Dresden:Sächsische Justiz beendet jahrelange Posse um Nazigegner

Lesezeit: 4 min

Gerichtssaal am Dresdner Landgericht. (Foto: Arno Burgi/dpa)
  • Ein Dresdner Gericht hat den linken Aktivisten Tim H. wegen des Vorwurfs des schweren Landfriedensbruchs freigesprochen.
  • Der Prozess läuft bereits seit fünf Jahren und hat der sächsischen Justiz den Ruf eingebracht, Nazigegner einschüchtern zu wollen.

Aus dem Gericht von Antonie Rietzschel, Dresden

Der 13. Februar ist ein düsteres Datum in der Geschichte Dresdens. 1945 wurde die Stadt durch Luftangriffe der Alliierten zum Trümmerfeld, 20 000 starben. Nationalsozialisten und später auch die DDR-Führung bedienten sich des Datums für Propagandazwecke (mehr dazu hier). In der jüngeren Geschichte marschierten immer wieder tausende Rechtsextreme ungehindert durch die Stadt, um den Opfern eines angeblichen "Bombenholocausts" zu gedenken. 2010 verhinderten Gegendemonstranten erstmals den Neonaziaufmarsch, genauso in den darauf folgenden Jahren. Doch die Proteste blieben nicht folgenlos. Es kam zu zahlreichen Gerichts-Possen, die der sächsischen Justiz bundesweit den Ruf einbrachten, Nazigegner einschüchtern zu wollen.

Einer der umstrittensten Prozesse ist jetzt zu Ende gegangen. Tim H. wurde vom Vorwurf des Landfriedensbruchs und der Beleidigung freigesprochen, wegen mangelnder Beweise und eines fehlenden Strafantrags. Der Richter wandte sich persönlich an Tim H. und die Prozessbeobachter: "Mich betrübt es, dass das Verfahren so lange gedauert hat." Er könne nachvollziehen, wenn die Vorgänge das Vertrauen in die Justiz nicht gerade gestärkt hätten. Deutliche Worte angesichts des grotesken Rechtsstreits, den die Dresdner Staatsanwaltschaft trotz mangelnder Beweise immer weiter vorangetrieben hatte.

Bombardierung von Dresden
:"Der Mythos entstand noch in den rauchenden Trümmern"

Eine Stadt in Flammen: Am 13. Februar 1945 bombardierten die Alliierten Dresden. Seitdem wird das Datum instrumentalisiert - erst von den Nazis, später von der DDR. Bis heute streitet die Stadt um die Erinnerung. Hilfe kommt aus Oldenburg.

Von Antonie Rietzschel

Der eigentliche Vorfall liegt sechs Jahre zurück. Am 19. Februar 2011 stellen sich 12 000 Menschen einer geplanten Demo von Neonazis entgegen, der größte Gegenprotest, den Dresden bis dahin gesehen hat. Die gerade mal 3000 angereisten Rechtsextremen kommen nicht weiter als bis zum Hauptbahnhof. Doch die Proteste bleiben nicht immer friedlich. In der Dresdner Südvorstadt durchbrechen ungefähr 500 teilweise vermummte Personen eine Polizeikette, es fliegen Steine und Feuerwerkskörper. Vier Beamte werden verletzt. Rädelsführer der Attacke ist nach Ansicht der Dresdner Staatsanwaltschaft der Berliner Aktivist Tim H. Er soll über ein Megafon die Menge aufgewiegelt und einen Polizisten nach dem Durchbruch der Blockade als "Nazischwein" beschimpft haben, als der auf eine am Boden liegende Frau einschlug.

Im Januar 2013 verurteilte das Amtsgericht in Dresden Tim H. wegen Körperverletzung, besonders schweren Landfriedensbruchs und Beleidigung zu knapp zwei Jahren Haft - ohne Bewährung. Dabei war der damals 36-Jährige nicht vorbestraft. Und die Staatsanwaltschaft konnte ihm weder konkrete Taten noch eine Beteiligung nachweisen. Ein Zeuge, der den Angriff auf die Polizeikette vom Balkon aus beobachtet hatte, sagte bereits am ersten Prozesstag aus, Tim H. sei nicht die Person, die in das Megafon gebrüllt habe. Die vier geladene Polizisten konnten keine Angaben machen, ob H. selbst gewalttätig geworden war.

Im Mittelpunkt des Verfahrens stand ein Videomittschnitt, der den Angriff auf die Polizeikette zeigt. Zu sehen ist ein Mann mit Megafon. Ob es sich um Tim H. handelt, ist nicht eindeutig zu erkennen. Der Staatsanwaltschaft und auch dem Richter reichte aus, dass die Größenverhältnisse stimmen. Der Mann auf dem Video überragt die Menge. Tim H. misst mehr als zwei Meter. In der damaligen Urteilsbegründung steht, H. hätte Durchsagen gemacht, wie "Durchbrechen" oder "Nicht abdrängen lassen". Auf dem Video selbst ist aber zu hören: "Kommt nach vorne!" - wirklich ein Aufruf zur Gewalt?

Das Urteil des Amtsgerichts sorgte nicht nur unter Aktivisten für Aufruhr. Spitzenpolitiker der Grünen, Linken und SPD waren empört über die Dresdner Justizverhältnisse. Dabei war der Prozess gegen Tim H. nur der Auftakt einer Reihe von Verfahren gegen Aktivisten aber auch Politiker, die an Protesten in den Jahren 2010 und 2011 beteiligt gewesen waren. Jahrelang ging die Staatsanwaltschaft in einem absurden Prozess gegen den Pfarrer Lothar König vor, der über eine Lautsprecheranlage zu Gewalt gegen Polizisten aufgerufen haben soll. Wegen fehlender Beweise wurde das Verfahren dann doch überraschend ausgesetzt.

Ins Visier der sächsischen Justiz geriet auch Bodo Ramelow, mittlerweile Ministerpräsident Thüringens. Ihm wurde vorgeworfen, 2010 die friedliche Blockade des Neonaziaufmarschs mit organisiert zu haben. Das Verfahren wurde eingestellt. Andere kamen nicht so glimpflich davon: Sächsische Landtagsabgeordnete der Linken und der Grünen mussten wegen ihrer Teilnahme an Blockaden Geldstrafen zahlen.

Der Prozess gegen Tim H. hat all diese Verfahren überdauert. Ende 2014 kam es erneut zum Prozess, nachdem seine Anwälte Einspruch gegen das Urteil eingelegt hatten. Der Polizei warfen sie vor, Beweismaterial manipuliert zu haben. Tatsächlich ist das Video viel länger als die bekannte Sequenz. Das Rohmaterial zeigt nicht nur den großen Mann mit Megafon, sondern mindestens vier weitere Personen. Damit lassen sich die Aussagen nicht eindeutig zuordnen. "Die gute Arbeit der Verteidigung wäre eigentlich Arbeit der Polizei", - diese Bemerkung konnte sich der damalige Richter nicht verkneifen. Und selbst wenn Tim H. "Kommt nach vorne!" gerufen habe, sei das noch kein schwerer Landfriedensbruch. Der Richter sprach den Angeklagten von dem Vorwurf und der schweren Körperverletzung frei. Wegen Beleidung wurde Tim H. jedoch zu einer Geldstrafe von 4 050 Euro verurteilt.

SZ PlusRechtsextremismus
:Ein Herz für Deutsche

Aufmarsch der Kümmerstrategen: In Thüringen veranstalten Rechte mit Erfolg wohltätige Weihnachtsfeiern und Trödelmärkte. Als "bedürftig" gilt hier nur, wer deutsch und bedürftig ist.

Von Lena Kampf und Cornelius Pollmer

Doch die Staatsanwaltschaft in Dresden ließ nicht locker und ging in Revision mit der Begründung, H. sei vielleicht ein "einfacher" Landfriedensbruch nachweisbar. Auch H. selbst legte Berufung ein, um einen Freispruch zu erwirken. Seinem Antrag stimmte das Landgericht Dresden schließlich zu. Am 21. Dezember 2016 begann dann der dritte Prozess. Wirklich neue Erkenntnisse gab es nicht. Ein Stimmengutachten konnte nur den Ruf "nach vorne" besser belegen, zuordnen ließ er sich nicht.

Tim H., mittlerweile 40 Jahre alt und Vater zweier Kinder, verlas eine Erklärung, die deutlich machte, wie ihn der Rechtsstreit zermürbt. Er empfinde die nun fast fünfjährige Prozessdauer als emotionale und finanzielle Belastung. Ihm seien mittlerweile Kosten in Höhe von 10 000 Euro entstanden, die er nur dank Spenden begleichen könne. H., der in der Bundesgeschäftsstelle der Linken arbeitet, bekommt für den Bundestag außerdem keinen Hausausweis. Kurz vor Weihnachten verschärfte sich die Situation für ihn zusätzlich. Unbekannte zerschlugen die Scheiben seiner Wohnung und warfen Teer hinein. H. vermutet, es habe sich um Rechtsextreme gehandelt. Er muss nun mit seiner Familie umziehen. Wohl auch wegen dieser Umstände hielt es der Richter für angebracht, sich indirekt bei H. für die Prozessdauer zu entschuldigen. "Das sollte so nicht sein", sagte er.

In seiner Urteilsbegründung machte er jedoch deutlich, dass er davon überzeugt ist, dass Tim H. am 19. Februar 2011 vor Ort war und durch ein Megafon Ansagen machte. Dass er zu Gewalt aufrief, dazu gibt es aus Sicht des Richters keinerlei Beweise. Die Beleidigung des Polizisten sieht er als erwiesen an. Allerdings sei versäumt worden, fristgerecht einen Strafantrag gegen H. einzureichen, weswegen eine Verurteilung nicht möglich sei. Die Prozesskosten muss die Staatskasse übernehmen.

Nach der Urteilsverkündung lächelt H., Unterstützer aus dem Publikum umarmen ihn. Doch ganz ausgestanden ist die Sache noch nicht - die Staatsanwaltschaft könnte immer noch Revision einlegen.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: