Dienstleistungs-Streik:"Vermüllte Städte werden zum Alltag gehören"

Streik in Kindergärten und bei der Müllabführ: Bis zu sechs Wochen soll der Ausnahmezustand dauern - die Kommunen befürchten chaotische Zustände und verteilen vorsorglich schon mal Müllsäcke an die Bürger.

Dagmar Deckstein

Zeitgleich mit der Streikfront formiert sich auch eine Wetterfront über Baden-Württemberg, die Schnee mit sich bringt. Dies könnte sich noch als unheilvolle Koinzidenz für Autofahrer wie Fußgänger erweisen. Denn auch die Mitarbeiter des Tiefbauamts streiken, und der Winterdienst wird eingeschränkt. "Bei Schnee werden wir gegebenenfalls nur eine Fahrspur freihalten", verkündete der Stuttgarter Bezirksgeschäftsführer von Verdi, Bernd Riexinger.

100.000 blaue Müllsäcke für die Bürger

Auch an anderen Schauplätzen der landesweiten Streikwelle werden sich die Bürger warm anziehen müssen. Während sich vor dem Stuttgarter Rathausplatz am ersten Streiktag kurz vor zwölf rund 2000 städtische Bedienstete zu einer Kundgebung versammelten, malte Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster drinnen im Saal auf der Pressekonferenz allerlei Probleme an die Wand: "Vermüllte Stadtviertel werden in der nächsten Zeit zum Alltag gehören", unkte er.

Und sein für Technik zuständiger Bürgermeister Dirk Thürnau, der auch für die Abfallbeseitigung verantwortlich zeichnet, legte nach: "Auch die Fußgängerzone wird nach der Notdienstvereinbarung mit Verdi nur gereinigt, wenn hygienische Missstände drohen."

Einstweilen behilft sich die Landeshauptstadt damit, täglich 100.000 blaue Müllsäcke an die Bürger zu verteilen- garniert mit dem Appell, "den Gebrauchsgüterkonsum entsprechend den Umständen anzupassen".

Die hoch organisierten Müllwerker markieren wie immer die Speerspitze im Streik der öffentlich Bediensteten. Allein in Stuttgart sind schon am ersten Tag mehr als 500 von den insgesamt 770 Arbeitern im unbefristeten Ausstand. Keine Frage, dass das die in Sachen Sauberkeit recht peniblen Bürger im Südwesten besonders hart treffen dürfte.

Ähnlich sah es am ersten Streiktag auch in anderen Kommunen Baden-Württembergs aus; zwischen Mannheim, Freiburg, Karlsruhe und Stuttgart zählte die Gewerkschaft Verdi etwa 10.000 Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes im Ausstand. Allein im Klinikum Stuttgart fielen 100 geplante Operationen aus.

In den Kliniken will Verdi den Druck auf die Arbeitgeber Schritt für Schritt erhöhen, indem die Arbeitsniederlegungen in jeder der sechs anberaumten Streikwochen ausgedehnt werden sollen. Besonders bitter betroffen sind Eltern, die am Montag vor verschlossenen Türen der Kindergärten standen und die Kinderbetreuung selbst organisieren mussten.

In Baden-Württemberg beginnen die Streiks zunächst nur in den Städten und Gemeinden. Der kommunale Arbeitgeberverband im Südwesten hatte als Erster Ende November 2005 den kurz zuvor von Bund, Kommunen und Verdi unterzeichneten, neuen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst gekündigt, um eine darin enthaltene Öffnungsklausel zu nutzen.

Niedersachsen und Hamburg ziehen nach

Dass in Baden-Württemberg nun auch als erstes gestreikt wird, dürfte indes auch etwas mit der bevorstehenden Landtagswahl Ende März zu tun haben, vor der die Gewerkschafter Stärke zeigen wollen.

Die Öffnungsklausel sieht vor, dass sich die Tarifpartner auf längere Arbeitszeiten als die bisherige 38,5-Stunden-Woche für die westdeutschen Kommunalbeschäftigten verständigen können. Die Arbeitszeit könnte bis hin zur 40-Stunden-Woche ausgeweitet werden, wie sie für ostdeutsche Beschäftigte gilt.

Inzwischen sind auch Niedersachsen und Hamburg dem baden-württembergischen Beispiel gefolgt; dort laufen die Streikvorbereitungen an.

So ganz nachzuvollziehen ist der Ernst der Lage, die den Streik rechtfertigen soll, allerdings nicht. Die Gewerkschaft wirft den kommunalen Arbeitgebern vor, sie wollten die angestrebte Mehrarbeit - 18 Minuten pro Tag - eins zu eins in Stellenabbau ummünzen. Die wiederum beschimpfen die Verdi-Unterhändler, sie hätten den Verhandlungstisch fluchtartig verlassen, um den Streik anzetteln zu können.

Der Ökonom Bernd Rürup liegt wohl nicht ganz falsch, wenn er sagt: "Ich sehe darin im Wesentlichen einen Stellvertreterkonflikt, weil neben der IG Metall ja Verdi im öffentlichen Dienst die konfliktfähigste Gewerkschaft ist." Mit dem Streik solle auch ein Signal für die Kampfbereitschaft der Gewerkschaften gesetzt werden.

Stuttgarts Oberbürgermeister Schuster jedenfalls schürt schon mal die Emotionen an der Front der Streikopfer und spricht vom "Arbeitskampf gegen die Bürgerinnen und Bürger", die sich mangels Waffengleichheit nicht gegen die Zumutungen des Ausstands wehren könnten. Außer eben durch Konsum- und Müllvermeidung.

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