Dokumente aus britischem Nationalarchiv:Wenn die Russen kommen

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Atombomben und Ausverkauf von Alkohol - so haben sich die Briten in den Achtzigerjahren den Dritten Weltkrieg vorgestellt. Das zeigen erstmals veröffentlichte Dokumente aus dem britischen Nationalarchiv. In der Kriegssimulation war sogar eine Durchhalte-Rede der Queen vorbereitet. Auch über den damaligen Kanzler Kohl hält das Archiv Brisantes bereit: Er wollte die Zahl der Türken in Deutschland halbieren.

Von Christian Zaschke, London

Den Ausbruch des Dritten Weltkriegs hielten britische Beamte im Jahr 1983 für so wahrscheinlich, dass sie sogar eine Rede der Königin ans Volk vorbereiteten. Das geht aus Dokumenten her, die das britische Nationalarchiv am Donnerstag nach Ablauf der 30 Jahre währenden Geheimhaltungsfrist veröffentlicht hat. Diese Dokumente sind fast immer sehr interessant, der jüngste Schwung ist es jedoch besonders: Er liest sich wie ein Thriller aus dem Kalten Krieg.

Kernstück der aktuellen Veröffentlichung ist eine 320 Seiten lange Kriegssimulation. Unter dem Codenamen Wintex-Cimex 83 haben britische Beamte und Experten vom Militär durchgespielt, wie eine kriegerische Auseinandersetzung mit einer feindlichen Macht ablaufen könnte. Es ist offensichtlich, dass es sich dabei um die Sowjetunion und die Länder des Warschauer Pakts handelt, obwohl in den Dokumenten der mögliche Kriegsgegner stets mit dem Codewort "Orange" bezeichnet wird.

Der damalige Botschafter des Vereinigten Königreichs in Moskau hatte gewarnt, dass die Rhetorik des sowjetischen Staatschefs Juri Andropow "zutiefst verstörend" geworden sei. Daraufhin entwarfen die Strategen in London ein Szenario, in dem sie sich den Krieg in allen Einzelheiten ausmalten.

Sie gingen davon aus, dass eine kriegslüsterne Elite die Macht in der UdSSR übernimmt und die Bundesrepublik Deutschland, Skandinavien, Italien und die Türkei zunächst mit konventionellen Waffen angreift. In einem zweiten Schritt würde der Einsatz von chemischen und nuklearen Waffen folgen. Der Plan ist so detailliert, dass er den raschen Ausverkauf von alkoholischen Getränken im ganzen Land beschreibt und systematische Überfälle auf Apotheken.

Die Planer waren so gründlich, dass sie auch die Rede Königin Elizabeths komplett ausformulierten. Das Nationalarchiv hat den vollständigen Text dieser nie gehaltenen Rede vorgelegt. "Unser tapferes Land muss sich erneut darauf vorbereiten, trotz großer Widrigkeiten zu überleben", sollte Elizabeth sagen. Und weiter: "Wir alle wissen, dass die Gefahren, die uns drohen, viel größer sind als je zuvor in unserer Geschichte." Zum dritten Mal in diesem "traurigen Jahrhundert" stehe dem Land ein großer Kampf um die Freiheit bevor.

In der Rede sollte die Queen auch auf ihre Familie eingehen. Ihr Sohn Andrew arbeitete damals als Hubschrauberpilot bei der Luftwaffe. "Mein geliebter Sohn Andrew ist in diesem Moment mit seiner Einheit im Einsatz. Wir beten für seine Sicherheit und für die Sicherheit aller Soldaten hier und in der Welt", heißt es im Text. Es ist nicht klar, ob die Königin die Rede je gesehen hat. Der Buckingham Palace teilte am Donnerstag mit, man könne das nicht kommentieren, wolle jedoch darauf hinweisen, dass die Königin regelmäßig eine große Menge an Regierungsakten erhalte.

Britischer Ärzteverband rechnete mit 33 Millionen Toten

Die Dokumente des Nationalarchivs zeigen auch, dass der britische Ärzteverband ein sehr düsteres Bild von den Folgen eines Krieges zeichnete. Die Mediziner gingen im Falle eines Atomschlags von 33 Millionen Toten im Land aus - mehr als die Hälfte der britischen Bevölkerung. Die Regierung ging von niedrigeren Zahlen aus - zudem nahm sie an, dass der Westen im Fall des Falles den nuklearen Erstschlag ausführen würde.

Die nun veröffentlichten Konvolute umfassen neben dem Hauptteil über einen möglichen Atomkrieg auch viele Akten, die Gespräche der damaligen Premierministerin Margaret Thatcher mit anderen Staatschefs dokumentieren.

Aus deutscher Sicht verdient eine Notiz bezüglich eines Gesprächs zwischen Thatcher und dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl besondere Aufmerksamkeit: Demnach habe Kohl der Premierministerin gesagt, er plane, die Zahl der in Deutschland lebenden Türken zu halbieren - das könne er jedoch nicht öffentlich zugeben. Die Türken hätten eine sehr ausgeprägte Kultur, soll Kohl gesagt haben, und sie hätten sich in Deutschland nicht gut integriert.

© SZ vom 02.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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