Die Vorwürfe:"Ungezügelte und systemische Korruption"

Lesezeit: 3 min

Betrug und Geldwäsche: Ermittler in den USA legen die Zustände im Weltfußballverband offen. Und sie kündigen bereits an, dies sei "nicht das letzte Kapitel".

Von René Hofmann

Das Timing hätte aussagekräftiger nicht sein können. Ungefähr zu der Zeit, als am Mittwochvormittag in Zürich Fifa-Kommunikationschef Walter de Gregorio vor die Presse trat und erklärte, er könne keine Namen von Verhafteten bestätigen, und den Eindruck erwecken wollte, das Großreinemachen gehe auf den Weltfußballverband selbst zurück, wandte sich auch das Justizministerium der USA an die Öffentlichkeit. In einer Erklärung wurden nicht nur die Verhafteten mit Namen, Alter, Nationalität und Funktion genannt. Es wurden auch die gegen sie erhobenen Vorwürfe geschildert, und Justizministerin Loretta Lynch gab höchstselbst eine Einschätzung ab. Der Kontrast zu dem Bild, das die Fifa malte, hätte größer nicht sein können.

"Die Anklage lautet auf Korruption, die zügellos, systemisch und tief verwurzelt ist", ließ Lynch, 56, wissen. "Mindestens zwei Generationen" von Fußballfunktionären hätten ihre Positionen missbraucht, um durch Bestechung und Kickback-Zahlungen (verdeckte Provisionen) Millionen anzuhäufen: "Sie haben das weltweite Fußballgeschäft korrumpiert, um sich selbst zu bereichern. Sie haben es immer und immer wieder gemacht. Jahr um Jahr, Turnier um Turnier." Ans Ende ihrer Ausführungen setzte die Politikerin der Demokratischen Partei einen Satz, den etliche ihrer Kollegen in aller Welt als Aufforderung verstehen dürfen - und Fifa-Chef Sepp Blatter als Drohung: Dieser Mittwoch verdeutliche, dass das US-Justizministerium entschlossen sei, die Schuldigen einer gerechten Strafe zuzuführen, "wir freuen uns, mit anderen Staaten an dieser Aufgabe weiterzuarbeiten", so Lynch.

Der Druck auf den Fußballweltverband, dem 209 nationale Verbände angehören, dürfte zunehmen. "Lassen Sie es mich deutlich sagen: Diese Anklage ist nicht das letzte Kapitel unserer Untersuchung", kündigt Staatsanwalt Kelly Currie an. Seine Anklage umfasst 47 Punkte. Sie wurde am Mittwoch am Bundesgericht in Brooklyn, New York eingebracht. Insgesamt sind 14 Personen angeklagt. Neun stehen in Verbindung zur Fifa, die anderen sind Entscheidungsträger von Sportmarketing- Firmen sowie ein Mittelsmann, der angeblich half, den Zahlungsverkehr zu regeln. "Weitere Individuen und Einrichtungen in zahlreichen Ländern" würden noch überprüft, so Currie. Die Höchststrafe in solchen Fällen organisierter Kriminalität beträgt in den USA 20 Jahre Haft. Einer der Angeschuldigten habe sich explizit um rund zehn Millionen Dollar (9,2 Millionen Euro) bereichert. Die Anklageschrift verweist zudem auf 25 namentlich nicht genannte Verdächtige. Ob Fifa-Präsident Blatter darunter sei, wurde auf der Pressekonferenz nicht beantwortet. Alle Beschuldigten hätten das US-Finanzsystem für ihre Zwecke missbraucht. "Was sie gemein hatten, war die Gier", so Currie. Am Mittwoch wurde in Miami auch das Hauptquartier des Fußball-Kontinentalverbands Nord- und Zentralamerika sowie der Karibik (Concacaf) untersucht. Die Concacaf und der Südamerika-Verband Conmebol stehen im Zentrum der Ermittlungen. Seit 1991 sollen die Beklagten mehr als 150 Millionen Dollar für Bestechung und Kickback-Zahlungen bewegt haben, um sich in erster Linie die lukrativen Übertragungs- und Marketingrechte an internationalen Turnieren zu sichern. Ins Blickfeld gerückt ist jedoch besonders ein Turnier in den USA, das erst noch stattfinden soll. Laut Justizministerin Lynch seien allein bei der Vergabe der Copa America 2016 rund 110 Millionen Dollar an Bestechungsgeldern geflossen. Das Turnier findet erstmals außerhalb von Südamerika statt. Anlässlich des 100. Geburtstags des südamerikanischen Verbandes wird es als Gemeinschafts-Ereignis "Copa America Centenario" ausgetragen. Einzelne Spiele oder Turnierverläufe, so Currie, seien aber nach bisherigen Erkenntnissen nicht manipuliert worden. Jedoch soll es zum Beispiel beim Abschluss eines Ausrüstervertrages zwischen Brasiliens Nationalelf und einer US-Sportartikelfirma zu Auffälligkeiten gekommen sein, ebenso bei der Vergabe der Fußball-WM 2010. Im Jahr 2004 setzte sich bei dieser für den afrikanischen Kontinent ausgeschriebenen Wahl Südafrika mit 14:10 Stimmen gegen Marokko durch. Die WM 2006 in Deutschland wird im Bericht des Justizministeriums nicht erwähnt. Erwähnt wird jedoch die Fifa-Präsidentenkür 2011: Nach dem Rückzug des einzigen Herausforderers Mohamed bin Hammam wurde Blatter mit 186 von 203 Stimmen in seine vierte Amtszeit gewählt. Sechs der sieben in Zürich festgesetzten Fifa-Funktionäre widersetzen sich momentan der Auslieferung in die USA. Das teilte das Schweizer Bundesamtes für Justiz (BJ) am Mittwochabend mit. Unter den Festgenommenen sind die Fifa-Vizepräsidenten Jeffrey Webb (Kaiman-Inseln) und Eugenio Figueredo (Uruguay). Zudem waren Eduardo Li, Julio Rocha, Costas Takkas, Rafael Esquivel und José Maria Marin am Morgen aus dem Fünf-Sterne-Hotel "Baur au Lac" abgeführt worden. Das Bundesamt werde die USA auffordern, für die Personen, die sich einer Auslieferung widersetzen, innerhalb einer Frist von 40 Tagen formelle Auslieferungsersuche zu stellen. Sobald diese Ersuche eingetroffen sind, werde das Auslieferungsverfahren weitergeführt.

© SZ vom 28.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: