Diskussionen über Flüchtlinge:"Schrei mich nicht an"

Antonie telefoniert

Telefonat zwischen den (Toleranz-)Welten.

(Foto: dpa; Collage: SZ.de)

Ein Jahr lang stritt unsere Autorin mit ihrer Mutter über deren Sorgen und Ängste angesichts der Flüchtlingskrise. Fast hätte sie aufgegeben.

Von Antonie Rietzschel

Ich stehe auf einer Straßenkreuzung in München und schreie ins Telefon: "Wovor habt ihr Angst?" Es ist Anfang Dezember 2014. In Zügen aus Italien versuchen täglich Hunderte Flüchtlinge die deutsch-österreichische Grenze zu überqueren. Doch noch redet keiner von einer "Flut", "Welle" oder "Lawine". Ich hatte gerade zwei syrische Brüder ein Stück auf ihrer Flucht begleitet, teilte ihre Ängste und Sorgen. Als sie kurz vor der Grenze von der Polizei aus dem Zug gezogen wurden, verstörte mich ihre Verzweiflung.

Ich rufe meine Mutter an, um ihr davon zu erzählen. Ihre Reaktion "Ich war gerade bei einer Freundin zum Kekse backen - die wollen da in der Nähe ein Flüchtlingsheim bauen, die machen sich schon Sorg... ." Ich lasse sie nicht ausreden, werde laut. "Schrei mich nicht an", sagt meine Mutter. Ungezählte Male habe ich diesen Satz seitdem gehört.

Nichts wurde in der jüngsten Vergangenheit so emotional diskutiert wie der richtige Umgang mit Flüchtlingen. Das Thema hat Deutschland in zwei Lager gespalten - und die Grenze verlief auch zwischen meiner Mutter und mir. Wir haben wütend gestritten und trotzig geschwiegen. Es flossen auch Tränen. Doch jetzt, ein Jahr später, sind wir uns wieder näher gekommen.

Heidenau machte alles schlimmer

Meine Familie wohnt in der Nähe der Sächsischen Schweiz, hier lebten bis vor Kurzem nur wenige Menschen mit Migrationshintergrund. Dafür gab und gibt es gut vernetzte Rechtsextreme. Meine Mutter verabscheut sie so wie ich - wenn die NPD Wahlplakate aufhängt, überlegt sie, ob sie sie mit einer langen Baumschere herunterschneiden könnte. Als Pegida aufkam, war das für uns alle ein Schock. Zu Weihnachten gab es fast kein anderes Thema mehr. Als ein Bekannter Sympathie äußerte, warf sich meine Mutter in eine leidenschaftliche Debatte.

Doch je mehr Flüchtlinge nach Deutschland kamen, desto mehr hörte ich Geschichten wie diese: Busfahrer in Altenberg hätten Angst zu arbeiten, weil sie angeblich von Asylbewerbern bedroht würden. Meine Mutter hatte das in ihrem Laden von einer Kundin gehört. Dann wurde im Laden nebenan geklaut, die Diebe kamen wohl aus einem Flüchtlingsheim. "Ich verstehe das nicht. Die tun doch anderen Asylbewerbern keinen Gefallen, das wirft doch ein schlechtes Licht auf die", sagte meine Mutter. Ich versuchte ihr zu erklären, dass es genau wie bei Deutschen auch schwarze Schafe unter Asylbewerbern gebe. Das sei aber noch längst kein Grund, alles zu verallgemeinern. Und immer wieder fiel der Satz, man könne ja nicht jeden hier aufnehmen.

Heidenau machte alles schlimmer: Im Sommer dieses Jahres kam es vor einer neu eingerichteten Notunterkunft zu schweren Krawallen. Die Polizei war den tobenden Rechtsextremen zahlenmäßig unterlegen. Meine Redaktion schickte mich in meine Heimat. Ich war in Heidenau zur Schule gegangen. Tagsüber hörte ich geifernden Heidenauern zu, die ernsthaft neidisch auf Menschen waren, die in einem früheren Baumarkt hausten: "Das sind alles junge Männer, die sind auf unsere Frauen scharf." Ich stand ungefähr 200 Rechtsextremen gegenüber, ließ mich als "Lügenpresse" beschimpfen.

Weihnachten feiern wir mit einer syrischen Familie

Erschöpft kam ich abends nach Hause. Meine Mutter erklärte, sie wolle den Flüchtlingen irgendwie helfen. Ich erklärte ihr, es gebe eine Kleidersammelstelle. Ich nannte ihr die Adresse. Doch dann hörte sie von jemandem, dass Flüchtlinge sich angeblich nur besondere Markenklamotten rauspicken und den Rest liegen lassen. "Da gebe ich das doch lieber an Hartz-IV-Empfänger". Wir stritten uns.

Ich warf ihr vor, dass sie noch nicht einmal in Heidenau gewesen war, um mal mit einem der Flüchtlinge zu reden. Meine Mutter spricht recht gut Englisch. Sie erklärte, sie müsse auch arbeiten. Ich warf ihr vor, immer eine Entschuldigung zu suchen. "Schrei mich nicht an", sagte sie. In den darauffolgenden Tagen konnte uns alles Mögliche gegeneinander aufbringen - eine Talkshow, ein Artikel in der Zeitung. "Ich will mit dir darüber nicht mehr diskutieren", sagte ich irgendwann.

Da eine Vergewaltigung - dort ein Diebstahl

Zurück in München schrieb ich mir meine Wut von der Seele. Unter der Überschrift "Ich will kein Ossi mehr sein" erklärte ich, dass ich meine Heimat nicht mehr gegen Vorurteile verteidigen wolle. Dass ich nicht mal mehr sicher sei, ob ich jemals zurückkehre. Daraufhin rief mich meine Mutter an. "Du hast uns aufgegeben", sagte sie weinend. Auch ich musste Tränen zurückhalten, denn ich hatte das schmerzliche Gefühl, meine Heimat zu verlieren. Meine Mutter erzählte mir, dass Rechtsextreme in der Stadt einen Stand aufgebaut hätten. "Und dann kam der Bürgermeister vorbei und ich habe ihn gefragt: 'Was machen wir jetzt mit denen? Haben die eine Genehmigung dafür?'" Das rührte mich.

Doch die Diskussionen blieben. Sie liefen immer nach dem gleichen Muster ab: Schimpfte ich über irgendeine Äußerung von Seehofer oder erzählte von der Willkommenskultur in München, konterte meine Mutter mit einem Negativbeispiel: Da ein Diebstahl, dort hatte angeblich ein Asylbewerber einer Frau auf den Arsch getatscht, dort soll es eine Vergewaltigung gegeben haben.

Einmal sagte sie, dass es in Bayern auch Rassisten und Rechtsextreme gebe. Ich lag im Bett und schrie wieder: "Ja es gibt hier Nazis - aber sie werden gerade von einer großen Gegenbewegung zum Schweigen gebracht. Und das versteht ihr nicht im Osten. Ihr versteht nicht, dass man auch mal auf die Straße gehen muss, um zu sagen, dass man nichts mit Rechtsextremen zu tun haben will. Stattdessen zucken die Leute mit den Schultern und hoffen, dass es einfach wieder vorbeigeht." Danach tat mir dieser Ausbruch leid. Denn ich wusste, dass es natürlich auch in Heidenau mittlerweile sehr viele Menschen gab, die sich engagierten und ich wollte meine Mutter ermutigen, sich anzuschließen.

Plötzlich fragte meine Mutter mich um Rat

Der Wendepunkt kam im Herbst. Ein Freund der Familie wollte meine Eltern mit einer jungen syrischen Familie in Kontakt bringen. Es sollte ein Frühstück geben auf unserem Hof. "Das wird sicher spannend", sagte ich aufmunternd am Telefon. "Mal schauen", gab meine Mutter zurück. Der skeptische Tonfall regte mich schon wieder auf, aber ich sagte nichts. Nach dem Treffen meldete meine Mutter per Whatsapp: "Mit der syrischen Familie war es sehr gut - aber auch traurig. Ich kann das alles gar nicht schreiben."

Meine Mutter begann plötzlich, mich um Rat zu fragen. Wie kriegt man sie schnell aus der Notunterkunft? Sollen sie auf dem Hof wohnen - oder doch lieber in Dresden? Wie ist das mit dem Asylrecht? Die Familie musste schließlich in eine kleine Wohnung ziehen, die sie sich noch mit anderen Flüchtlingen teilen sollte. Sie waren unzufrieden. "Einerseits kann ich es nachvollziehen, andererseits müssen sie auch verstehen, dass Wohnungen nicht auf den Bäumen wachsen", sagte meine Mutter - sorgte dann aber dafür, dass die Familie woanders untergebracht wird.

Mittlerweile hat die junge Frau meine Mutter gefragt, ob sie ihre Freundin sein möchte. Sie gehen demnächst gemeinsam shoppen. Weihnachten feiern wir alle zusammen. Wir werden gemeinsam an unserem großen Küchentisch sitzen - dort, wo wir vor einem Jahr noch über Pegida diskutiert haben. Es ist ein schönes Bild, mein Bild. Meine Mutter möchte das nicht so stehen lassen. Ich habe ihr vorab von dem Artikel erzählt und sie sagte sofort: "Ich will jetzt aber nicht, dass es so aussieht als sei alles Friede, Freude, Eierkuchen. An meiner Einstellung zu bestimmten Punkten hat das nichts geändert." Die nächste Diskussion kommt bestimmt.

"Nach der ersten Hilfe - wie sich Deutschland durch die Flüchtlinge verändert": Diesem Thema widmen sich namhafte Politiker und Experten am 9. Dezember bei einer gemeinsamen Konferenz der Körber-Stiftung und der Süddeutschen Zeitung in Zusammenarbeit mit dem Norddeutschen Rundfunk in Hamburg. Den Livestream zur Veranstaltung finden Sie auf SZ.de. In unserem Dossier haben wir für Sie besondere Beiträge rund um das Thema "Flucht nach Deutschland" zusammengestellt - hier mehr lesen.

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