Dokumente aus Abottabad:Bin Ladens kleine Bibliothek

Dokumente aus Abottabad: Osama Bin Laden als er noch keine grauen Haare hatte.

Osama Bin Laden als er noch keine grauen Haare hatte.

(Foto: AFP)

Klassiker zu Verschwörungstheorien, ein Faible für Frankreich und Dutzende Software-Handbücher: Lässt sich durch die veröffentlichte Lektüre-Liste wirklich etwas über den ehemaligen Al-Qaida-Chef Osama bin Laden lernen?

Von Johannes Kuhn, San Francisco

Hitler liebte Karl Mays Romane. Kim Jong Un verschlingt Mangas. Stalin schrieb als Teenager Gedichte. Und der gescheiterte Radiotechniker Pol Pot hatte es nicht so mit Büchern.

Terror-Pate Osama Bin Laden hat es nie zum Diktator geschafft, aber immerhin wissen wir nun durch eine Liste des US-Geheimdienst-Direktors, was sich in seinem Bücherregal im Versteck von Abottabad befand.

39 englischsprachige Bücher und fast 300 Dokumente aller Art wurden demnach während der geheimen Kommandoaktion, bei der Bin Laden im Mai 2011 getötet wurde, sichergestellt. Prachtvolle Bildbände fehlen auf der Liste, was daran liegen könnte, dass viele der Bücher E-Books waren, es im Haus keine dekorativen Glastische gab oder Bin Laden eher trockene Stoffe bevorzugte.

Letzteres lässt zumindest ein genauerer Blick auf die Titel vermuten: Diverse öffentlich zugängliche Dokumente über die amerikanische Außenpolitik, Ausgaben eher spröder Magazine wie Foreign Policy und Newsweek, sowie Terrorismus-Studien unterschiedlichster Denkfabriken dominieren. Zwei Imperialismus-Kritiken von Noam Chomsky und das Buch des US-Journalisten Bob Woodward zu Obamas Kriegsstrategie gehören noch zu den süffigeren Werken - viele andere Titel lassen selbst die Lektüre der zwölfbändigen Gesamtausgabe Heiner Müllers als Vergnügen erscheinen.

Fan von Verschwörungen

19 Dokumente beschäftigen sich explizit mit Frankreich und der Verteidungspolitik des Landes; es ist nicht davon auszugehen, dass Bin Laden seinen Lebensabend in der Provence plante. Für die bunteren Leseabende in der Bin-Laden-Villa sorgten offensichtlich jene Verschwörungs-Traktate, an denen es im Terror-Haushalt nicht mangelte. Titel wie "Der Stammbaum der Illuminaten", "Die Hierarchie der Verschwörer: Das Komitee der 300" oder der Finanzverschwörungs-Klassiker "Die Geheimnisse der US-Zentralbank" schmücken die Al-Qaida-Bibliothek (tl;dr der meisten Titel: zionistische Weltverschwörung!).

Und wie Bin Laden wohl reagierte, als er in Michel Chossudovskys "Amerikas 'Krieg gegen den Terror'" lesen musste, nur eine Schachfigur im Spiel von CIA und Bush-Regierung bei der Errichtung der neuen Weltordnung zu sein? Ballte er auf der Couch wütend die Faust, seine Lesebrille zerkrümelnd "sie haben mich in die Sch... geritten!" rufend?

Dokumente aus Abottabad: Osama bin Laden in seinem Haus im pakistanischen Abbottabad.

Osama bin Laden in seinem Haus im pakistanischen Abbottabad.

(Foto: AFP)

Das alles ist Spekulation, genau wie die Frage, was der Top-Terrorist mit Dutzenden Software-Handbüchern wollte. Wir kennen das Heimvideo, in dem Bin Laden sich selbst einsam im Fernsehen betrachtet, die Fernbedienung wie ein gelangweilter Frührentner (der er in gewissermaßen auch war) in die Höhe haltend. Was fehlt ist eine Aufnahme, auf der Bin Laden verzweifelt vor seinem PC die Hände über dem Kopf zusammenschlägt, weil beim Photoshoppen eines Al-Qaida-Flyers plötzlich der Update-Countdown von Windows Vista auf dem Bildschirm erscheint.

Die Wahrheit über Soziopathen steckt nicht in den Büchern die sie lesen, sondern in dem System, das sie prägen. Ein Dokument, das sich als Anmeldebogen für Neu-Terroristen beschreiben lässt, zeigt Al-Qaida als Islamisten-Bürokratie. Hobbys, Qualifikationen und Zahl der Pässe werden ebenso abgefragt wie die "Bereitschaft, ein Selbstmordattentat auszuführen". Wenn jemand aus der Familie für die Regierung arbeite, so die unauffällige Frage, wäre die Person womöglich zu helfen bereit? Und nicht vergessen: Im Falle des Märtyrertodes bitte einen Kontakt mit Adresse und Telefonnummer angeben.

Warum gerade jetzt?

Weil eine ungenannte Zahl an Dokumenten weiterhin der Geheimhaltung unterliegt, sind Bin Ladens eigene Briefe meist Botschaften an Familienmitglieder, in einigen Fällen auch Ideologie- und Management-Debatten (Terror-Anschläge in Somalia - super. Muslime dabei töten - nicht so gut).

US releases letters, book list recovered in bin Laden raid

Ein nun veröffentlichter Brief Osama Bin Ladens.

(Foto: dpa)

Schlüsse über den Einfluss Bin Ladens auf die Operationen seines Netzwerks, das längst von einer Organisation zu einer Ideologie mit Anschluss an regionale Gruppen übergegangen war, lassen die Dokumente ohne größeren Kontext nicht zu. Zumindest erkannte der Al-Qaida-Führer den arabischen Frühling als wichtigstes Ereignis der vergangenen hundert Jahre - dass damit auch das Ende der Vorherrschaft von al-Qaida im islamistischen Terrorismus einherging, konnte er freilich nicht ahnen.

Viel dreht sich in den Briefen um die eigene Isolation, nur sechs Monate vor seinem Tod schreibt Bin Laden davon, gerne umziehen zu wollen. Ob dies möglich gewesen wäre, hängt auch damit zusammen, ob der Islamisten-Chef wirklich in einem Versteck oder doch eher unter Hausarrest des pakistanischen Geheimdienstes lebte, wie der renommierte US-Journalist Seymour Hersh jüngst in einem umstrittenen Artikel schrieb.

"Ihr nehmt mich auf den Arm, oder?", kommentierte Hersh die jüngsten Veröffentlichungen. Die US-Regierung dementiert Hershs Recherchen zu Bin Laden, das Büro des Geheimdienst-Direktors einen Zusammenhang zwischen der Publikation der Dokumente und den geäußerten Vorwürfen ("solche Dinge brauchen einfach Zeit"). Ein anonymer US-Offizieller hatte in dem Stück des Journalisten erklärt, die Geschichte über einen "Schatz" an Dokumenten sei eine Erfindung.

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