Drei-Prozent-Hürde bei Europawahl:Die Klage der Kleinen

Europaparlament in Strasburg

Das Europäische Parlament in Straßburg

(Foto: Ralf Roletschek)

Bei der vergangenen Europawahl fielen durch die Fünf-Prozent-Klausel mehr als ein Zehntel der Stimmen unter den Tisch. Verstößt nun sogar die neue Drei-Prozent-Hürde bei der Europawahl in Deutschland gegen das Grundgesetz? Heute gibt das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung bekannt.

Von Robert Roßmann, Berlin

Mit Urteilen des Bundesverfassungsgerichts ist es ja so eine Sache. Oft erschließen sich ihre Folgen nicht jedem sofort. An diesem Mittwoch wird es anders sein. Die Karlsruher Richter entscheiden, ob die Drei-Prozent-Hürde bei Europawahlen gegen das Grundgesetz verstößt. Sollte das Gericht die Hürde kippen, hätte das erhebliche Konsequenzen für die Mandatsverteilung.

Dies zeigt schon ein Blick auf die bisher letzte Europawahl. Hätte es 2009 keine Hürde gegeben, säßen jetzt 13 deutsche Parteien im Straßburger Parlament. Selbst die Tierschutz- und die Rentnerpartei dürften Abgeordnete stellen. Auch die als bayerische "Latex-Landrätin" bekannt gewordene Gabriele Pauli hätte ein Mandat in Straßburg.

Von fünf auf drei Prozent

Grafik zur Europawahl

Die Ergebnisse der kleinen Parteien bei der vergangenen Europawahl im Jahr 2009

Es geht also mal wieder um die Frage, wie stark die Demokratie eingeschränkt werden darf, um sie funktionsfähig zu machen. 2011 hatte das Verfassungsgericht die bis dahin geltende Fünf-Prozent-Hürde für nichtig erklärt. Die Tür für die Kleinstparteien stand also weit offen. Doch dann führte der Bundestag 2013 eine Drei-Prozent-Hürde ein. Die kleinen Parteien klagten erneut, deswegen trifft man sich jetzt schon wieder in Karlsruhe.

Es bestehe weitgehende Einigkeit darüber, dass jede Sperrklausel ein Eingriff in die Chancengleichheit der Parteien sei, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle bei der Verhandlung über die Klage im vergangenen Dezember. Trotzdem könne dieser Eingriff aufgrund "bestimmter Verhältnisse" gerechtfertigt sein.

Jetzt muss Karlsruhe entscheiden, ob diese Verhältnisse gegeben sind. Wie der Spruch ausfallen wird, ist unklar, der zuständige Zweite Senat soll sich nicht einig sein. Die Entscheidung gegen die höhere Fünf-Prozent-Hürde war 2011 nur mit einer knappen 5:3-Mehrheit gefallen.

In der EU gibt es keine Regierung, die stabile Mehrheiten braucht

Dass die großen Parteien voller Sorge nach Karlsruhe blicken, liegt auf der Hand. Bisher schützt sie die Hürde vor den kleinen Konkurrenten. 2009 entfielen mehr als zehn Prozent der Stimmen auf Parteien, die es nicht ins Parlament schafften. Die Freien Wähler hätten eigentlich zwei Sitze bekommen müssen. ÖDP, Republikaner, Familien-Partei, Piraten, Rentner- und Tierschutzpartei hätten sich jeweils über ein Mandat freuen können. Wegen der damals geltenden Fünf-Prozent-Hürde gingen diese acht Sitze aber an die Großen. CDU, SPD und Grüne durften je zwei Abgeordnete mehr entsenden, als ihnen eigentlich zustanden - FDP und CSU je einen. Eine Drei-Prozent-Hürde hätte dieselben Folgen gehabt.

2011 entschieden die Verfassungsrichter dann aber, dass solche Hürden nicht allein dadurch zu rechtfertigen seien, dass ohne sie eine Fülle von Parteien ins Parlament einziehen würde, "die nur mit einem oder zwei Abgeordneten vertreten sind". Auch ansonsten fehle es "an zwingenden Gründen, in die Wahl- und Chancengleichheit durch Sperrklauseln einzugreifen". Schließlich seien Hürden unabhängig von ihrer Höhe nur dann zu vertreten, wenn dadurch eine Zersplitterung des Parlaments vermieden und seine Funktionsfähigkeit sichergestellt würde.

Schon jetzt mehr als 160 Parteien in Straßburg

Da in Straßburg aber schon jetzt 162 Parteien aus ganz Europa vertreten seien, wäre die Funktionsfähigkeit durch einen Wegfall der Sperrklausel in Deutschland nicht gefährdet. Außerdem gebe es in der EU anders als in Berlin keine Regierung, die auf eine "fortlaufende Unterstützung" durch das Parlament angewiesen sei. Aus diesen Gründen kassierten die Richter die Hürde. Karlsruhe ließ der Politik in dem Urteil aber eine Hintertür offen. Falls sich die Verhältnisse in der EU wesentlich änderten, könnte sich auch die verfassungsrechtliche Beurteilung einer Hürde ändern, erklärten die Richter.

Und genau eine solche Veränderung will der Bundestag inzwischen erkannt haben. Er beruft sich dabei auf eine Entschließung des EU-Parlaments vom November 2012. Darin fordern die Europa-Abgeordneten die Mitgliedstaaten auf, "eine geeignete und angemessene Mindestschwelle" bei der Europawahl einzuführen. Mit diesem Appell hätten sich die Verhältnisse nun ausreichend geändert, um eine neue Hürde einführen zu dürfen, fand der Bundestag. Außerdem gebe es in der Mehrheit der EU-Staaten bereits Hürden. An diesem Mittwoch um zehn Uhr wird klar sein, ob diese Begründung ausreichend war. Dann verkündet Andreas Voßkuhle das Urteil.

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