Die Parteien vor der Bundestagswahl:Willkommen in der Zwickmühle

Fünf Parteien, fünf Analysen: Warum die einen können, aber nicht werden, die anderen wollen, aber nicht dürfen und wieder andere wenig tun, aber dennoch werden. Ein Überblick.

Thorsten Denkler, Berlin

CDU

Die Parteien vor der Bundestagswahl: CDU, SPD, Grüne, FDP Linke - fast alle Parteien in Berlin loben sich selbst - oder reden ihre Ergebnisse schön.

CDU, SPD, Grüne, FDP Linke - fast alle Parteien in Berlin loben sich selbst - oder reden ihre Ergebnisse schön.

(Foto: Montage: sueddeutsche.de)

Kanzlerin Angela Merkel hatte im Vorfeld des sonntäglichen Superwahlabends noch gesagt, die Ergebnisse seien auf keinen Fall ein Stimmungstest für die Bundestagswahl. Kein Wunder, dass die CDU sich nicht mit Ruhm bekleckern würde, haben die Umfragen der vergangenen Wochen mehr als deutlich vorhergesagt. Zumindest aber der Sieg von Stanislaw Tillich in Sachsen wird auch in der Union als Fingerzeig gewertet. Hier ist möglich, wovon viele Parteigänger Merkels träumen: eine schwarz-gelbe Mehrheit. Und das in einem Sechs-Parteien-System.

Merkel kann natürlich die herben Niederlagen für Peter Müller an der Saar und Dieter Althaus in Thüringen auf einen besonders starken Oskar Lafontaine beziehungsweise einen besonders schwachen Althaus zurückführen. Aber das wird als Erklärung nicht reichen. Umfragen zeigen: Die Menschen wollen soziale Sicherheit, aber sie sind sich nicht sicher, ob sie die bei der CDU bekommen. Sie sind sich nicht mal sicher, was sie überhaupt von der Union zu erwarten haben.

Merkel macht derzeit einen Null-Wahlkampf. Einzige Botschaft: Wer sie als Kanzlerin behalten will, muss CDU wählen. Das reicht nicht mal mehr den eigenen Leuten. Von Günther Oettinger über Philipp Mißfelder bis hin zu CDU-Mittelstands-Chef Josef Schlarmann wird Merkel geraten, endlich harte Kante zu zeigen.

Deren Argument: Schwarz-Gelb wird - wenn überhaupt - nur knapp zustande kommen. Wenn sich dann noch die abwenden, denen der inhaltsleere Merkel-Wahlkampf zu wenig ist, dann könnten genau jene zwei, drei Prozentpunkte fehlen, die die Union braucht, um ein Bündnis mit FDP-Chef Guido Westerwelle eingehen zu können.

Wenn es aber trotzdem reicht, könnte das an den Überhangmandaten liegen. Die kommen zustande, wenn eine Partei mehr Wahlkreise gewinnt, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen. Wahlforscher sehen bis zu 20 solcher Überhangmandate für die Union.

Manche unken jedoch, dass Merkel genau das gar nicht will. Sie wolle lieber mit einer geschwächten aber verlässlichen SPD weiterregieren, als sich mit einem renitenten Westerwelle den programmierten Ärger ins Boot holen. Zumindest würde das ihren zurückhaltenden Wahlkampfstil erklären.

Die SPD - Seite 2

SPD

Der Jubel in der SPD-Parteizentrale am Sonntagabend hatte etwas Befreiendes. Doch wovon eigentlich? In Thüringen hat die SPD gut hinzugewonnen, an der Saar hat sie ordentlich verloren, in Sachsen ist sie praktisch gleich stark geblieben - wobei das Wörtchen "stark" und das erreichte Zehn-Prozent-Ergebnis nicht recht zusammenpassen wollen. Nur im Saarland ist die SPD über 20 Prozent gekommen.

Aus all diesen Ergebnissen eine Befreiung aus dem Umfragedauertief, gar eine Renaissance der Sozialdemokratie abzuleiten, wäre doch etwas vermessen. Daraus abzuleiten, SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier könne Kanzler werden, entbehrt jeder Grundlage.

Die Chancen für Letzteres sind eher theoretischer Natur. Wenn die Linke etwa ihr Wahlprogramm über den Haufen wirft und nun doch für Hartz IV, Rente mit 67 und für den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr sein würde und dann noch Oskar Lafontaine abdankt ... Na ja, wohl eher nicht.

Innerlich haben die SPD-Vorderen das Ziel Kanzleramt längst abgeschrieben. Was sie wirklich wollen, verrät dieser Satz, den derzeit jeder Spitzengenosse in abgewandelter Form von sich gibt: "Gegen uns darf in diesem Land keiner Politik machen können."

Realistischerweise heißt das: Die SPD arbeitet in den verbleibenden Wochen hart daran, unter Kanzlerin Angela Merkel als Juniorpartner einer großen Koalition weiterzumachen. Zwei Ministerposten weniger, das wäre nach Lage der Dinge wohl der Preis, der zu zahlen wäre. Hauptsache weiter regieren.

Das drückt sich auch aus in der Parole: "Schwarz-Gelb verhindern". In Thüringen und im Saarland ist dieses Ziel jetzt erreicht. Wenn auch nicht aus eigener Kraft. Gejubelt wird trotzdem.

Und dennoch könnte das vergangene Wochenende den Genossen einen neuen Schub geben. Es hat gezeigt: Da ist noch was drin. Die Union gilt mit ihren Umfragewerten als ausmobilisiert. Im Nichtwählerlager ist für sie kaum noch was zu holen.

Anders die SPD. Der Soze hat in den vergangenen Jahren lieber gar nicht als die anderen gewählt. Wenn die plötzlich ihre alte Liebe wiederentdecken aus Sorge, die anderen könnten das Ruder ganz übernehmen, dann ist noch reichlich Luft nach oben. Tja, wenn. Bisher nämlich sind kaum neue Funken übergesprungen.

Die FDP - Seite 3

FDP

FDP-Parteichef Guido Westerwelle ließ sich am Wahlabend in der Berliner Parteizentrale feiern als wäre er es, der gerade den Auftrag zur Regierungsbildung im Bund bekommen hätte. Ganz so ist dem nicht: Die FDP hat zwar in Sachsen, Thüringen und im Saarland ihren Stimmenanteil durchgehend mehr als verdoppelt. Bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen kommt die FDP jetzt auf 9,2 Prozent, ein Plus von 2,4 Punkten.

Das alles ist ein respektabler Erfolg. Und doch fehlt da etwas. Nur in Sachsen erreicht die FDP mit genau zehn Prozent ein zweistelliges Ergebnis. Dabei war die FDP doch angetreten zu neuen Höhenflügen. Bis zu 18 Prozent verzeichneten die Liberalen zuvor in bundesweiten Umfragen.

Und wenn die Union weiter so schwächelt wie in Thüringen und im Saarland, dann wird die FDP womöglich genau so viel auch holen müssen, um Schwarz-Gelb perfekt zu machen. Für Westerwelle ginge damit sein größter Traum in Erfüllung - endlich mitregieren, als Außenminister und Vizekanzler. Darauf wartet er schon elf Jahre. Es ist seine vielleicht letzte Chance.

Inzwischen dürfte klar sein: Langt es nicht für Schwarz-Gelb, bleibt die FDP in der Opposition. Mit einem Wechsel ins rot-grüne Lager liebäugeln in der FDP nur ein paar versprengte Bürgerrechtspolitiker. Außerdem hat sich Westerwelle schon zu sehr auf die Union als Partner festgelegt und SPD und Grüne als solche verdammt.

Ein Bündnis aus Union, FDP und Grünen hingegen ist schon deshalb ausgeschlossen, weil die Grünen sich genau diese Option per Parteitagsbeschluss verwehrt haben.

Manche glauben, weitere vier Jahre Opposition, das wird Westerwelle politisch nicht überleben und führen als Grund die Machtbesessenheit der FDP an. Das ist möglich, allerdings nur, wenn die Partei bei der Bundestagswahl deutlich unter zehn Prozent bleibt.

Wer sollte es sonst wagen, an seinem Stuhl zu sägen, wenn er mit einem guten zweistelligen Ergebnis das womöglich beste je ereichte Resultat für die Freidemokraten einfährt. Wer siegt hat recht, auch wenn es am Ende nicht für die Regierung reicht.

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Linke

Mehr als 20 Prozent für die Linke im Saarland. Ehrlicherweise müsste man sagen: Mehr als 20 Prozent für Oskar Lafontaine im Saarland. Dennoch: ein beachtliches Ergebnis. Die Linke ist damit endgültig im Westen angekommen. Von Regionalpartei Ost kann keine Rede mehr sein.

Und wenn sie es dann noch schafft in Thüringen und im Saarland mitzuregieren und in Thüringen gar den Ministerpräsidenten zu stellen, dann dürfte dieser Wahlsonntag als historisch in den Annalen der Linken verbucht werden. Zumal ja durchaus befürchtet wurde, die Linke könne schwächeln auf den letzten Metern bis zur Bundestagswahl. Umfragen jedenfalls haben sie so stark nicht gesehen, wie sie geworden ist. Einziger Dämpfer: In Sachsen hat die Linke drei Prozentpunkte verloren.

Für die Bundestagswahl bedeutet das alles erst mal: gar nichts. Anders als in den Ländern gilt sie dort keiner Partei als koalitionsfähig. Ein rot-rot-grünes Bündnis dürfte ausgeschlossen sein, auch wenn Teile der SPD und der Grünen durchaus mit der Idee liebäugeln.

Größter Hemmschuh ist dabei gar nicht so sehr die Sozialpolitik. Da geht es vor allem um Strukturen und um Geld. Kompromisse erscheinen zumindest möglich. Nahezu unmöglich hingegen sind sie in der Außenpolitik. Die Linkspartei fährt einen klar europaskeptischen Kurs und will sofort raus aus Afghanistan. Beides steht diametral zu dem, was SPD und Grüne wollen.

Parteichef Gregor Gysi hat dafür die richtigen Worte gefunden: Wenn die Linke da mitziehe, mache sie sich in dem Moment "überflüssig". Sollte die Linke aber demnächst im Saarland und in Thüringen mitregieren, dann kann sie sich beweisen, dass sie auch ohne Beharren auf Maximalforderungen wählbar bleibt. Vielleicht wird es dann 2013 eine neue Chance geben, ein linkes Bündnis im Bund zu schmieden.

Die Grünen - Seite 5

Grüne

So langsam scheinen die Wunden, die die rot-grüne Bundesregierung bei den Grünen hinterlassen hat, zu verheilen. Zwischenzeitlich gab es keinen einzigen grünen Minister mehr, weder im Bund, noch in den Ländern.

Jetzt winkt nach Bremen und Hamburg zumindest im Saarland eine neue Regierungsbeteiligung, bei der sie sich den Partner sogar aussuchen können. Die Frage ist: Entweder unter Rot-Rot das Anhängsel von zwei Großen zu sein oder halbwegs gleichberechtigt neben der FDP zusammen mit der CDU regieren.

Die Grünen haben allen Grund, sich über so viel Komfort zu freuen. Am Abend der Bundestagswahl werden sie sich nach Lage der Dinge auf weitere vier Jahre Opposition vorbereiten müssen.

Die Grünen gehen diesmal erstmals in ihrer Geschichte ohne klare Machtperspektive in eine Bundestagswahl. Mit CDU und FDP wollen sie nicht, mit SPD und Grünen will die FDP nicht, Rot-Rot-Grün will die SPD nicht und für Rot-Grün reicht es nicht. Eine politische Zwickmühle nennt man das.

Die Grünen versuchen, das Thema zu umschiffen und haben sich ein Sprechverbot auferlegt sobald es um Koalitionsfragen geht. Ihr oberstes Wahlziel lautet daher nur: Schwarz-Gelb verhindern. Ansonsten versuchen sie den Wählern weiszumachen, dass die Grünen auch in der Opposition Macht haben, eben weil es sie gibt. Je stärker sie werden, lautet das Argument, desto mehr müssten die Regierungsparteien auf sie hören. Darum müssten die Grünen unbedingt dritte Kraft werden.

Insofern könnten die Grünen zur tragischen Partei dieser Bundestagswahl werden. Sie haben erfahrene Kandidaten, gelten als umfassend koalitionsfähig, ihr hochgelobtes Wahlprogramm gilt als sachlich und differenziert. Sie sind also besser als alle anderen Parteien auf Regieren vorbereitet, haben dafür aber mit die schlechtesten Chancen.

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