Rote Armee Fraktion:"Man weiß so gut wie nichts über die internen Prozesse der RAF"

Anne Siemens hat für ihr hochgelobtes Buch die Familien von RAF-Opfern besucht. Im SZ-Interview spricht die Autorin über deren Erwartungen an die Gesellschaft und die neuen Äußerungen Christian Klars.

Oliver Das Gupta

Anne Siemens, Jahrgang 1974, wuchs in Bad Homburg auf, studierte Politische Wissenschaft und beschäftigte sich für ihre Promotion mit der Roten Armee Fraktion. Siemens war Redakteurin beim SZ-Jugendmagazin "jetzt" und arbeitet zur Zeit als freie Journalistin unter anderem für die Süddeutsche Zeitung.

Rote Armee Fraktion: Völlig zerstört: Die Limousine von Alfred Herrhausen nach dem RAF-Bombenanschlag in Bad Homburg

Völlig zerstört: Die Limousine von Alfred Herrhausen nach dem RAF-Bombenanschlag in Bad Homburg

(Foto: Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Alfred Herrhausen wurde 1989 nur wenige hundert Meter entfernt von der Schule, die Sie damals besuchten, ermordet. Welche Auswirkungen hatte der Terror in der Bad Homburger Nachbarschaft auf Sie?

Anne Siemens: Ich habe damals vermutlich nicht anders reagiert als jeder Mensch, in dessen Umfeld eine solche Gewalttat geschieht. Ich war zutiefst erschreckt über das Attentat. Über den Mord, aber auch - auf einer anderen Ebene - über die Tatsache, dass er vorbereitet werden konnte, ohne dass es jemand bemerkt hat.

Die Straße, in der die Bombe detonierte, ist sehr belebt. Es gibt dort zwei Schwimmbäder, die Schule. Jeden Tag sind Menschen an der Baustelle vorbeigegangen, die als Tarnung diente - und doch hat niemand bemerkt, was dort geschah.

sueddeutsche.de: Seitdem hat sich die Wahrnehmung der Terrorgefahr drastisch verändert...

Siemens: Wir haben es heute mit einer anderen Form von Terrorismus zu tun, dementsprechend hat sich die Welt verändert. Vergangene Woche, vor einem Flug nach Hamburg, hatte eine Frau sich fünf Meter von ihrer Tasche entfernt - und ein Flughafenmitarbeiter wies sie sofort und mit Nachdruck an, sie solle die Tasche an sich nehmen. Er würde sie sonst abtransportieren lassen.

sueddeutsche.de: War das Herrhausen-Attentat der Auslöser, ein Buch über die Opfer der RAF zu schreiben?

Siemens: Das würde ich so nicht sagen, dazwischen liegt ja auch einige Zeit. Es war damals ein Auslöser, sich mit der RAF und ihrerGeschichte auseinander zusetzen. Während meines Studiums und meiner Doktorarbeit habe ich mich - kurz zusammengefasst - mit der Frage des "Warum" beschäftigt: Warum gingen Mitglieder der Studentenbewegung oder andere, die sich in ihrer Peripherie bewegten, den Weg in den Terrorismus? Während der Auseinandersetzung mit den Täterbiografien kam die Fragen auf: Wer waren die Menschen, die zu Opfern der RAF wurden?

sueddeutsche.de: Ihr Buch hat großen Anklang gefunden. Allerdings dreht sich in den Medienberichten -wie auch bei Ihrem Auftritt bei "Beckmann" - das Gespräch schnell wieder um die Täter. Ärgert sie das?

Siemens: In vielen Berichten in der letzten Zeit ging es um die Opfer. Und ich möchte nicht missverstanden werden: Mein Ansatz ist nicht, die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Täter zu tabuisieren oder zu beschneiden. Dabei sollte es um Verstehen gehen, nicht um Verständnis. Mit dem Buch ging es mir darum, den Blick auf die Geschichte der RAF zu erweitern, die eben nicht nur eine Täter-Geschichte ist.

Und ja, man hätte bei "Beckmann" mehr über die Opfer sprechen können, wobei es ja nicht so ist, dass das gar nicht stattgefunden hat. Bedauerlich war einfach, dass wir nicht mehr Zeit hatten. Mich hätte auch interessiert, ob der ebenfalls geladene Hans-Christian Ströbele während der 70er Jahre seine Haltung gegenüber den Mitgliedern der ersten Generation der RAF verändert hat.

Er sieht ja die gemeinsamen Wurzeln in der Studentenbewegung. Mich hätte interessiert, inwieweit er Solidarität empfunden hat und ob sich dieses Gefühl ab Mitte der 70er verändert hat - wie bei vielen anderen, die zur Studentenbewegung gehört hatten und anfangs solidarisch in ihrer Haltung gegenüber der RAF waren - ohne sich selbst der Idee des bewaffneten Kampf zu verschreiben.

sueddeutsche.de: Viele Opfer äußerten sich in ihrem Buch das erste Mal. Warum haben sie so lange geschwiegen?

Siemens: Es ist schwer, darauf eine einheitliche Antwort zu geben. Es spielte bei einigen sicher eine Rolle, dass sie erst einmal alle Kraft benötigten, ein neues Leben aufzubauen - und nicht mit weiteren Reaktionen der Öffentlichkeit umgehen wollten. Manche haben sich aber ja auch vorher schon geäußert, Hanns-Eberhard Schleyer zum Beispiel.

Ich glaube, dass für alle meine Gesprächspartner das Konzept des Buches eine Rolle gespielt hat. Nämlich nicht nur mit einer Familie zu sprechen oder über ein bestimmtes Jahr, sondern den Bogen weiter zu spannen - Fragen nachzugehen wie: Wie haben die Menschen, die zu Opfern der RAF wurden im Kontext ihrer Zeit gelebt, wie haben sie über Politik gedacht, über die Bundesrepublik in der Nachkriegszeit, über gesellschaftliche Entwicklungen, etwa die Studentenbewegung. Darüber wusste man bisher wenig, in vielen Fällen gar nichts.

sueddeutsche.de: Einige Ihrer Interviewpartner fühlten sich nach Staatsakt und Gedenkgottesdienst von der Politik alleine gelassen. Haben Sie während Ihrer Gespräche eine allgemeine Enttäuschung ausmachen können?

Siemens: Nein, das wird sehr unterschiedlich empfunden.

Der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt (li.) und Bundespräsident Walter Scheel (re.)neben der Witwe des ermorderten Bankiers Jürgen Ponto, Ignes Ponto, bei einer offiziellen Trauerfeier nach dessen Ermordung in der Paulskirche in Frankfurt.

Der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt (li.) und Bundespräsident Walter Scheel (re.) neben der Witwe des ermorderten Bankiers Jürgen Ponto, Ignes Ponto, bei einer offiziellen Trauerfeier nach dessen Ermordung in der Paulskirche in Frankfurt. Ponto wurde am 30. Juli 1977 in seinem Haus in Oberursel von Terroristen erschossen

(Foto: Foto: AP)

"Keine Entschuldigungsformeln, sondern Aufarbeitung"

sueddeutsche.de: Gibt es etwas, das im gesellschaftlichen Umgang mit der RAF kritisiert wird?

Siemens: Es gibt die Kritik, dass manche Äußerungen, die von Täter aus der RAF nach ihrer vorzeitigen Haftentlassung oder Begnadigung gemacht wurden und werden zu oft nach Rechtfertigungen klingen. Und das dem wenig entgegengesetzt wird - aus der Gesellschaft, von Politikern, auch von Medien.

sueddeutsche.de: Wollen die Hinterbliebenen einen Maulkorb für RAF-Terroristen wie Christian Klar, der sich erst gerade wieder in Linksaußen-Diktion aus der Zelle meldete?

Siemens: Als ich das Buch geschrieben habe, war die Diskussion um die Haftentlassungen von Mohnhaupt und Klar noch kein Thema. Was ich aus der Erfahrung meiner Gespräche aber sicher sagen kann: Keiner der von mir Interviewten rüttelt am Prinzip der Meinungsfreiheit.

sueddeutsche.de: Gab es unter Ihren Gesprächpartnern solche, die von ehemaligen RAF-Leuten kontaktiert wurden, weil sie sich entschuldigen wollten?

Siemens: Nein, soweit ich weiß, nicht.

sueddeutsche.de: In der aktuellen Debatte um vorzeitige Haftentlassung und Begnadigung der noch inhaftierten RAF-Terroristen dreht es sich aber vor allem darum: Reue und deren Ausbleiben.

Siemens: Mein Eindruck ist, dass es den betroffenen Familien nicht um Entschuldigungsformeln geht, sondern vor allem um Aufarbeitung offener Fragen. Alle der RAF zugeordneten Fälle ab 1985 sind nicht aufgeklärt.

Patrick von Braunmühl, der Sohn des 1986 ermordeten Gerold von Braunmühl, bringt das im Buch sehr klar zum Ausdruck: Man weiß noch immer so gut wie nichts über die internen Prozesse der RAF, etwa darüber, nach welchen Kriterien die Opfer ausgewählt wurden. Und auch die Frage, wie weit die Verbindungen der RAF zur Stasi oder zum russischen Geheimdienst KGB reichten, ist unbeantwortet. Diese Frage bringt zum Beispiel Corinna Ponto auf.

sueddeutsche.de: Um gerade solche Fragen zu beantworten, ist es doch mitunter ganz hilfreich, Mitglieder aus der ehemaligen RAF öffentlich zu befragen.

Siemens: Bislang galt und gilt unter ihnen ja immer der Kodex, nichts über die internen Prozesse der RAF zu sagen. Vielleicht verändert die aktuelle Debatte etwas in dieser Haltung.

sueddeutsche.de: Bei der aktuellen Diskussion um die Freilassung der letzten inhaftierten RAF-Angehörigen gibt es Stimmen, die mit Terroristen anders verfahren wollen als bei anderen Mördern. Wie sahen Ihre Gesprächspartner die Debatte?

Siemens: Wie gesagt, als das Buch entstand, stand die Entlassung oder Begnadigung von Klar und Brigitte Mohnhaupt noch nicht auf der Agenda. Aber grundsätzlich ging es in den Gesprächen für das Buch natürlich auch um die Frage, wie über die Begnadigung von RAF-Tätern gedacht wird. Keiner meiner Gesprächspartner stellt den Rechtsstaat und seine Mittel in Frage.

Aber es gibt eben die Kritik, dass Täter aus der RAF sich nach ihrer vorzeitigen Haftentlassung oder Begnadigung ohne aufrichtige Distanz zu ihren Taten zeigen, ihre Äußerungen zu oft nach Rechtfertigungen klingen, auch dass Äußerungen in der Öffentlichkeit gemacht werden wie: Reue gegenüber den Opfern und ihren Angehörigen werde nicht empfunden. Krieg sei Krieg und vorbei sei vorbei.

sueddeutsche.de: Zum deutschen Rechtsstaat gehört auch, dass lebenslang nicht lebenslang ist und das die RAF-Mörder eine zweite Chance bekommen sollten.

Siemens: Wie jeder andere Straftäter auch, ja. Clais von Mirbach etwa, der Sohn des 1975 in Stockholm ermordeten Andreas von Mirbach, sagt: Er bekommt seinen Vater nicht dadurch zurück, dass es den Tätern schlecht geht.

sueddeutsche.de: Wie stehen Sie zur Diskussion um die letzten RAF-Terroristen in Haft?

Siemens: Mich hat in den letzten Wochen gestört, dass nicht deutlich unterschieden wurde zwischen den Fällen Klar und Mohnhaupt, also zwischen einer möglichen Begnadigung bei Klar und der vorzeitigen Haftentlassung von Mohnhaupt. Bei Brigitte Mohnhaupt handelte es sich um ein juristisches Routineverfahren.

Wichtig war und ist hier, dass sie keine Gefahr mehr für die Öffentlichkeit darstellt - was im Rückschluss bedeutet, dass sie eine aufrichtige Distanz zu ihren Taten und ihrem damaligen Ziel gefunden haben muss. Das gilt auch für Christian Klar, wobei eine Begnadigung eben etwas anderes ist.

Derjenige wird sozusagen aus der Gleichung, die für alle gilt herausgenommen - nämlich alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Es wäre dann auf jeden Fall ein Signal an die Gesellschaft, in der man wieder leben will, auch zur Aufklärung von noch im Dunkeln liegenden Bereichen beizutragen.

sueddeutsche.de: Sehen Sie diese Empathie bei Christian Klar?

Siemens: Ich kenne nur die Zitate, die in den letzten Tagen zu lesen waren. Ansonsten weiß ich zu wenig über seinen Fall, um über ihn etwas zu sagen. Die Zitate der letzten Tage klingen danach, dass Klar noch immer in seinen alten, anti-imperialistischen Mustern denkt. Alles andere wäre Spekulation.

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