstituiert, aber noch nicht mit gleichen Rechten wie die Ehe ausgestattet. Gestärkt hat die Homo-Ehe dann das Bundesverfassungsgericht - Urteil für Urteil.

Karlsruhe hat, sonst wäre das nicht möglich gewesen, eine ganz andere Stellung als das französische. Der französische Conseil Constitutionnel ist vor allem eine Art juristisches Beratungsorgan für den Gesetzgeber, nicht aber, wie das deutsche, ein souveräner Machtfaktor im gewaltenteiligen System und eine Instanz von politischer, juristischer und gesellschaftlicher Autorität.

Das Bundesverfassungsgericht hat, stillschweigend, das Grundgesetz um ein Grundrecht ergänzt, das man so formulieren könnte: "Der Staat achtet und schützt alle Lebensformen. Lebensgemeinschaften mit Kindern und Hilfsbedürftigen stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung".

Es ist dies ein Satz, der 1993 bei der Überarbeitung des Grundgesetzes schon einmal auf dem Tisch lag, aber damals von der CDU/CSU nicht akzeptiert wurde. Das dürfte heute anders sein. Man sollte den schönen Satz so ins Grundgesetz schreiben - als neuen Artikel 6.

Und dann kann man auch überlegen, ob das Ehegattensplitting noch Sinn macht oder ob es nicht durch ein Familiensplitting ersetzt werden sollte. Das Verfassungsgericht hat das in seiner Entscheidung ausdrücklich offengelassen.

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