Diskriminierung von Minderheiten:Wie Europa den Roma helfen will

Zehn bis zwölf Millionen Roma leben in Europa unter schwierigen bis katastrophalen Bedingungen. Nach einer Brandrede der EU-Justizkommissarin haben die Staaten gelobt: Diskriminierung aufgrund der Rasse darf in Europa keinen Platz haben. Nun beglückwünscht sich die EU zu einem Rahmenplan. Aber ob das Papier die Lage der Roma verbessert, ist fraglich.

Marlene Weiss, Brüssel

Von ethnischen Säuberungen war die Rede, aber auch von gescheiterter Integration, als Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy systematisch Roma-Gruppen des Landes verwies - das war im vergangenen Herbst. Die Aufregung war groß: Sarkozy musste sich von EU-Justizkommissarin Viviane Reding erklären lassen, dass Diskriminierungen aufgrund der Rasse in Europa keinen Platz haben.

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Roma sind in Europa oft massiv benachteiligt - mit einer Lebenserwartung, die etwa zehn Jahre unterhalb derer der Gesamtbevölkerung liegt, Beschäftigungsquoten weit unter 50 Prozent, einem geringen Anteil von Jugendlichen, die weiterführende Schulen besuchen, und häufig keinem Zugang zu Trinkwasser oder sanitären Anlagen.

(Foto: AFP)

Die Brandrede hat Wirkung gezeigt. Plötzlich gelobten alle, sich um Verbesserung der schwierigen Lage der zehn bis zwölf Millionen Roma in der EU zu bemühen. Die Ungarn, deren erste Ratspräsidentschaft jetzt zu Ende geht, haben sich das Thema besonders auf die Fahnen geschrieben und im April einen EU-weiten "Rahmenplan für nationale Roma-Strategien" vorgelegt. Am Freitag hat der Rat den Plan auf dem EU-Gipfel in Brüssel verabschiedet. Aber ob das Papier auch den Roma etwas bringt, ist fraglich.

In Brüssel beglückwünscht man sich zu dem Papier. Darin werden alle Mitgliedsstaaten aufgefordert, bis Ende des Jahres Reformprogramme für die Roma-Bevölkerung bis zum Jahr 2020 vorzulegen. So sollen die Roma endlich Zugang zu Bildung, Beschäftigung, Gesundheitsfürsorge und Wohnraum erhalten.

Noch sind sie auf all diesen Bereichen massiv benachteiligt - mit einer Lebenserwartung, die etwa zehn Jahre unterhalb derer der Gesamtbevölkerung liegt, Beschäftigungsquoten weit unter 50 Prozent, einem geringen Anteil von Jugendlichen, die weiterführende Schulen besuchen, und häufig keinem Zugang zu Trinkwasser oder sanitären Anlagen.

"Die ungarische Regierung hat die Messlatte mit ihrem Programm sehr hoch gesetzt, Ungarn kann ein großartiges Beispiel für andere Länder sein", sagt Livia Jaroka. Die junge EU-Abgeordnete ist die perfekte Vorzeige-Parlamentarierin der ungarischen Ratspräsidentschaft: Sie ist nicht nur die einzige Angehörige der Roma, sondern auch noch Mitglied der ungarischen Regierungspartei Fidesz.

Aber auch in Ungarn terrorisieren immer wieder nationalistische Gruppierungen die Roma-Bevölkerung, trotz Bemühungen der Regierung, die Bürgerwehren zu entmachten. "Ja, es gibt Spannungen", räumt Jaroka ein, "aber das wird von den Medien und manchen politischen Gruppen stark übertrieben, aus sehr selbstsüchtigen Gründen." Auch mit der EU-Strategie ist sie zufrieden: "Ich glaube, es ist eine großartige Errungenschaft", sagt sie - auch wenn ein Jahr zu kurz sei, um für die Roma wirklich etwas zu ändern.

Dabei hat sich durchaus etwas geändert - zum Schlechteren. "Die Staaten haben bei weitem nicht genug getan, und die Krise hat die Situation für die Roma noch verschlimmert", sagt die Sprecherin von Laszlo Andor, EU-Kommissar für Soziales und Integration. Darum soll jetzt, mit dem Rahmenplan, alles anders werden. "Ich glaube, wie eine Gesellschaft ihre Minderheiten behandelt, ist ein Maßstab für ihre Zivilisation; und der andauernde Ausschluss der Roma von Gesellschaft und Arbeitsmarkt ist keine Option, so einfach ist das", sagte der Kommissar selbst kürzlich bei einer Konferenz zur Integration von Roma in Bulgarien mit Hilfe des EU-Strukturfonds. So einfach ist das.

Es ist auch nicht so, dass es an Geld aus Brüssel mangeln würde. Für die Finanzierungsperiode 2007 bis 2013 sind allein aus dem Europäischen Sozialfonds und dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung mehr als eine Milliarde Euro für die Roma-Förderung vorgesehen, hinzu kommen nationale Programme. Nur ist fraglich, wie sinnvoll das Geld genutzt werden kann, und was sich mit EU-Geld erreichen lässt.

Vertreter von Roma-Vereinen und Hilfsorganisationen fordern auch nicht unbedingt mehr Geld; sie wollen nur, dass Brüssel endlich handelt. "Die EU-Strategie geht nicht das Diskriminierungsproblem an, das eng mit den schrecklichen sozio-ökonomischen Lebensbedingungen der Roma zusammenhängt", sagt Rob Kushen, der Leiter des Europäischen Zentrums für Roma-Rechte (ERRC). Kushen hat an den US-Universitäten Columbia und Harvard studiert und war jahrelang Berater des US-Außenministeriums; mangelhafte Ausbildung dürfte sein geringstes Problem sein. Er befürchtet eher, dass auf die neue EU-Strategie keine echten Verbesserungen der Strukturen folgen.

Tatsächlich gibt es etwa in Tschechien bereits eine Roma-Strategie; und die tschechischen Behörden hätten kürzlich bereits verlauten lassen, dass sie diese für ausreichend hielten, sagt Kushen. Dabei wird Tschechien regelmäßig dafür kritisiert, dass Roma-Kinder systematisch auf Sonderschulen abgeschoben werden. Zwar gibt es einen Nationalen Handlungsplan für integrative Bildung, den ein internationales Expertenteam umsetzen sollte. Aber im Mai gaben 50 der Experten entnervt auf, darunter die Vertreter von Amnesty International (AI).

Auch AI kritisiert die EU-Roma-Strategie als zu schwach. "Unter der derzeitigen Führung des Bildungsministeriums wird es immer offensichtlicher, dass integrative Bildung reine Rhetorik bleiben wird", begründeten die Experten ihre Entscheidung.

"Das Mindeste, was wir uns wünschen würden, wäre, dass die EU-Mitgliedsstaaten spezifische, relevante Daten sammeln, etwa der Anteil von Roma-Kindern, die eine weiterführende Schule abschließen", sagt Kushen. Dann sollten die Staaten verbindliche Ziele aufstellen, und Pläne, wie und wann sie diese erreichen wollen. "Das hat bis jetzt noch kein Land getan."

Die Roma-Strategie, mit der Ungarn mit leuchtendem Beispiel vorangehen will, spart zwar nicht mit üppigen Zahlen: 100.000 arbeitslose Roma sollen in den Arbeitsmarkt integriert werden, 20.000 eine Berufsausbildung erhalten, 10.000 Roma-Jugendliche beim Abschluss einer Sekundarschule unterstützt werden. Aber wie das konkret erreicht werden soll, ließ die ungarische Regierung bislang offen.

"Wir hätten uns mehr gewünscht, aber angesichts der politischen Dimension ist es gut, dass das Thema überhaupt auf der Tagesordnung steht", sagt Manfred Weber (CSU), stellvertretender Fraktionsvorsitzender im EU-Parlament. Es soll auch noch konkreter werden, spätestens, wenn es wieder ums Geld geht. Weber will bei der Vorbereitung der Finanzdossiers prüfen, wie die Strategie EU-Politik werden kann. Vielleicht sind Brüssel und Straßburg aber einfach die falschen Orte, um für die Roma wirklich etwas voranzubringen.

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