Digital-Strategien der deutschen Parteien:"Nah bei de Leut'" statt "Yes, we can"

Lesezeit: 3 min

Der Obama-Hype ist vorbei. Vor vier Jahren überboten sich die deutschen Wahlkämpfer darin, dem US-Präsidenten in Sachen Online-Wahlkampf nachzueifern. Jetzt gilt plötzlich Kurt Beck als neuer Spiritus Rector. Im Web wird trotzdem weitergemacht: zur Bespaßung der eigenen Leute.

Von Michael König, Berlin

Arme kleine Abigail! Weinte bitterlich, das vierjährige Mädchen, weil sie die Dauerwerbung von Mitt Romney und einem gewissen "Branco Bamma" nicht mehr ertrug. Ihre Mutter hielt die kullernden Tränen auf Youtube fest, die Materialschlacht des US-Wahlkampfs hatte im Oktober 2012 ein Gesicht.

Derartige Tränen wegen Reizüberflutung sind hierzulande nicht zu erwarten. Und wenn doch, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Wahlkämpfer in der Nähe, der Taschentücher mit Parteilogo reicht.

Der alles beherrschende Trend im Bundestagswahlkampf ist so simpel wie steinalt: "Nah bei de Leut" sein. Darin waren sich die Wahlkampfstrategen fünf großer Parteien - SPD, Grüne, FDP, Linke und Piraten - einig, als sie in Berlin zu einem Kongress der Heinrich-Böll-Stiftung zusammenkamen. Nur die CDU hatte die Veranstaltung geschwänzt, was tief blicken lässt, aber dazu später mehr.

"Es geht darum, die Menschen zu erreichen. Darin liegt der Schlüssel", sagte Hans-Roland Fäßler, Wahlkampfleiter der SPD. Deren Kanzlerkandidat Peer Steinbrück will mit fünf Millionen "Hausbesuchen" in deutschen Wohnzimmern Wähler von sich überzeugen.

Steffi Lemke, Wahlkampfmanagerin der Grünen, wiederholt seit Tagen mantraartig: "Nichts ist so überzeugend wie ein überzeugter Wahlkämpfer." Die Grünen haben ihre Spitzenkandidaten und ihre Wahlkampf-Schwerpunkte von den Mitgliedern bestimmen lassen, jeweils begleitet von bundesweiten Veranstaltungen.

Auch Dennis Schmidt-Bordemann, Leiter der "Abteilung Strategie" bei den Liberalen, sagt: "Die FDP hat nie auf eine Medienstrategie gesetzt, sondern es ging darum, die Menschen zu erreichen." Und selbst die Piraten kündigten in Berlin an, nicht nur im Internet zu werben, sondern verstärkt an Wahlkampfständen.

Das steht im krassen Kontrast zum Wahlkampf 2009, als der digitale Raum als wichtigste Bühne galt. Mit Blick auf die USA polierten die Parteien ihre Websites auf, verschickten Massen-E-Mails und erstellten wie verrückt Accounts in sozialen Netzwerken - mit unglaubwürdigen bis peinlichen Resultaten. "Allein der Versuch, den Wahlkampf so zu gestalten wie in den USA, wirkte vollkommen überzogen", sagt rückblickend der Politikwissenschaftler Christoph Bieber von der Uni Duisburg-Essen.

Schon die Wahlkampf-Budgets wirken im Vergleich geradezu niedlich: Obama und Romney investierten umgerechnet 1,5 bis zwei Milliarden Euro, das Gesamtbudget von SPD, CDU/CSU, Grünen, FDP, Linken und Piraten liegt insgesamt bei 66,9 Millionen Euro. Insgesamt gibt es mehrere Gründe, warum sich die Obama-Strategie nicht eins zu eins auf Deutschland übertragen lässt - Matthias Kolb hat sie in diesem SZ.de-Artikel gesammelt.

Die Wahlkampfstrategen haben entsprechend umgeschwenkt, sie benutzen das Internet jetzt gewissermaßen als Intranet. Wie ein Unternehmen, das im firmeneigenen Netzwerk den Speiseplan der Kantine veröffentlicht, nutzen Parteien ihre Online-Kanäle, um die Motivation der Wahlkämpfer zu pushen, damit die wiederum Nicht-Wahlkämpfer überzeugen.

"Wir wollen Menschen mit Menschen überzeugen, egal ob bei Facebook oder auf der Straße", sagte Robert Heinrich, Wahlkampfmanager der Grünen, beim Böll-Kongress in Berlin. Das Internet werde "zur internen Mobilisierung sehr, sehr wichtig".

Frank Wilhelmy, Gegnerbeobachter in Diensten der SPD, ging sogar noch weiter: Die Social-Media-Beiträge der eigenen Wahlkampfzentrale dienten in erster Linie der "Bespaßung der eigenen Anhänger. Man verbringt viel Zeit damit, aber den Bürger am Arbeitsplatz, den erwischt man damit eher selten." (Von Obama kopiert wird dabei freilich immer noch: Seine Comicfigur "Julia" tauchte vier Monate nach der US-Wahl als "Elli" bei der SPD wieder auf.)

Zudem sei, vor allem bei Wahlkampf-Videos, der eigene Anspruch sehr hoch. "Wenn man da etwas macht, dann muss es einigermaßen witzig sein. Die 'Heute Show' im ZDF ist da der Standard, an dem wir uns orientieren."

Was die SPD für ausreichend witzig hält, ist an diesem Video zu erkennen, in dem ein Mitarbeiter des Parteivorstands ein "Wahlgeschenk" der Bundeskanzlerin auspackt - mit vorhersehbarer Pointe. Eine Antwort der CDU ist relativ wahrscheinlich, der Politikwissenschaftler Bieber sieht generell einen Trend zum Wahlkampf-Clip: "Die Infrastruktur ist in diesem Bereich stärker geworden", das zeige sich etwa in Formaten wie der "Tele-Townhall", in der Kanzlerin Merkel ihre Wende bei der Mietpreis-Politik der Union verkündete.

Was die Union en detail vorhat, war beim Kongress der Böll-Stiftung jedoch nicht zu erfahren. Das Konrad-Adenauer-Haus sagte aus Termingründen ab und stärkte den Verdacht, die enorme Popularität der Kanzlerin nicht unnötig durch Wahlkampf-Maßnahmen gefährden zu wollen - erst kurz vor der Wahl, so ist zu hören, solle dem Wähler die Frage "Merkel oder Steinbrück" nahegelegt werden.

Stattdessen bat der Moderator und Journalist Thomas Leif den Politikberater Peter Radunski ans Mikrofon, der als Wahlkampfmanager unter anderem Helmut Kohl gedient hat.

Radunski attestierte der Union, sie habe bislang noch keine Strategie erkennen lassen, außer der, möglichst viele Gespräche mit Wählern zu führen - egal ob im Web oder auf der Straße. Worum es in diesen Gesprächen gehen solle, das sei jedoch bislang unklar. Das Wahlprogramm von CDU und CSU werde schließlich erst noch verabschiedet. "Oder soll es nur um Angela Merkel gehen?" Das, so die Schlussfolgerung des 74-Jährigen, "wäre wirklich revolutionär".

© Süddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: