Diplomatie:Sticheleien aus Stockholm

Schwedens Außenministerin Wallström teilt auf Twitter mit, die Türkei erlaube Sex mit Kindern unter 15 Jahren. Die Regierung in Ankara reagiert empört. Tatsächlich ist der Fall komplizierter als sich in einer Kurznachricht erklären lässt.

Von Silke Bigalke, Luisa Seeling, Stockholm/München

Margot Wallström ist bekannt dafür, dass sie zuweilen eher emotional reagiert als diplomatisch. Der schwedischen Außenministerin hat das schon früher Ärger eingehandelt, nun kommt der Ärger aus Ankara. Auslöser des Streits ist ein Tweet: "Die türkische Entscheidung, Sex mit Kindern unter 15 zu erlauben, muss rückgängig gemacht werden", schrieb Wallström jüngst. "Kinder brauchen mehr Schutz, nicht weniger, gegen Gewalt, sexuellen Missbrauch." Es ist eines ihrer Herzensthemen, Wallström war UN-Sonderbeauftragte zum Thema sexuelle Gewalt in Konflikten. Ihre Außenpolitik nennt sie "feministisch", mit einem Fokus auf Menschenrechte, Rechte von Frauen und Mädchen.

Die Sache mit dem türkischen Missbrauchsgesetz ist jedoch komplizierter als ihr Tweet erkennen lässt, die Regierung in Ankara reagierte verärgert. Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu warf Wallström "Lüge" und "Verleumdung" vor. Es sei ein Skandal für einen Außenminister, solche "Falschinformationen oder Spekulationen" zu posten, sagte er im Fernsehen. Der Vertreter des schwedischen Botschafters wurde einbestellt. Vize-Premier Mehmet Şimşek antwortete per Twitter: "So etwas Dummes gibt es in der Türkei nicht. Bitte überprüfen Sie ihre Fakten."

Im Mai hat das türkische Verfassungsgericht die Rechtslage zum Kindesmissbrauch verändert

Im Mai hatte das türkische Verfassungsgericht entschieden, eine Klausel im Strafgesetzbuch aufzuheben, die sexuelle Handlungen mit Kindern unter 15 Jahren grundsätzlich als Missbrauch einstuft - also auch einvernehmlichen Sex zwischen 14-Jährigen. Ein Bezirksgericht hatte zuvor bemängelt, dass das Gesetz nicht zwischen den Altersgruppen unterscheide. Das türkische Parlament hat nun sechs Monate Zeit, es zu ändern, bevor die Klausel Anfang 2017 annulliert wird. Es werde keine Gesetzeslücke entstehen, versicherte das Justizministerium.

Türkische Menschenrechtsorganisation sind dennoch alarmiert. Die Koordinatorin der Istanbuler Women's Associations, Nazan Moroğlu nannte die Argumentation unsinnig, da jeder Richter schon jetzt einen Ermessensspielraum habe. Die Änderung werde "dazu führen, dass Kinder sexuellem Missbrauch und Vergewaltigung eher ausgesetzt sind", und "dass mehr Mädchen in jungen Jahren verheiratet werden", sagte sie. Kinderrechtsexperten verweisen darauf, dass jeder unter 18 Jahren gemäß internationalen Konventionen per Definition "Kind" sei. "Das Einvernehmen des Kindes zu suchen in Fällen von Missbrauch steht völlig außer Frage", sagte die Vorsitzende der Gesellschaft zur Prävention von Kindesmissbrauch, Bahar Gökler. Das türkische Verfassungsgericht stellte klar, dass sexueller Missbrauch von Kindern strafbar bleibe. In den "internationalen Schlagzeilen" sah es den Versuch, "das Land zu diffamieren".

Sie bereue ihre Aussage nicht, sagte Wallström. Zuvor hatte sie sich durch Kommentare zu Rechtsfragen schon mit Israel und Saudi-Arabien angelegt. In Schweden musste sie sich nun fragen lassen, ob ihre Kritik an der Türkei voreilig gewesen sei. "Ich habe mich korrekt ausgedrückt und es hat zu etwas Positivem beigetragen", sagte sie der Zeitung Svenska Dagbladet. Türkische Organisationen hätten sie unterstützt. "Wofür soll ich mich entschuldigen, dafür, dass ich für die Rechte von Kindern einstehe?" Die Diskussion habe zur Klärung beigetragen, was die Haltung des Verfassungsgerichts bedeute.

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