Diskussion um Strompreise:Experten drängen Regierung zu mehr Einsatz für Energiewende

"Probleme lösen, nicht beschreiben": Der frühere Umweltminister Töpfer und der Chef des Bundesumweltamts Flasbarth fordern von der schwarz-gelben Regierung, die Energiewende nicht in Frage zu stellen. Die Bedenken der Minister Rösler und Altmaier lassen sie nicht gelten. Die Opposition spricht von "bewusster Sabotage".

Claus Hulverscheidt und Marlene Weiss

Führende Umweltexperten haben die Bundesregierung davor gewarnt, von der geplanten Energiewende abzurücken. Der Umbau der Stromversorgung hin zu regenerativen Energien sei machbar, sagte der frühere Umweltminister Klaus Töpfer (CDU) der Süddeutschen Zeitung. Ähnlich äußerten sich auch der Chef des Umweltbundesamts, Jochen Flasbarth, und der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Hans Joachim Schellnhuber. Dagegen warf die Opposition der Regierung Versagen vor.

Nach Umweltminister Peter Altmaier (CDU) hatte am Dienstag auch Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) den Zeitplan für die Energiewende in Frage gestellt. Rösler sagte der Bild-Zeitung, die Zeitachse und die Ziele seien zwar vereinbart. "Aber wir müssen nachsteuern, wenn Jobs und unsere Wettbewerbsfähigkeit bedroht sein sollten." Die Bezahlbarkeit von Strom für Verbraucher und Betriebe habe für ihn "oberste Priorität".

Altmaier hatte zuvor bezweifelt, dass alle Ziele tatsächlich erreicht werden können. So stelle sich die Frage, "ob es wirklich gelingt, den Stromverbrauch bis zum Jahre 2020 um zehn Prozent zu senken". Auch warnte er vor den sozialen Folgen steigender Strompreise.

Ziel der Energiewende ist es unter anderem, den Anteil regenerativer Energien am deutschen Stromverbrauch drastisch zu erhöhen, in großem Umfang Energie einzusparen und bis 2022 aus der Atomkraft auszusteigen. Nach Angaben aus Regierungskreisen sind sämtliche dieser Ziele ohne Abstriche weiter gültig. Altmaier und Rösler hätten nur einen "notwendigen nüchternen Blick auf die Größe der Aufgabe geworfen". Im Übrigen sei bei der Umsetzung der Energiewende schon viel geschehen.

Töpfer sagte, es sei "unumstritten, dass große Aufgaben zu bewältigen sind, aber die Entscheidung für die Energiewende ist im Deutschen Bundestag mit großer Mehrheit gefallen". Jetzt müsse die Politik die Probleme nicht nur beschreiben, sondern lösen, alles andere wäre ein Verzicht auf Gestaltung. So sei es beispielsweise "sehr unerfreulich", dass die steuerliche Förderung der Gebäudesanierung bislang versandet sei. "Wenn das aus Sicht von Kommunen und Ländern nicht geht, dann muss man eben eine andere Lösung finden", sagt der Ex-Minister. Töpfer hatte die Energiewende als Vorsitzender der nach dem Atomunglück von Fukushima eingesetzten Ethikkommission mit auf den Weg gebracht.

Flasbarth: Energieeffizienz in den Mittelpunkt

Ähnlich äußerte sich Flasbarth, der zugleich dafür plädierte, die Energieeffizienz in den Mittelpunkt zu stellen - etwa über strengere Standards für Elektrogeräte in Europa. "Beim Energieeinsparen sind wir noch nicht gut genug", sagte er der SZ. Bis 2020 seien es aber noch einige Jahre; auch das Zehn-Prozent-Stromsparziel könne man noch erreichen. Flasbarth wehrte sich dagegen, die Energiewende als Kostenproblem darzustellen: "Ich hatte gehofft, dass diese einseitige Kostenbetrachtung von vorgestern überwunden sei." Wenn man die Umweltkosten mit einberechne, seien Atom- und Kohlestrom viel zu teuer. Zwar müssten etwaige soziale Ungleichgewichte ausgeglichen werden. "Aber die Entscheidung, dass 2022 das letzte Atomkraftwerk vom Netz geht, ist meiner Ansicht nach unveränderbar von der Politik getroffen."

Auch Schellnhuber sagte, die Energiewende sei grundsätzlich machbar. "Aber es braucht viel politischen Willen." Auch der Klimaforscher räumte ein, dass Deutschland bei der Energieeffizienz noch nicht weit genug sei. "Da muss jetzt ausgelotet werden, was im Rahmen der jetzigen Koalition machbar ist", sagte er. "Es gibt ein technisches Spannungsfeld: Wir brauchen einen Energiemix, der bezahlbar ist, klimaneutral, und der Fluktuationen ausgleicht; das ist eine hochkomplexe Aufgabe." Diese Aufgabe biete der Wirtschaft zugleich aber auch die Chance auf viele Innovationen. "Ich würde das mit Sportsgeist nehmen", sagte Schellnhuber.

Die Opposition kritisierte, die Koalition betreibe eine reine Ankündigungspolitik. "Was fehlt, sind immer noch die Taten: Der Netzausbau kommt nicht in Gang und die Integration der erneuerbaren Energien misslingt", sagte SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann.

Grünen-Chef Cem Özdemir erklärte, mit Rösler und Altmaier hätten binnen weniger Stunden die beiden zuständigen Fachminister eingestanden, "dass die schwarz-gelbe Koalition die Energiewende gegen die Wand gefahren hat". Grund sei eine "Mischung aus Inkompetenz und bewusster Sabotage in den Reihen von CDU/CSU und FDP". Statt ihre Arbeit zu machen, lenkten die Minister nun vom Thema ab, indem sie eine angeblich wachsende soziale Spaltung durch steigende Energiekosten diagnostizierten. "Die nüchternen Zahlen sprechen gegen sie: Die Strompreiserhöhungen sind primär nicht mit dem Umstieg auf die erneuerbaren Energien zu erklären, sondern mit einem noch immer fehlenden, ausreichenden Wettbewerb", so Özdemir.

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