Diesel:Hamburger Signal

Tag eins im Stadtteil Altona: 100 Schilder für kaum 2200 Meter Straße. Anwohner freuen sich, Nachbarn ärgern sich, und der Umweltsenator kommt zu seinem großen Auftritt.

Von Peter Burghardt

Fahrverbot für Diesel-Fahrzeuge

Hier darf nicht mehr jeder durch: die Stresemannstraße im Hamburger Stadtteil Altona am Donnerstag.

(Foto: Daniel Bockwoldt/dpa)

Natürlich ist dies auch ihr Tag. Sie kämpfen seit Jahren dafür, dass die Luft in Hamburg und speziell vor ihrer Haustür sauberer wird und der Lärm nachlässt. Beim rot-grünen Senat haben diese Frauen schon 2015 Anträge auf Verkehrsberuhigung gestellt. Als nicht mal eine Antwort kam, haben sie geklagt. Jetzt stehen auch diese Rentnerinnen an einem sonnigen, kuriosen und irgendwie historischen Morgen an der Max-Brauer-Allee, halten Plakate vor Kameras und schauen zu, was passiert.

Auf den neuen Schildern neben ihnen steht, dass Diesel-Fahrzeuge bis einschließlich Euro 5 nicht mehr durchfahren dürfen, Anlieger frei. Erlaubt ist seit diesem 31. Mai 2018 nur noch die moderne Abgasnorm Euro 6, das gilt für Lastwagen auch an der Stresemannstraße ein paar Ecken weiter. 100 solche Hinweise wurden aufgestellt, für alles in allem kaum 2200 Meter Straße. Erstmals in Deutschland müssen Fahrer veralteter Dieselmodelle bestimmte Gebiete meiden. Und, merkt sie schon was? Maria Wendeler lacht, die Autos preschen vorbei wie gehabt. Aber immerhin: "Das ist ein Signal", sagt sie, "eine erste Antwort."

Sie hat ein Pappschild mit der Aufschrift 30 dabei, auch eine Geschwindigkeitsbegrenzung fordern diese Aktivistinnen. "Symbolpolitik pur", ist auf anderen Transparenten zu lesen oder "Placebos reichen nicht!" Eine will "die Innenstädte am liebsten ganz dichtmachen". Fernsehen und Fotografen sind da, Greenpeace demonstriert ("Verkehrswende. Jetzt.") - so gut kommt man selten ins Bild. Nachher hängen sich Maria Wendeler, Charlotte Lill und ihre Mitstreiterinnen stilisierte Lungenflügel aus Papier vor die Brust. Außer um Autos geht es ja um die Gesundheit.

Maria Wendeler hat das Gefühl, dass ihre Stimme in Hamburg kratzt und die Atmung schwerer falle. Sie sind alle Ende sechzig oder Anfang siebzig und leben in einer Wohngemeinschaft nahe der Messstation. Die Grenzwerte vor allem für Stickoxid sind dort und an anderen Stellen dermaßen schlecht, dass sogar die EU-Kommission eine Klage gegen Deutschland einreichte. Hamburg reagiert jetzt auf seine Weise und sperrt ausgewählte Passagen für die größten Dreckschleudern, das Bundesverwaltungsgericht stimmt zu. Aber funktioniert das? Macht es Sinn?

Eine Demonstrantin aus der Nachbarschaft sagt: "Jetzt krieg' ich die Lkws ab."

Da gehen die Meinungen auseinander, gerade zum Einstand an diesem Donnerstag. Fronleichnam ist im Norden kein Feiertag, sondern ein Werktag, man konnte den Betrieb also mit anderen Arbeitstagen vergleichen. Das subjektive Ergebnis: Auf den ersten Blick ist fast alles wie immer.

Die Sattelschlepper und anderen Lkws schieben sich wie üblich fauchend durch die Stresemannstraße, die quer durch Hamburg zur Autobahn führt. Außerdem legt der Hamburger Umweltsenator Jens Kerstan von den Grünen Wert auf die Feststellung, dass es sich um keine Dieselfahrverbote handle, sondern um Durchfahrtsbeschränkungen. Das erinnert an die Debatte um die Elbvertiefung, die offiziell Fahrrinnenanpassung heißt. Aber es stimmt schon: Tatsächlich gibt es für die gesperrten Routen Umleitungen - sie sind auf den Schildern ausgewiesen und skurriler Teil des Problems.

Denn erstens sind diese Umleitungen bis zu dreimal so lang wie der direkte Weg, und für Fremde kompliziert. Zweitens entlasten sie zwar die beiden Straßen mit ihren Messgeräten, belasten aber die Nachbarschaft, was zu Verwerfungen führt. "Jetzt krieg' ich die Lkws ab", klagt eine Demonstrantin mit Mundschutz. Auch werden zwei andere Hamburger Strecken mit zu hohen Grenzwerten nicht reglementiert, weil das den Planern zu heikel ist. Ganz zu schweigen vom Hamburger Welthafen, dessen Containerriesen, Kreuzfahrtschiffe und Lastwagen die Stadt verpesten.

Viele Hamburger halten die Dieselmanöver für Quatsch. "Schwachsinn", zetert ein Fußgänger, als er sieht, wie jemand von Greenpeace den Schriftzug "Saubere Luft. Jetzt" auf den Gehweg sprüht. Und wer kontrolliert was? Die Polizei will am Anfang nur informieren und nicht bestrafen. Später sind Geldbußen vorgesehen, 25 Euro (Pkw) bis 75 Euro (Lkw). Allerdings müsste dafür jedes Mal der Kfz-Schein besichtigt werden. Von außen ist ja selten zu erkennen, welche Euro-Norm ein Vehikel erfüllt.

Jens Kerstan verteidigt seinen sehr umstrittenen Vorstoß selbstbewusst, als er im strahlend weißen Altonaer Rathaus Presse und Protestierer empfängt. Das Land schaut auf ihn, es ist sein Auftritt. Durchfahrtsbeschränkungen seien nie das Ziel gewesen, hebt er an. Das Ziel sei, die Hamburger vor schädlichen Abgasen zu schützen. Man habe keine Wahl mehr gehabt.

"Temporär" sei die Sperrung, bis die Werte sinken, verspricht der Umweltsenator. "Das ist nur die zweitbeste Lösung, weil wir die beste nicht anordnen dürfen", das wäre für ihn die Umrüstung von Dieselmotoren plus blaue Plaketten. "Wir haben unseren Job gemacht", sagt er. Jetzt müssten Bundesregierung und Automobilindustrie ihren machen, vorneweg Verkehrsminister Andreas Scheuer von der CSU. Kerstan listet weitere Punkte seines grünen Luftreinhalteplans auf: E-Mobile, Radwege, Landstrom. Bis 2020 sollen statt auf derzeit 40,8 nur noch auf 6,5 von 4000 Hamburger Straßenkilometern die Grenzwerte überschritten werden.

Die Klägerinnen mit ihren Bannern hören zu, skeptisch. "Die Maßnahme ist ja notwendig, aber sie reicht nicht", sagt Maria Wendeler, sagt Charlotte Lill, so sehen das viele Ökologen. Andersdenkende dagegen wettern, die Umweltleute machten Arbeitsplätze kaputt und den Hafen. Dann gehen die Frauen heim und hoffen, dass sie in ihrer Max-Brauer-Allee ein wenig besser atmen können.

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