"Unteilbar"-Demo:Weg vom Image der Pegida-Stadt

Thousands March In Dresden Against Right-Wing Extremism As State Elections Near

Eine der größten Demonstrationen seit der Wende in Dresden: etwa 40 000 Menschen nahmen bei der "Unteilbar"-Kundgebung teil.

(Foto: Getty Images)

Etwa 40 000 Menschen demonstrieren in Dresden für Solidarität und gegen rechte Hetze. Dass die Initiatoren von #unteilbar sich die Stadt ausgesucht haben, hat nicht nur mit der Landtagswahl kommenden Sonntag zu tun.

Von Jana Anzlinger, Dresden

Am Anfang: ein großes weißes Banner mit dem bunten Aufdruck "#unteilbar", das mehr als ein Dutzend Hände gemeinsam tragen. Am Ende: junge Menschen, die zu elektronischer Musik tanzen. Dazwischen: resolute Familien, skandierende Rentner, selbstbewusste Schüler, singende Geflüchtete, der Bundesfinanzminister, die Bundesvorsitzende der Grünen und viele andere.

Für diesen Demonstrationszug haben sich Aktivisten, Politiker und vor allem Tausende Bürger zusammengerauft, die Haltung zeigen wollen. Die Veranstaltung in Dresden steht unter dem Motto "Solidarität statt Ausgrenzung". Sie organisiert und seit Monaten bundesweit mobilisiert hat #unteilbar, ein Bündnis von etwa 400 zivilgesellschaftlichen Organisationen. Etwa 40 000 Menschen sind dem Aufruf gefolgt, werden die Veranstalter im Nachhinein schätzen. In fast 40 thematisch aufgeteilten Blöcken marschieren sie durch die Dresdner Innenstadt - voneinander abgegrenzt, aber doch einig; so ist die Idee.

Während der SPD-Block am Ende so ausgelassen wirkt wie ein Trauermarsch und die Schüler im Klimablock in der Mitte professionell Parolen rufen, sind die ersten paar Blöcke von Musik, Ausgelassenheit und kreativen Schildern geprägt. Viele Grüppchen tragen ihr Hauptanliegen schon im Namen. Da sind zum Beispiel die "Lesben gegen rechts" oder auch Dutzende "Omas gegen rechts" - zumindest besagen das die Schilder, die die älteren Frauen schwenken. Einige von ihnen haben Kinder an der Hand. Man sollte meinen, dass Großmütter und ihre Enkel einen der letzten heißen Samstage des Jahres für einen gemeinsamen Ausflug an den See nutzen. Stattdessen marschieren sie also vom Altmarkt zur Cockerwiese, über die Elbbrücken und an unzähligen Wahlplakaten vorbei.

Die Demonstration in Sachsens Landeshauptstadt findet eine Woche vor der Landtagswahl statt, bei der die AfD stark abschneiden dürfte. Umfragen sehen sie bei etwa 25 Prozent, auf Platz zwei hinter der CDU. Wer sich bei der Kundgebung umsieht, kann kaum glauben, wie stark der Rechtspopulismus auf dem Vormarsch ist, wie unzufrieden und abgehängt sich viele in Sachsen fühlen, wie stark die Vorbehalte, aber auch die sozioökonomischen Unterschiede zwischen alten und neuen Bundesländern fast 30 Jahre nach der Wiedervereinigung noch sind.

Die Demonstrierenden kommen aus Dresden oder sind mit Sonderzügen aus Berlin und in Bussen aus der ganzen Republik angereist. Aus Berlin kommt etwa Susanne Loewens. Zu Beginn der Kundgebung steht die 50-Jährige auf dem Altmarkt und fächelt sich mit dem Routenplan Luft zu. Sie ist mit ihren betagten Eltern hier, "um ein Zeichen zu setzen gegen rechts". Sie seien ja selbst aus Ostberlin, deshalb erlaube sie sich zu sagen, wie "enttäuscht" sie von den Dresdnern ist, denen es doch gar nicht so schlecht gehe - und die trotzdem rechte Aufmärsche duldeten und rechte Parteien wählten.

Die Stadt, in der Lutz Bachmann seine Bewegung formierte

Hier auf dem Altmarkt treffen sich regelmäßig die Anhänger der Pegida-Bewegung, die von vielen als "islamfeindlich" bezeichnet wird, deren Formulierungen und Aufrufe aber eher schlicht rassistisch zu nennen sind. Dresden ist die Stadt, in der sich um Lutz Bachmann 2014 die selbsternannten "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" formierten und in der 2015 auf dem Höhepunkt des Streits um die Aufnahme von Geflüchteten Tausende protestierten. Inzwischen kommen nur noch wenige Hundert; gelegentlich organisieren Gegendemonstranten genauso große Kundgebungen. Trotzdem wird Dresden den Ruf der "Pegida-Stadt" nicht los. Für die Initiatoren von #unteilbar war das ein wichtiger Grund, Dresden als Veranstaltungsort zu wählen.

Wie die Dresdner die Kritik an ihrem Protest- und Wahlverhalten wohl finden? Einige Anwohner lehnen sich aus den Fenstern und von den Balkonen eines Plattenbaus und beobachten die Protestierer. Unten stellt sich eine Band an den Straßenrand, zu ihrer Musik tanzen barfüßige Menschen auf dem Gehweg und auf dem Rasen vor dem Wohnhaus. Ein Stückchen weiter reißt ein Demonstrant ein AfD-Plakat von einem Laternenpfahl und wirft es auf den Boden. Einige Minuten später trampelt ein weiterer Demonstrant auf dem Plakat mit der Aufschrift "Mut zu Sachsen" herum.

Nicht nur "ganz linke Gruppen"

Cornelia Bayer schleppt ihr drei Monate altes Baby und versucht, ihren sechs Jahre alten Sohn vom Weglaufen abzuhalten. Familie Bayer lebt in Dresden. "Ich will zeigen, dass wir füreinander stehen, dass sich nicht nur ganz linke Gruppen gegen rechts engagieren, sondern auch kleine Familien", sagt die 37-Jährige.

Tatsächlich sind "ganz linke Gruppen" wie die Antifa dabei, aber auch Grüne und SPD, Fridays for Future, kirchliche Organisationen, der Zentralrat der Juden und der Zentralrat der Muslime sowie bekannte NGOs wie etwa Amnesty International oder das Bündnis Seebrücke.

Bekanntheit und Unterstützung erlangt haben die Organisationen, die #unteilbar bilden, im Oktober 2018, als sie in Berlin eine Großdemonstration mit einer Viertelmillion Teilnehmern organisierten. Die Demonstration fand vor dem Hintergrund rassistischer Demonstrationen statt, insbesondere in Chemnitz und Köthen. In beiden Städten nutzten Rechtsextreme Tötungsdelikte für sich, die mutmaßlich Asylsuchende begangen hatten. In Chemnitz kam es zu rassistischen Hetzjagden, die der damalige Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen verleugnete, was zu einer Regierungskrise und seiner Entlassung führte. Die Demonstration in Dresden findet einen Tag vor dem Jahrestag des Todes von Daniel H. in Chemnitz statt. Vor wenigen Tagen gab es im Prozess um den Mord ein Urteil.

Polizisten tragen ihre Helme in der Hand statt auf dem Kopf

Im vergangenen Jahr wurde die #unteilbar-Versammlungsleitung kritisiert, weil Redner Kritik an Israel übten; Demonstranten mit Deutschlandfahnen und einige Teilnehmer der FDP-Jugendorganisation Junge Liberale berichteten von verbalen Attacken. In diesem Jahr gibt es Polizei und Veranstaltern zufolge keine derartigen Zwischenfälle. Einigen Fällen von Graffiti und abgerissenen Wahlplakaten geht die Polizei nach, gegen Abend gibt es einen Großeinsatz, weil einige Aktivisten Berichten zufolge ein leerstehendes Haus besetzt haben. Am Rande des eigentlichen Demonstrationszuges hingegen sind Polizisten nur in kleinen Grüppchen unterwegs, sie tragen ihre Helme in der Hand statt auf dem Kopf. "Wir verfolgen heute ein defensives Einsatzkonzept", schreibt die Polizei Sachsen auf Twitter.

Die Veranstalter von #unteilbar zeigen sich mehr als zufrieden. "Ich fand die Stimmung ganz toll, es war eine unglaublich bunte Demonstration", sagt Sprecher Maximilian Becker. "Viele Menschen sind mit Fahnen gekommen oder in bunter Kleidung, der Klimablock ist sehr gut in Grün gelaufen. Ich bin von dem Ausdruck und der Kreativität beeindruckt." Was Becker außerdem beschreibt: Als diejenigen, die das Front-Transparent trugen, schon am Ziel waren, tanzten die letzten Teilnehmer auf dem Altmarkt los. Ein Demonstrationszug einmal quer durch die Stadt also.

Die Demonstration endet auf der Cockerwiese mit einer stundenlangen Abschlusskundgebung. Danach treten Musiker auf wie Silbermond, Banda Internationale und Sebastian Krumbiegel von den Prinzen. Das Programm ist etwas weniger hochkarätig als in Berlin, wo Herbert Grönemeyer, Konstantin Wecker und Tocotronic auf der Bühne standen. Dafür passt es gut zur Intention dieser Demo: zu betonen, dass im Osten Deutschlands, natürlich, genauso weltoffene, kreative, engagierte, talentierte Menschen leben und Karriere als Künstler machen wie im Westen. Oder, wie einer der ersten Sprecher bei der Abschlusskundgebung von der Bühne ruft: "Wir haben gezeigt, dass Dresden auch anders kann."

Korrektur: In einer früheren Fassung wurde der falsche Eindruck erweckt, die Gegendemonstranten würden in Dresden regelmäßig so viele Menschen mobilisieren wie Pegida. Das ist nicht der Fall.

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