Neuer Vertriebenen-Gedenktag:"Ein fatal falsches Signal"

Die Regierungskoalition will einen "Nationalen Gedenktag für die Opfer von Vertreibung" einführen. Eine Forderung mit politischem Zündstoff: Die Charta, die durch den Tag gewürdigt werden soll, wurde von SS- und SA-Funktionären mitverfasst.

Daniel Brössler

Für das Gedenken an die Opfer der Kriege gibt es in Deutschland einen festen Termin. Es ist der Volkstrauertag, zwei Sonntage vor dem ersten Advent. Seit 1996 gilt auch den Opfern des Nationalsozialismus ein Gedenktag. Es ist der 27. Januar, der Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Bald könnte ein weiterer Gedenktag hinzukommen, jedenfalls nach dem Willen von Union und FDP.

Heimatvertriebene vor Gedenkstein "Den Toten der Heimat"

Weil sie die Charta der Heimatvertriebenen als "wesentlichen Meilenstein auf dem Weg zur Integration und Aussöhnung" sieht, fordert die Regierungskoalition einen Nationalen Gedenktag für die Opfer von Vertreibung.

(Foto: BETZLER)

Sie haben eine Entschließung des Bundesrates von 2003 aus den Akten geholt. Gefordert wird darin ein "Nationaler Gedenktag für die Opfer von Vertreibung". Der neuerliche Vorstoß, über den der Bundestag an diesem Donnerstag berät, birgt geschichtlich-politischen Sprengstoff.

Das liegt nicht zuletzt am Termin, der den Initiatoren vorschwebt. Es ist der 5. August, der Jahrestag der Verkündung der Charta der Heimatvertriebenen 1950. "Wir Heimatvertriebenen verzichten auf Rache und Vergeltung", hatten die Landsmannschaften damals gelobt. In ihrem Antrag würdigen Union und FDP das als "wesentlichen Meilenstein auf dem Weg zur Integration und Aussöhnung". Unter Historikern ist die Charta umstritten. Sie sei "kein Versöhnungsdokument", betont Krzysztof Ruchniewicz, Direktor des Willy-Brandt-Zentrums an der Universität Breslau.

Tatsächlich enthält die "feierliche Erklärung" kein Eingeständnis eigener Schuld. Allgemein ist vom "unendlichen Leid" die Rede, "welches im Besonderen das letzte Jahrzehnt über die Menschheit" gebracht hat. Kein Wort findet sich darüber, dass im Besonderen Deutsche - darunter später Vertriebene - dieses Leid über Europa gebracht haben. "Es ist nicht ein Anflug von historischer und politisch-moralischer Distanz zu dieser Charta der Vertriebenen zu erkennen. Das ist unerhört", kritisiert Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) die Koalition.

Die Charta lese sich, als habe es Holocaust und Millionen Kriegstote nicht gegeben. Vielmehr bezeichneten sich die Vertriebenen als die "vom Leid dieser Zeit am schwersten Betroffenen". Ein "fatal falsches Signal" nennt auch Grünen-Chefin Claudia Roth die Gedenktag-Pläne. Union und FDP müssten "sich von diesem unsinnigen Vorhaben schnellstens verabschieden".

Vor der "katastrophalen Außenwirkung" eines Gedenktages anlässlich der Vertriebenencharta warnt Stephan Kramer, der Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland. "Man könnte auf die Idee kommen, das revanchistisch zu nennen", sagt er. "Die Charta, mit verfasst und unterzeichnet von SS- und SA-Funktionären sowie einem Beteiligten an dem Holocaust der ungarischen Juden, kann niemals - wie im Antrag der Koalition - als Gründungsdokument der Bundesrepublik bezeichnet werden", kritisiert die Linken-Abgeordnete Luc Jochimsen.

In ihrem Antrag erwähnen Union und FDP ausdrücklich den "unauflösbaren Zusammenhang" zwischen Vertreibung und deutscher Kriegsschuld, bezeichnen es aber als "überfällig, die Stigmatisierung der Opfer von Flucht und Vertreibung sowie deren Nachkommen zu beenden".

Thierse hält das für "ganz überflüssige Forderungen". Schließlich habe die "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" bereits mit Bundesmitteln ihre Arbeit aufgenommen und bereite eine Ausstellung vor. "Man rennt offene Türen ein und an anderer Stelle zerdeppert man Porzellan", urteilt Thierse. Außerdem führe eine "Inflationierung" zur Entwertung von Gedenktagen - "das ist wie beim Geld".

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