Die Prozession der Pilger:Trubel, Trauer, Tränen

Rom erweckt den Eindruck, als würden Heiliges Jahr, Weltjugendtag und Fußballweltmeisterschaft gemeinsam veranstaltet. Die Pilger nehmen einiges auf sich - wie der Amerikaner Matt Mansella, der schließlich barfuß im Petersdom ankam.

Von Christiane Kohl

"Schau dir diese Schuhe an", flüstert Matt Mansella und wischt sich eine Träne aus dem Augenwinkel: "Diese Schuhe sagen doch schon fast alles".

Der Mann mit der braunen Lederjacke, der eigens aus New York nach Rom gereist ist, sitzt im Petersdom, und dabei weint er, vor Freude und vor Traurigkeit.

Nur ein paar Meter von ihm entfernt ist der Leichnam des Papstes zu sehen: Im roten Talar, mit Mitra, Stola und gefalteten Händen - bloß die Schuhe scheinen nicht recht dazu zu passen.

"Johannes Paul war einer von uns"

Es sind nicht die edlen Pantoffeln, die man seinen verstorbenen Vorgängern angezogen hatte, wenn sie aufgebahrt wurden. Es sind schlichte braune Slipper von jener Art, wie sie Johannes Paul II. sein ganzes Papstleben lang trug: Mit solchen Schuhen reiste Karol Wojtyla einst um die Welt, kletterte im Urlaub die Berge hinauf, ja, er trug die Slipper sogar, wenn er Messen zelebrierte.

"Allein an diesen Schuhen siehst du es: Johannes Paul war einer von uns", sagt Mansella, und schon wieder kommen ihm die Tränen.

Der Amerikaner ist einer von vielleicht einer Million Menschen, die im Laufe des Dienstags in die Peterskirche pilgern, um noch einmal einen Blick auf den Papst zu werfen.

Ein wenig Geld von mildtätigen Leuten

Mansella hat für diesen Blick einen weiten Weg zurück gelegt, und deshalb trägt er selber keine Schuhe. Dafür sind seine Zehen mit weißen Mullbinden umwickelt: Mansella hat sich die Füße wund gelaufen, nur um den Papst zu sehen.

Trubel, Trauer, Tränen

"Ich wollte ihn noch lebend erreichen", erzählt der Sonderschullehrer aus Albany im Norden von New York. Deshalb hatte der 35-Jährige letzte Woche den erstbesten Flug nach Europa genommen. Er landete in Mailand-Malpensa, dann war sein Geld alle: "Meine Kreditkarte gab nichts mehr her, der Flug hatte einfach zu viel gekostet".

Also ist Mansella zu Fuß vom Flughafen in die Stadt gelaufen, später hat er sich Richtung Rom durchgeschlagen, wieder zu Fuß, dann per Zug, nachdem ihm mildtätige Leute am Mailänder Dom ein wenig Geld gegeben hatten.

Eine Tüte mit Brötchen

Tage später erreichte er die italienische Hauptstadt. Da legte sich der Lehrer für die Nacht unter eine der Säulen beim Vatikan. "Und stell dir vor: Am Morgen wachte ich plötzlich unter einer Decke auf, und neben mich hatte jemand eine Tüte mit Brötchen hingelegt", erzählt er.

Mittlerweile war der Zug der Pilger zu einem nicht enden wollenden Strom angeschwollen: Von der Menge der Menschen her - gerechnet wird mit vier bis fünf Millionen - erweckt die Stadt den Eindruck, als würden Heiliges Jahr, Weltjugendtag und Fußballweltmeisterschaft gemeinsam veranstaltet.

Ein noch nie da gewesener Ansturm auf Rom, doch die Ewige Stadt scheint den Menschenmengen gewachsen zu sein - schließlich gab es hier schon in früheren Jahrhunderten viele Pilger. Einmal, im Heiligen Jahr 1300, kam es zu Tumulten auf der Engelsbrücke, bei denen 20 Menschen starben.

Fliegende Händler

Derlei Gefahren bestehen heute nicht, denn die Leute werden großräumig und "portioniert" zwischen hohen Zinkgeländern in Richtung Petersplatz gelenkt. Zivilschützer verteilen Decken und Wasserflaschen am Wegesrand, Hilfsorganisationen haben Erste-Hilfe-Zelte aufgeschlagen, und in Schulen und Stadien der Peripherie wurden Betten über Betten zurechtgemacht.

Am Rande der Pilgerströme haben sich fliegende Händler breit gemacht, man kann Papstbilder, kleine Miniaturen und parfümierte Rosenkränze kaufen. Letztere gehen allerdings noch nicht so gut, wie der Verkäufer Marco Menasc erzählt: "Es fehlen die Pilger aus Lateinamerika, die kaufen gut".

Gleich wurde ein Rollstuhl organisiert

Fünf und mehr Stunden müssen die Menschen warten, bis sie zum Leichnam vortreten können. Doch sie wirken keineswegs missmutig, sondern singen, rufen wie zu Lebzeiten Johannes Pauls Namen und klatschen rhythmisch dazu oder beten still vor sich hin.

Eine Atmosphäre der Hilfsbereitschaft überwiegt. Das hat ja auch Matt Mansella zu spüren bekommen. Als er sich Dienstagmorgen an der Via della Conciliazione, nicht weit vom Vatikan, die wunden Füße wusch, schleppte gleich jemand einen Sanitäter heran. Der behandelte seine Blasen. Dann wurde auch noch ein Rollstuhl organisiert.

So rollte Mansella wenig später an der Schlange vorbei zum Petersdom hinauf, um den Papst zu sehen. Dort sitzt er nun, Matt Mansella, während die Tränen über die Stoppeln seines Fünftage-Barts kullern: "Es ist alles so bewegend."

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