Die Schule der Parteien (2):Marsch in die Alltagstauglichkeit

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Die neue Mitte der Jusos: Sie sind zwar nach wie vor links, geben sich aber deutlich pragmatischer als in früheren Zeiten - und machen Realpolitik.

Susanne Höll

Anfang August kehren die Jusos, wenn man so will, an ihre Ursprünge zurück. Vier Tage lang werden viele junge und einige weniger junge Sozialdemokraten gemeinsam an der Ostsee zelten, diskutieren, singen, tanzen und Sport treiben.

Jusos einst: Der spätere Kanzler Gerhard Schröder bei der Wahl zum Juso-Chef 1978 mit seinem Vorgänger Klaus Uwe Benneter. (Foto: Foto: AP)

"Sommercamp" nennt sich die vergleichsweise preisgünstige Veranstaltung, bei der auch und gerade Neumitglieder etwas über alternative Wirtschaftspolitik und moderne Wahlkampfmethoden erfahren, aber auch Beachvolleyball spielen und sich abends in der Disco amüsieren können.

Ähnliche Interessen hatten auch die jungen Arbeiter, die um den vorletzten Jahrhundertwechsel herum unter deutlich widrigeren Umständen zusammenfanden. Sie waren oft bitterarm, formal wenig gebildet und unzufrieden, suchten Gleichgesinnte, für die politische Debatte, aber auch für den Sport, die Freizeit und nicht zuletzt die Liebe.

Parteihistoriker datieren die Gründung der Jungsozialisten auf das Jahr 1904. Die SPD ist etwa 40 Jahre älter. Im Verhältnis der beiden hat sich über die Jahrzehnte und die geschichtliche Entwicklung hinweg viel geändert.

Nur eines nicht: Ein Strukturmerkmal dieser Beziehung war, ist und bleibt der Streit. In der Weimarer Republik löste die Mutterpartei die Jugendorganisation nach allerlei irrwitzigen Flügelkämpfen 1931 kurzerhand auf.

Nicht auf Rabatz aus

Derart drastische Maßnahmen wurden seither nie wieder ergriffen. Aber Auseinandersetzungen gab und gibt es immer wieder. Gemeinhin sind sie härter und von größerer öffentlicher Aufmerksamkeit begleitet als die zwischen Jung und Alt in anderen Parteien. Inzwischen hat man aber den Eindruck, dass die heutigen Jungsozialisten zwar weiterhin zum linken Flügel zählen, aber weitaus pragmatischer und alltagstauglicher sind als zahlreiche ihre Vor- und Vorvorgänger.

Da ist zum Beispiel die Vorsitzende Franziska Drohsel. Die 28 Jahre alte Juristin aus Berlin denkt über die Vergesellschaftung der großen deutschen Energieversorger nach und auch über Bündnisse mit der Linkspartei und den Grünen.

Bis nach ihrer Wahl im November 2007 war sie Mitglied der vom Verfassungsschutz als linksextrem eingestuften und deshalb beobachteten Organisation "Rote Hilfe", die Straffällige aus dem linken Lager juristisch und finanziell unterstützt.

Manche meinten, unter ihrer Führung würden sich die Jusos noch weiter nach links bewegen. Davon freilich ist noch nicht sehr viel zu spüren. Auf Rabatz ist Drohsel nicht aus. "Konflikte mit der Gesamtpartei müssen ausgetragen werden, aber nicht um des Konflikts willen. Man darf sich nicht nur mit sich selbst beschäftigen", sagt sie.

Der Parteivorsitzende Kurt Beck sieht das offenkundig nicht viel anders. Es heißt, er pflege die Jugend, auf jeden Fall äußerte er sich zuletzt oft lobend, auch wenn ihm das eine oder andere nicht immer gefallen mag, etwa über ihre Mitarbeit am neuen Grundsatzprogramm der SPD.

Denkfabrik, die Realpolitik macht

Mit ihrer Forderung nach Abschaffung der Wehrpflicht konnten sich die Jungen zwar nicht ganz durchsetzen, auch nicht mit ihrem Nein zu einer Privatisierung der Bahn. Aber die Jusos trugen dazu bei, dass die Sozialdemokraten nach der Agenda-Ära von Gerhard Schröder nun die Sozialpolitik wieder stärker betonen.

Und der anderswo verspottete Satz, wonach man die männliche Gesellschaft überwinden müsse, um die menschliche Gesellschaft zu erreichen, ist dank Unterstützung älterer Frauenrechtlerinnen ebenfalls Teil der Parteiprogrammatik.

Eine "Denkfabrik" nennt Drohsel die Jusos; eine Gruppe, in der man über die großen Fragen von Krieg und Frieden, woher und wohin debattieren und gleichzeitig "Realpolitik" machen könne, gegen Studiengebühren etwa, gegen rechtsextreme Gewalt und zugunsten der Generation Praktikum.

Realpolitik machen inzwischen auch die vier unmittelbaren Drohsel-Vorgänger, an durchaus einflussreichen Stellen. Björn Böhning, den sie vergangenes Jahr ablöste, ist Planungschef des ambitionierten Regierenden Berliner Bürgermeisters Klaus Wowereit.

Vor-Vorgänger Niels Annen, der nach 28 Semestern unlängst sein Geschichtsstudium abbrach, sitzt im Bundestag und ist ein Wortführer der Parlamentarischen Linken. Benjamin Mikfeld, Vorsitzender von 1999 bis 2001, ist inzwischen Abteilungsleiter in der Berliner SPD-Zentrale und Andrea Nahles (Juso-Chefin 1995-99) ist jetzt stellvertretende Bundesparteivorsitzende.

Drohsel stößt sich daran nicht: "Meine vier Vorgänger sind bislang nicht den Weg der Anpassung gegangen, sie stehen weiter links."

Auf Seite 2, warum es früher unvorstellbar war, dass ein Juso-Chef ins Establishment wechselt

Klaus Uwe Benneter schmunzelt, wenn er auf die Karrieren dieser vier blickt. "Bei uns wäre es nicht vorstellbar gewesen, dass ein Juso-Chef in das Büro eines Ministerpräsidenten wechselt, mithin in das Establishment", sagt er.

Jusos heute: die jetzige Chefin Franziska Drohsel. (Foto: Foto: AP)

Dazu muss man erklären, wie das so war, damals bei Benneter, in den siebziger und achtziger Jahren, als die Jusos stark waren, wenn auch vielleicht überschätzt. Sie waren nach der Linkswende der Jusos von 1969 viel radikaler, zankten sich untereinander und mit der Mutterpartei über den richtigen theoretischen Weg zur Überwindung des Kapitalismus.

Benneter wurde als Nachfolger von Heidemarie Wieczorek-Zeul im Frühjahr 1977 Juso-Chef, allerdings nur für ganz kurze Zeit. Denn im Sommer wurde er der Partei verwiesen, weil er damals eigenwillige Vorstellungen über die Zusammenarbeit zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten hatte. 1983 wurde er wieder aufgenommen, unter dem Parteivorsitzenden Franz Müntefering stieg er sogar zum Generalsekretär auf und stritt für die Agenda-Politik von Kanzler Gerhard Schröder, übrigens auch ein früherer Juso-Chef.

Auch Benneter sagt, die Jusos heutzutage seien pragmatischer. Er meint es als Lob. "Vieles, was wir damals geredet und geschrieben haben, wäre heute nicht mehr lesbar, geschweige denn verständlich."

Hans-Jochen Vogel, einstiger SPD-Parteivorsitzender, würde dem fraglos zustimmen. Er focht in jener Zeit schwere und bittere Kämpfe mit den Jungsozialisten aus, verzichtete deshalb auf eine dritte Kandidatur um das Amt des Münchner Oberbürgermeisters.

Heute sagt er: "Meiner Ansicht nach hat der sogenannte Marsch durch die Institutionen die Jusos stärker verändert als die Institutionen oder die Wirklichkeit. Ich schmunzele jetzt noch, wenn ich an einen Beschluss denke, dass die Gehälter in Deutschland den Betrag von 5000 Mark nicht übersteigen dürften."

Eine Menge Konkurrenz

Als solche Debatten geführt wurden, hatten die Jusos noch 300.000 Mitglieder, der Parteivorsitzende und spätere Kanzler Willy Brandt hatte viele junge Leute aus der Studentenbewegung in die SPD gelockt. Heute sind es noch etwa 70.000, davon gehören 15.000 nicht der SPD an, sie können sich nach drei Jahren entscheiden, ob sie bleiben oder lieber gehen wollen.

Trotz aller Schrumpfung ist die Jugendorganisation aber weiterhin ein Jungbrunnen für die alternde Mutterpartei. Etwa die Hälfte aller neuen Mitglieder ist jünger als 35, mithin Juso. Schnuppermitgliedschaften sind ein Weg, mit dem sie versuchen, jungen Leuten den Beitritt zu einer etablierten Partei schmackhaft zu machen.

Nicht ohne Erfolg. Bis 2003 sank der Anteil der jungen SPD-Angehörigen im Alter bis 35 kontinuierlich, inzwischen steigt er wieder an - etwa zehn Prozent aller Mitglieder sind Jusos.

Die kämpfen gegen viel Konkurrenz, die Linkspartei, die Grünen, Globalisierungsgegner und Umweltschützer werben im selben Milieu, wenngleich sie sich nicht als Konkurrenz, sondern als Gesprächs- und Bündnispartner für soziale Bewegungen verstehen. Eines freilich unterscheidet sie von anderen Aktionsgruppen: Die Kontakte, Freund- aber auch Feindschaften, die man bei den Jusos eingeht, währen zumeist ein ganzes politisches Leben lang.

© SZ vom 30.07.2008/hai - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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