Die SPD und die Causa Sarrazin:Gabriel, Nahles und andere Sektierer

Lesezeit: 2 min

Den Parteiausschluss abzublasen war die Entscheidung der SPD für ein Ende mit Schrecken statt für einen Schrecken ohne Ende: Spät, aber nicht zu spät haben die Genossen bemerkt, dass auch für den Irrläufer Thilo Sarrazin Redefreiheit gilt.

Nico Fried, Berlin

Diese Entscheidung dürfte der SPD-Spitze nicht leicht gefallen sein. Die Bevollmächtigte Andrea Nahles hat den Antrag des Parteivorstands zurückgezogen, Thilo Sarrazin aus der Partei werfen zu lassen. Über Monate hatte die SPD-Führung mächtig Empörung in den Fall gepumpt. Nach gerade mal fünf Stunden Verhandlung hat sie es sich am Gründonnerstag dann doch anders überlegt. Es war die Entscheidung für ein Ende mit Schrecken statt für einen Schrecken ohne Ende.

Thilo Sarrazin konnte den Parteiausschluss aus der SPD abwenden. Dafür standen die Chancen immer schlecht - zudem war es eine zweifelhafte Strategie, den überdrehten Individualisten Sarrazin überhaupt durch zu viel Aufmerksamkeit in einen sozialdemokratischen Autor zu verwandeln, zu dem sich die Partei verhalten musste. (Foto: REUTERS)

Das Geschäft, das im Rathaus zu Wilmersdorf geschlossen wurde, ist simpel: Die SPD behält den streitbaren Genossen, dafür entledigt sie sich des Streits um das Ausschlussverfahren mit all seinen Begleiterscheinungen. Es ist in einer ziemlich schlechten Lage ein leidlich vernünftiges Geschäft. Denn der Weg durch die Instanzen bis zur Bundesschiedskommission hätte der Partei insgesamt weit mehr geschadet, als es Sarrazin je vermocht hätte. In einer Situation, die sie auch selbst so verkorkst hatten, dass es nichts mehr zu gewinnen gab, haben Nahles und mithin auch Parteichef Sigmar Gabriel das Richtige getan, um nicht noch mehr zu verlieren.

Denn erstens standen die Chancen auf Ausschluss immer schlecht. Zweitens war es eine zweifelhafte Strategie, den überdrehten Individualisten Sarrazin überhaupt durch zu viel Aufmerksamkeit in einen sozialdemokratischen Autor zu verwandeln, zu dem sich die Partei verhalten musste. Den Zwang, das Buch auf Verträglichkeit mit der Sozialdemokratie zu prüfen, hatten sich die maßgeblichen Sozialdemokraten damit quasi selbst auferlegt

So tief wie SPD-Chef Gabriel den Text analysierte, so gründlich dürfte das Buch kaum einer der anderen 1,5 Millionen Käufer gelesen haben. Damit jedoch wurde aus einer politischen Frage eine Debatte über den Umgang mit strittigen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Der SPD-Chef rückte den Autor in die Nähe nazistischer Selektionstheorien. Dass Sarrazins Buch aber nicht ausreicht, um aus dessen Autor einen verkappten Nazi zu machen, haben Gabriel und Nahles nun selbst eingeräumt - anderenfalls hätten sie sich niemals auf den Kompromiss im Schiedsverfahren einlassen dürfen.

Sarrazin ist billig weggekommen. Er hat mal wieder behauptet, nichts so zu meinen, wie es andere verstehen. Folgerichtig äußerte er Bedauern nur für den Fall, dass sich jemand verletzt fühle - diese in der Politik verbreitete Form der konditionierten Entschuldigung will den möglichen Fehler eines Angeklagten zu einem ausschließlichen Irrtum des Klägers verharmlosen. Sarrazin hat zudem versprochen, die Grundsätze der SPD zu wahren. Nach dem Ausgang des Verfahrens kann das für ihn nur bedeuten, dass er auch in Zukunft alles sagen darf, was er in der Vergangenheit gesagt hat.

Sarrazin ist der Sieger dieses Verfahrens. Gleichwohl ist die Gefahr, die von Sarrazin ausgeht, für die SPD viel geringer als die Bedrohung der Partei durch ihre führenden Funktionäre: Zu oft haben Sozialdemokraten vom Ortsverein bis zum Bundesvorstand in den vergangenen Jahren nach Sanktionen gerufen, zu schnell die eigene Interpretation der Satzung über verfassungsrechtliche Werte gestellt: meistens über die Rede- und Meinungsfreiheit, gelegentlich über die Freiheit des Mandats. Auch der Umgang mit der nordrhein-westfälischen Landespolitikerin Birgit Fischer ist anrüchig. Weil sie zu einem missliebigen Pharma-Verband wechselte, wurde sie gedrängt, ihr Amt im Parteivorstand ruhen zu lassen.

Die SPD muss eine Partei der Toleranz bleiben und darf nicht wie eine Sekte wirken. Sie braucht eine starke Idee von sich als Ganzes, um sich nicht dauernd an Einzelnen abarbeiten zu müssen. Zudem war die Klageflut der vergangenen Jahre fast völlig erfolglos. Die fehlende Gelassenheit ist eben zu leicht vor allem als Ausdruck einer Unzufriedenheit der Partei mit sich selbst durchschaubar.

© SZ vom 23.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: