Die USA und der Nahe Osten:Obama muss sich mehr Zeit für Verbündete nehmen

"Goodbye, wir telefonieren" - der Auftritt von US-Präsident Obama bei der UN-Vollversammlung zeigt, woran es seiner Außenpolitik mangelt: an Geduld und Zeit für alte und neue Partner. Trotzdem ist sein von Prinzipien geleiteter Realismus überzeugender als die Alternative.

Nicolas Richter, Washington

Barack Obama hatte knapp einen Tag Zeit für die UN, es reichte für ein Fernsehinterview, einen Empfang, eine Rede, nicht aber für persönliche Gespräche, nicht einmal mit dem neuen ägyptischen Präsidenten, obwohl die muslimische Welt größere Unruhen erlebt.

Brazil's President Rousseff and U.S. President Obama walk on the sidelines of the U.N. General Assembly in New York

Er referiert lieber über die große Linie seiner Politik, als sich auf Detailgespräche einzulassen: US-Präsident Barack Obama.

(Foto: REUTERS)

Obama ist im Wahlkampf gefangen, was seine Terminprobleme erklären mag. Aber sein Kurzbesuch verrät auch, was er unter Diplomatie versteht: Über die große Linie referieren, Hände schütteln, dann: "Goodbye, wir telefonieren".

Dieser Ansatz ist in der Politik schwierig - und erst recht im Nahen Osten. Der Präsident mag visionäre Reden halten, aber ihm fehlt die Geduld oder das Vermögen, jene mitzunehmen, die erst noch überzeugt werden wollen. Obama fehlt die Nähe - zu alten Verbündeten wie den Saudis oder den Golfstaaten, aber auch zu neuen Partnern wie dem Muslimbruder Mursi. Nicht nur in Krisenzeiten kann sich das rächen.

Es ist eine Nähe, wie J. Christopher Stevens sie vorlebte, der US-Botschafter in Libyen, der jüngst zum Opfer von Terroristen wurde. Obama hat vor den UN gesagt, Menschen wie Stevens müssten die Welt prägen, nicht dessen Mörder.

Sieg von Prinzipien über Realpolitik

Vergleicht man diesen mahnenden Ton mit Obamas "Neuanfang"-Rede vor drei Jahren in Kairo, als er den Muslimen die Hand reichte, zeigt sich, wie viel Idealismus er verloren hat. Oder, wie es seine Gegner sagen würden: wie unerbittlich die Welt ihn für Schwäche und Naivität bestraft.

Doch wer so urteilt, kennt - wie Obamas Rivale Mitt Romney - Außenpolitik nur aus Büchern. Kein Präsident hat alle Nahostkonflikte gleichzeitig lösen können. Obama hat die Zeichen der Revolution in Ägypten erkannt, er hat den Sturz des ägyptischen Diktators Mubarak beschleunigt, indem er ihn zum Gehen aufforderte.

Betrachtet man Jahrzehnte der US-Interessenpolitik in Nahost, in der Öl immer wichtiger war als Freiheit, erschließt sich Obamas Schritt als kühn, als Sieg von Prinzipien über Realpolitik.

Obama als kühler Realist

Doch Obama ist oft auch ein sehr kühler Realist, der Risiken stets im Bereich des Kontrollierbaren hält. Deswegen schritt er nicht ein, als die Saudis den Aufstand im benachbarten Bahrain niederschlugen, deswegen zögerte er, Libyens Rebellen zu helfen. Und deswegen überlässt er jetzt die syrische Opposition sich selbst, obwohl es herzlos und inkonsequent wirkt.

Prinzipien und Pragmatismus mischen sich auch im ewigen Konflikt mit Iran. Obama hat vor den UN daran erinnert, dass er eine nukleare Bewaffnung nicht hinnehmen wird, weil er eine Atommacht Iran für nicht eindämmbar hält. Doch er kann für sich beanspruchen, die nichtmilitärischen Mittel versucht zu haben.

Er hat Teheran die Hand gereicht, statt einen neuen Krieg in der Region zu führen. Er hat harte UN-Sanktionen durchgesetzt. Unterm Strich wirkt es, als sei Obama gescheitert, weil Teheran schneller Uran anreichert als je zuvor. Aber er hat noch alle Optionen, auch wenn er hoffen dürfte, dass er keinen Angriff wird befehlen müssen.

Obama ist vieles nicht geglückt. Die Palästinenserfrage ist ungelöst, Al-Qaida-Gruppen wüten, Irans Präsident führt wie jedes Jahr seine Provokationsshow auf. Doch Obamas von Prinzipien geleiteter Realismus ist überzeugender als die Alternative.

Die wird in Washington von den Neokonservativen angeboten: Sie fordern Demokratie und beklagen, dass Islamisten Wahlen gewinnen. Sie beklagen den Anschlag auf eine US-Botschaft, tun aber so, als werde Krieg gegen Iran keine Opfer fordern.

Sie verkennen, dass neuerdings nicht US-Wähler über den Nahen Osten entscheiden. Dort entscheiden Wähler und Regierungen jetzt selbst, wie viel US-Einfluss sie zulassen. Und vielleicht wäre Amerikas Einfluss größer, wenn der Präsident sich ab und zu Zeit für sie nehmen würde.

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