Donald Trump:Pragmatiker, Nihilist, egal?

Beim Besuch der "New York Times" relativiert Trump konservative Wahlversprechen. Was das bedeutet? Alles eine Frage der Perspektive.

Von Johannes Kuhn, New Orleans

Es war angerichtet, doch niemand wollte zunächst zugreifen. Das berichten die anwesenden Journalisten vom Interview hochrangiger Redakteure und Reporter der New York Times mit Donald Trump am Dienstag. Es gab Mittagessen, keiner rührte es an.

Das Verhältnis zwischen den US-Medien und Trump ist angespannt: Tags zuvor hatte der künftige US-Präsident Berichten zufolge vor einer Runde von TV-Journalisten eine wütende Beschwerde-Litanei über angeblich unfaire Behandlung heruntergebetet, erzählen Teilnehmer. Der Republikaner hatte die New York Times vor und auch nach seiner Wahl wiederholt über Twitter ins Visier genommen, so wie er bereits als Kandidat die Medien zum bevorzugten Sündenbock auserkoren hatte.

Das Gespräch, das er zwischendurch bereits abgesagt hatte, wurde trotz Appetitlosigkeit zu einer wenig konfrontativen Angelegenheit. Trump relativierte mehrere Wahlversprechen. Die Wiedereinführung von Foltermethoden wie Waterboarding habe ihm sein möglicher künftiger Verteidigungsminister James N. Mattis de facto ausgeredet. Die versprochene Strafverfolgung Hillary Clintons halte er nicht für sinnvoll; die Entscheidung liegt allerdings in der Hand des Justizministers. Selbst die Kündigung des Klimavertrags von Paris sei noch nicht fix. Und die "Alt-Right" genannte Hardcore-Rechte, die durch seinen Siegeszug Aufwind hat? "Ich will diese Gruppe nicht ermutigen und distanziere mich", sagte Trump.

Worte bedeuten nichts

Sein jüdischer Schwiegersohn Jared Kushner könne helfen, Frieden zwischen Israel und den Palästinensern zu vermitteln, sagte Trump des Weiteren. Die Reporter sprachen ihn auch auf seine Geschäftsinteressen an - und ob diese mit seinem Amt vereinbar sind. Ein Präsident könne laut Gesetz gar keine Interessenkonflikte haben, so Trump. Das ist einerseits richtig, einem Plantagenbesitzer-Präsidenten sei Dank, aber im Kontext von Trumps vielfältigen Geschäftsinteressen nicht gerade beruhigend. Zudem gibt es verfassungsrechtliche Fragen zu seinen Auslandsgeschäften.

Dass Trump Worten kaum Bedeutung über den Moment hinaus zuweist und auch keine Probleme mit Lügen hat, ist bekannt. Es war ein essenzieller Bestandteil seines Wahlkampfs. "Die Medien nehmen ihn wörtlich, aber nicht ernst. Seine Anhänger nehmen ihn ernst, aber nicht wörtlich": Diese Erkenntnis gilt inzwischen als treffende Beschreibung seines Aufstiegs.

Die widersprüchlichen Aussagen des künftigen Präsidenten wirken erstaunlich stimmig, wenn man sie unter der Prämisse betrachtet, dass er dem jeweiligen Publikum einfach sagt, was es gerade hören möchte. In diesem Falle war die Zielgruppe die als progressiv geltende Times-Redaktion und ihrer Leserschaft. Ob das strategisch, instinktiv oder impulsiv geschieht, ob aus Kalkül, Desinteresse oder dem Wunsch nach Anerkennung, bleibt Politik-Psychologen zur Analyse überlassen.

Dämonisierung? Normalisierung?

Trump schneidet seine Botschaft je nach Publikum zu und relativiert Wahlkampfversprechen. Das hat er mit vielen Politikern gemein. Doch bei ihm ist darunter kein ethisches Fundament oder eine politische Überzeugung zu erkennen, sondern nur ein Ziel: "zu gewinnen", wie Trump es häufig ausdrückt. Der Wahlkampf definierte dieses "Gewinnen" in simpelster Form, dem Wahlsieg. Die Frage ist, ob er auf die Komplexität vorbereitet ist, "Gewinnen" auch für sein Land zu definieren, dessen Bürger ihn mehrheitlich nicht gewählt haben - oder ob er diese Komplexität überhaupt wahrnimmt, ob seine Berater daran interessiert sind.

Viele Konservative würden wahrscheinlich abstreiten, dass diese Verpflichtung überhaupt existiert: Sie sahen sich in acht Jahren Barack Obama als Verlierer in einem Nullsummenspiel um das Recht, die Schrauben am System zu drehen.

Es gibt einige negative Online-Reaktionen der politischen Rechten auf den möglichen Verzicht auf das #LockHerUp Clintons, also eine strafrechtliche Prüfung. Diese signalisieren, dass sie ein Durchregieren nach der reinen konservativen Lehre erwarten, wie es auch die bisherigen Kabinettsentscheidungen und die Mehrheiten im Kongress versprechen. Doch Social Media betont Aufregung, Euphorie und Wut und ist kein Gradmesser, wie verbreitet Pragmatismus ist. Zudem gibt es genügend Stimmen von Anhängern, die in allem eine Art mehrdimensionales Schachspiel Trumps sehen.

Worte bedeuten doch etwas

Über Pragmatismus diskutieren auch die Progressiven mit großer Angespanntheit. Eine Dämonisierung könnte den Blick auf die politische Chance und mögliche echte realpolitische Erfolge eines Außenseiters im Weißen Haus versperren. Und sei es nur, dass Trump wie ein Zufallsgenerator auch weise Entscheidungen trifft. Andere Linksliberale weisen darauf hin, dass Worte eben doch zählen. Trump sei durch seine Demagogie untragbar, seine programmatischen Ankündigungen seien ernst zu nehmen. Aus ihrer Sicht wird Widerstand zur Bürgerpflicht.

Dieser Teil fürchtet das, was in autoritären Regimes als Normalisierung bekannt ist: Eigentlich kritische Menschen gewöhnen sich an den Verfall der Institutionen und klammern sich an immer schwächer werdende Anzeichen für ein funktionierendes System, während aus dem Weißen Haus längst gegen Teile der Gesellschaft regiert wird, bis hin zur institutionalisierten Benachteiligung der Gegner. Übrigens haben genau das Republikaner auch Obama vorgeworfen.

In dieser Gemengelage werden das Trump'sche Spektakel, seine Wortmeldungen und Widersprüche nur wenig zur Klarheit beitragen. Im Gegenteil. Das Wesentliche vom Unwesentlichen zu trennen, wird die größte Herausforderung der kommenden vier Jahre. Doch derzeit tut sich das Land bereits schwer damit, Wahrnehmung und Wirklichkeit auseinanderzuhalten.

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