Doppelpass:Prinzip Boden

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Wer als Kind ausländischer Eltern in Deutschland geboren wird und aufwächst, darf in der Regel zwei Staatsbürgerschaften behalten. Ein umstrittenes Thema.

Von Stefan Braun, Berlin

Es gibt wenige Themen in der innenpolitischen Auseinandersetzung, die von jeher so umstritten waren wie die doppelte Staatsbürgerschaft. Das war bei der ersten Initiative zu ihrer Einführung so. Und es ist jetzt nicht anders, da die CDU einen ersten Schritt tut, um das Rad zurückzudrehen.

Nur ganz zu Beginn, in den allerersten Wochen der rot-grünen Regierung unter Gerhard Schröder, war das anders. Damals hatte sich die Koalition mit viel Enthusiasmus aufgemacht, beim Staatsbürgerschaftsrecht das alte Blut- durch ein neues Bodenrecht abzulösen, also vom Abstammungsprinzip überzugehen zur Frage, in welchem Land ein Baby geboren wird. Mit Elan setzten sich die Innenpolitiker der Koalition dafür ein, eben diese doppelte Staatsbürgerschaft für Kinder zu gewähren, die zwar ausländische Eltern haben, aber in München, Berlin, Essen oder anderswo in Deutschland geboren wurden. Die Aussichten für eine grundsätzliche Regelung standen gut; SPD und Grüne hatten um den Jahreswechsel 1998/1999 in Bundestag und Bundesrat eine Mehrheit.

Doch dann trat Roland Koch auf den Plan, ein damals noch recht junger, vor allem aber sehr ehrgeiziger CDU-Politiker aus Hessen. Er stand vor Landtagswahlen - und sah seine Chance gekommen. Mit einem dezidierten Wahlkampf gegen die Reform, befeuert durch eine auch in der CDU umstrittene, weil mindestens latent ausländerfeindliche Unterschriftenkampagne, drehte er binnen weniger Wochen die Stimmung - und besiegte im Februar 1999 den vermeintlich unbesiegbaren SPD-Ministerpräsidenten Hans Eichel. Rot-Grün verlor die Mehrheit im Bundesrat - und damit die Chance, das Staatsbürgerschaftsrecht gänzlich nach eigenen Vorstellungen zu reformieren.

Es folgten langwierige Verhandlungen, in denen nicht nur Koch, sondern auch moderatere Kräfte in der Union Gespräche mit Rot-Grün führten. Das Ergebnis war eine Art Kompromiss - das sogenannte Optionsmodell. Es sah vor, dass Kinder ausländischer Eltern, die in Deutschland geboren werden, zunächst beide Pässe erhalten, sich aber im Alter zwischen 18 und 23 Jahren für eines der beiden Länder entscheiden müssen. Für aufgeschlossene Christdemokraten war das ein großer Schritt, für Rot-Grün eine halbe Niederlage.

Das Ende der Optionspflicht hat die SPD im Koalitionsvertrag durchgesetzt

Um aus ihrer Sicht ein großes Manko, das Integration gerade in den Jahren zwischen Pubertät und Erwachsenwerden erschwere, zu beheben, hat die SPD in den Koalitionsverhandlungen im Herbst 2013 durchgesetzt, die Optionspflicht weitgehend abzuschaffen. So müssen junge Menschen, die hierzulande geboren wurden, mindestens acht Jahre hier aufgewachsen, sechs Jahre in die Schule gegangen sind oder hier eine Schule oder eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, seither nicht mehr wählen, welchen Pass sie behalten wollen. Befreit von dieser Wahlpflicht sind zudem hier geborene Menschen, die außer der deutschen die Staatsangehörigkeit eines EU-Staates oder der Schweiz besitzen. Für sie alle ist die doppelte Staatsbürgerschaft grundsätzlich möglich.

Dass eine Mehrheit auf dem CDU-Parteitag jedenfalls für Kinder von Nicht-EU-Ausländern zurück zur Optionspflicht möchte, ist demgegenüber ein deutlicher Rückschritt. Gleichwohl wird der Beschluss nicht so schnell in ein neues Gesetz münden. Dafür bräuchte die CDU heute wie in Zukunft aller Voraussicht nach mindestens einen Koalitionspartner. So einen Schritt könnte sie nur mit der Alternative für Deutschland umsetzen. Eine Kooperation mit der AfD aber hat die CDU gerade erst ausgeschlossen - auf eben diesem Parteitag.

© SZ vom 08.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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