Diskussion über Antisemitismus in Frankreich:"Alle Gewalttaten werden heute von jungen Muslimen begangen"

Diskussion über Antisemitismus in Frankreich: Roger Cukierman (rechts), Präsident des jüdischen Dachverbands, mit Frankreichs Präsident Hollande

Roger Cukierman (rechts), Präsident des jüdischen Dachverbands, mit Frankreichs Präsident Hollande

(Foto: AP)
  • Vor einem Treffen mit Frankreichs Präsident Hollande sorgt der Präsident des Dachverbandes der Juden in Frankreich für Diskussionen.
  • "Alle Gewalttaten werden heute von jungen Muslimen begangen", sagte Roger Cukierman in einem Radio-Interview. Über die Vorsitzende des rechtsextremen Front National, Marine Le Pen, sagte Cukierman, ihr sei "persönlich nichts vorzuwerfen". Später relativierte Cukierman seine Aussagen.
  • Der Vertreter der französischen Muslime sagte nach den Äußerungen Cukiermans die Teilnahme am jährlichen Empfang des jüdischen Dachverbands ab.
  • Präsident Hollande kündigte dort am Abend ein härteres Vorgehen gegen Antisemitismus und Rassismus an.

Cukierman macht junge Muslime für Gewalt verantwortlich

Sieben Wochen nach den Terroranschlägen von Paris hat der Präsident des jüdischen Dachverbands in Frankreich (CRIF) mit Aussagen über Muslime für Diskussionen gesorgt. Man müsse die Fakten benennen, sagte Roger Cukierman in einem Interview mit dem Radiosender Europe 1 am Montagmorgen: "Alle Gewalttaten werden heute von jungen Muslimen begangen."

Es handele sich um eine sehr kleine Minderheit der muslimischen Gemeinde und die Muslime sind die ersten Opfer dieser Gewalttaten, fügte der 78-jährige Banker und Geschäftsmann hinzu, der auch Vizepräsident des Jüdischen Weltkongresses (WJC) ist.

In dem Radio-Interview war Cukierman gefragt worden, ob französische Juden heute eher geneigt seien, ihre Stimme in Zukunft dem rechtsextremen Front National (FN) zu geben. Bei den Anschlägen auf die Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo und einen koscheren Supermarkt waren in Paris Anfang Januar 17 Menschen getötet wurden, vier von ihnen Juden.

Cukierman antwortete: "Der Front National ist eine Partei, die ich nie wählen würde. Aber es ist eine Partei, die heute keine Gewalttaten begeht." Der Parteivorsitzenden Marine Le Pen sei persönlich "nichts vorzuwerfen".

Muslime empört über Cukiermans Aussage

Der Präsident des Zentralrats der Muslime in Frankreich (CFCM), Dalil Boubakeur, kündigte daraufhin an, nicht am jährlichen Empfang des jüdischen Dachverbands am Montagabend in Paris teilzunehmen. Cukiermans Äußerungen seien "unverantwortlich und nicht hinnehmbar", teilte die Organisation mit.

Das Kollektiv gegen Islamophobie in Frankreich (CCIF) kündigte an, eine Anzeige gegen Cukierman zu prüfen.

Ein Abgeordneter der französischen Sozialisten rief laut Le Figaro alle politisch Verantwortlichen auf, den Empfang zu boykottieren. Präsident Hollande und Premierminister Manuel Valls erschienen trotzdem.

Am Abend rudert Cukierman zurück

Am Abend relativierte Cukierman seine Aussagen vor 700 geladenen Gästen im Pariser Hotel Pullman-Montparnasse. Er habe nur klarstellen wollen, dass "alle Terroristen, die in letzter Zeit Morde begangen hätten, sich auf den Islam beriefen". Die ersten Opfer dieser Terroristen seien die Muslime.

Cukierman äußerte sein Bedauern darüber, dass Boubakeur als Vertreter der französischen Muslime dem Empfang fernblieb. Die beiden verbinde eine alte und ernste Freundschaft. Juden und Muslime, sagte Cukierman, "wir sitzen im selben Boot".

Auch in seiner umstrittenen Äußerung über die FN-Chefin ruderte Cukierman zurück. Marine Le Pen sei weder "salonfähig noch unbescholten", solange sie sich nicht von den Äußerungen ihres Vaters Jean-Marie Le Pen distanziere, für die dieser verurteilt worden war. Er und Marine Le Pen teilten nicht "dieselben moralischen Werte", sagte Cukierman.

Hollande will härter gegen Antisemitismus vorgehen

Frankreichs Präsident Hollande äußerte sich nicht zu den Aussagen Cukiermans. Er kündigte bei dem Empfang des jüdischen Dachverbands "schnellere und effizientere Strafen" bei Volksverhetzung an. So sollen rassistische, antisemitische und homophobe Äußerungen in Zukunft nicht mehr unter das Presserecht, sondern unter das Strafrecht fallen.

Zudem sprach Hollande sich dafür aus, dass bei Straftaten antisemitische Motive als erschwerender Umstand gewertet werden. Mit etwa 500.000 Mitgliedern ist die jüdische Gemeinde in Frankreich die größte in Europa.

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