Die verunsicherten Deutschen (2):In verschiedenen Welten

Rentner: Altersarmut ist zwar kein Massenphänomen. Dennoch ist es kaum möglich, pauschal über "die Rentner" zu reden - so wenig vergleichbar sind die Lebensumstände der Alten.

Charlotte Frank

Die Sonne scheint hell in den verglasten Wintergarten, scheint auf die Kunstskulpturen, auf die Obstschale, auf die antike Stehuhr, die nervös tickt und dem Gespräch den Rhythmus vorgibt: Lothar Langer hat nicht viel Zeit.

Die verunsicherten Deutschen (2): "Die Krise, die schlittert doch an den Rentnern vorbei", sagt der 68-jährige Lothar Langer, dem es sichtlich gut geht und der als Vorsitzender der ,,Aktivsenioren Bayern'' seine Berufserfahrung an Jüngere weitergibt. Freilich kann Langer nicht für alle Rentner sprechen. Viele können von der Rente allein nicht leben.

"Die Krise, die schlittert doch an den Rentnern vorbei", sagt der 68-jährige Lothar Langer, dem es sichtlich gut geht und der als Vorsitzender der ,,Aktivsenioren Bayern'' seine Berufserfahrung an Jüngere weitergibt. Freilich kann Langer nicht für alle Rentner sprechen. Viele können von der Rente allein nicht leben.

(Foto: Foto: Haas)

Der Terminplan des Münchner Rentners ist voll, am Nachmittag muss er nach Nürnberg und Existenzgründern auf einem Kongress erzählen, wie man ein Unternehmen aufbaut. Langer nimmt dafür kein Geld, schließlich gehe es ihm als Rentner gut genug. "Für unsere Generation ging es immer nur bergauf", sagt der 68-Jährige. Die Rente ist demnach der Gipfel für ihn.

"Verdammt, jetzt lassen Sie die Zeugin in Ruhe, sie ist doch schwanger!" Aus dem Fernseher brüllen die Teilnehmer einer Gerichtsshow in Mia Samels Wohnzimmer hinein, der Rauch einer Zigarette schraubt sich in die Luft, die 68-Jährige bietet Kekse an. "Von der Tafel", sagt sie, es klingt fast entschuldigend.

Früher war es ihr peinlich, Essensspenden anzunehmen, aber heute, sagt sie, hat sie sich dran gewöhnt, "es geht halt nicht mehr anders." Trotzdem mag Mia Samel ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen. Ihre Rente ist so gering, dass ihr abzüglich der Kosten für Miete, Telefon und Strom 250 Euro zum Leben bleiben. Acht Euro am Tag.

Mia Samel und Lothar Langer wohnen in derselben Stadt, sie sind gleich alt, sie sind in derselben Lebensphase: in Rente. Und doch zeigen ihre Geschichten, wie schwierig es ist, in Deutschland über "die Rentner" zu reden. Wie schwierig es ist, wenn einer wie Finanzminister Peer Steinbrück sagt: "Der jetzigen Rentnergeneration geht es so gut wie nie zuvor."

Je nachdem, ob man bei Frau Samel vor dem laufenden Fernseher sitzt oder bei Herrn Langer im eleganten Wintergarten, hallt der Satz ganz unterschiedlich nach. Bei Herrn Langer wirkt er wahr, bei Frau Samel klingt er zynisch, nach Missachtung der Realität. Aber wie genau sieht diese Realität aus? Wie geht es den 20 Millionen deutschen Rentnern, nach vier Jahren Rot-Schwarz, mitten in der Wirtschaftskrise?

"Die Krise", sagt Herr Langer "die schlittert doch an den Rentnern vorbei." Er selbst habe zwar mit Aktien Geld verloren, aber nicht in nennenswerter Höhe. Was ihn verunsichert, ist "das Weitermachen". "Da kollabiert ein ganzes System, aber am Trend zur Verantwortungslosigkeit bei Bankern und Managern ändert sich nichts", sagt Langer.

Das macht ihm Angst - denn als langjähriger Leiter einer Maschinenbaufirma hat er selbst erlebt, wie sein Unternehmen von einem Investmentfonds übernommen wurde, "wie Menschen auf einmal nur noch Kostenfaktoren waren".

Eine Weile hat Langer gegen "die Heuschrecken" gekämpft, aber schließlich hat er kapituliert und ist früher als geplant, mit 63 Jahren, in Ruhestand gegangen. Hat angefangen, Golf zu spielen, ist wieder öfter Ski gefahren und mit seiner Frau in die Oper gegangen und wurde Vorsitzender der "Aktivsenioren Bayern", einem Verein, der die Lebens- und Berufserfahrung der erfolgreichen Älteren an Jüngere weitergeben will.

479 Euro im Monat

Diejenigen, denen es gutgeht, lassen sich selten von den Aktivsenioren beraten. Es kommen vor allem die mit Problemen. Die die Krise mit Wucht trifft. "Die Unsicherheit, die Angst vor der Zukunft, die Not, an Kredite zu kommen, das macht mich betroffen", sagt Langer. "Und ausgerechnet in dieser Zeit werden die Renten erhöht, ein ganz falsches Signal", sagt er, "nichts als Wahlkampfgetöse." Die Stehuhr gongt.

Was Lothar Langer so stört, ist die Rentenerhöhung vom 1. Juli 2009. An diesem Tag, mitten in der Krise, sind die Bezüge der Ruheständler so stark gestiegen wie seit mehr als zehn Jahren nicht: im Westen um 2,41 Prozent, im Osten um 3,38 Prozent. Dadurch bekommen westdeutsche Männer im Durchschnitt 990 Euro, Frauen 479 Euro. Im Osten liegen die Renten für Männer im Mittel bei 1078 Euro, für Frauen bei 691 Euro.

"Altersarmut", sagt Dirk von der Heide von der Deutschen Rentenversicherung "ist heute kein Massenphänomen." Senioren, deren Alterseinkommen zur Existenzsicherung nicht ausreicht, erhalten Leistungen der "Grundsicherung" obendrauf, die der ehemaligen Sozialhilfe entspricht. Das betrifft laut von der Heide zwei Prozent der über 65-Jährigen. "Das Risiko wird aber wachsen", sagt er. Bedroht seien vor allem Langzeitarbeitslose, Selbständige und Geringverdiener.

Sofern sie sich nicht anderweitig privat absichern, könnte es ihnen einmal gehen wie Mia Samel. Ohne die Gerichtsshow leiser zu drehen, ein Glas Radler zur nächsten Zigarette, erzählt sie, wie es so weit kommen konnte mit ihr: Seit sie 14 Jahre alt ist, hat sie gearbeitet, als Hausmädchen, als Kellnerin, als Putzfrau.

Gleichzeitig war sie ständig krank, 52 Mal musste sie seit ihrer Jugend schon opertiert werden - Fehlgeburten, Krebs, Unfälle. "Ich wusste schon, dass es eng wird im Alter", sagt sie. Aber dass es so schlimm würde, das hätte sie nicht gedacht.

"Schlimm" findet sie gar nicht mehr so sehr, dass sie ihr Essen von der Münchner Tafel beziehen muss. Schlimm findet sie vielmehr, dass sie sich keine Sommerschuhe leisten kann und im August noch in Stiefeln rumläuft. Oder dass die Tapete im Bad abblättert, weil sie keinen Maler bezahlen kann.

Ansonsten braucht sie nicht viel Geld. In ihrer "freien Zeit" - so nennt Frau Samel die Zeit zwischen den Arztbesuchen - gibt sie wenig aus, meistens sieht sie fern oder spaziert stundenlang über den Friedhof in ihrem Viertel. Ihr runzliges Gesicht ist davon schon ganz braun gebrannt, gesund sieht sie trotzdem nicht aus. Das Leben war in ihrer Jugend nicht sehr nett zu ihr; und jetzt, im Alter, fühlt sie sich erst recht an den Rand gedrängt: "Auf den Alten wird immer rumgehackt, die würden leben wie die Maden im Speck", sagt Frau Samel. "Aber schauen Sie mich doch an."

Frau Samel hat keine Kinder, die sie unterstützen. Dafür eine Menge Schulden, die sie erdrücken. Sie selbst kann nichts dafür, sie ist betrogen worden. Sagt sie. Um die Zinslast halbwegs in den Griff zu kriegen, musste sie ihre private Rentenversicherung auflösen, zwölf Jahre lang hatte sie eingezahlt, 6000 Euro hat sie rausbekommen.

Aber dann ist sie im vergangenen Jahr auch noch auf ein Telefon-Gewinnspiel hereingefallen. "Die haben gesagt, ich gewinne viel Geld, aber ich hab immer nur gezahlt", sagt sie. Zuletzt musste ihr eine Sozialarbeiterin aus dem Knebelvertrag heraushelfen. Sonst hat sie ja niemanden.

Vielleicht sagt sie auch deshalb Dinge wie: "Die Jungen sollten einfach gescheit arbeiten gehen, dann können sie auch die Renten bezahlen." Umgekehrt sagt Herr Langer wahrscheinlich gerade, weil er zwei Kinder hat: "Die Rentengarantie ist Blödsinn."

Die Bundesregierung hatte diese Garantie, wonach die Renten in Deutschland nie mehr sinken dürfen, im Mai beschlossen. "Ich erwarte von der Politik keine Geschenke an die Rentner, bloß weil wir zahlreich sind", sagt Langer. Was er nach der Wahl erwartet, packt er in ein Wort: "Sparen".

Mia Samel hingegen will eine Partei wählen, die "die Rentner nicht weiter in die Ecke stellt". Irgendwas Soziales, meint sie. "Du lügst, du bist gar nicht schwanger", dröhnt es da aus dem Fernseher. Frau Samel ist kurz abgelenkt, dann runzelt sie die Stirn und sagt: "Eigentlich geht uns Rentner das mit der Politik und mit dieser Krise ja eh nichts mehr an. Das machen die Jungen unter sich aus." Mia Samel glaubt sowieso, dass sie früh sterben wird.

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