Die Macht des Staates:Alles unter Kontrolle

Ein Herausforderer kam unter Hausarrest, ein anderer wurde gleich festgenommen. Nur ein einziger Gegenkandidat tritt noch an: Er hatte bisher die Wiederwahl von Amtsinhaber Abdel Fattah al-Sisi unterstützt.

Von Paul-Anton Krüger

Der Präsident ist omnipräsent, obwohl er gar nicht auftritt in diesem Wahlkampf: Banner mit Abdel Fattah al-Sisi hängen an Straßenecken, vor Läden in Kairo. Ägyptens Staatschef in Militäruniform, im Anzug, beim Eröffnen von Megaprojekten, am Suezkanal. Selbst wenn sich 20 000 Menschen zu seiner Unterstützung in einem Stadion einfinden, manche herangekarrt und bezahlt, wie am Samstag in Kairo, spricht er nicht zu ihnen. Sisi präsentiert seine Errungenschaften in Konferenzen mit handverlesenem Publikum oder in Fernsehinterviews. Eine Moderatorin spielte ihm dabei kürzlich Videos mit den Sorgen normaler Ägypter vor.

Nur wenige mutige Journalisten trauen sich aber wirklich, Bürger zu zitieren, die aussprechen, was ganz Ägypten weiß: Die Präsidentenwahl von diesem Montag bis Mittwoch ist eine Farce. Dabei hätte Sisi gute Chancen gehabt, wiedergewählt zu werden, selbst wenn das Regime nicht Konkurrenten ausgeschlossen oder so lange drangsaliert hätte, bis sie sich zurückzogen. Das gestehen selbst Sisis Kritiker zu.

Mohammed Anwar al-Sadat, Neffe des 1981 ermordeten Präsidenten, wollte antreten, wissend, dass "Sisi alles kontrolliert", wie er der Süddeutschen Zeitung sagte. "Aber ich wollte zumindest den Raum für eine Debatte öffnen, dafür sorgen, dass die Stimmen der Ägypter gehört werden." Als er versuchte, in Hotels in Kairo einen Saal für eine Pressekonferenz zu mieten, untersagte das die Staatssicherheit. "Ich habe die Signale verstanden", sagt Sadat. Er wollte seine jungen Wahlhelfer nicht gefährden. So gab er einen Rückzug bekannt.

Die ausländischen Medien sind erneut im Visier der Sicherheitskräfte

"Es gibt heute in Ägypten keinen Raum, seine Meinung zu äußern, eine Debatte zu führen. Nicht über Politik, aber auch nicht über wirtschaftliche oder soziale Fragen", sagte er. Die Medien seien völlig in der Hand des Regimes - in seinen Büro läuft deshalb das arabische Programm der BBC. Und das Parlament komme seiner Kontrollfunktion längst nicht mehr nach.

Sadat war seit 2005 Abgeordneter; 2017 schloss ihn das Parlament aus. Ihm wurde vorgeworfen, Entwürfe des international scharf kritisierten Gesetzes zur Arbeit von Nichtregierungsorganisationen an Botschaften durchgestochen zu haben. Das Gesetz stranguliert die Zivilgesellschaft, ebenso wie die Arbeit ausländischer Stiftungen und Organisationen. Der Generalstaatsanwalt stellte die Ermittlungen ein. Diplomaten vermuten eher, dass Sadat in Ungnade fiel, weil er forderte, das Militärbudget zu diskutieren; das gilt als Staatsgeheimnis.

November 8 2017 Sharm El Sheikh Sharm El Sheikh Egypt Egyptian President Abdel Fattah al Sisi

Unangefochten: An der Wiederahl des seit 2014 regierenden ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi gibt es keinerlei Zweifel.

(Foto: imago/ZUMA Press)

Gegen Herausforderer aus Reihen des Militärs ging das Regime noch ruppiger vor: Ahmed Schafik, unter dem 2011 gestürzten Diktator Hosni Mubarak kurz Premier, zuvor Minister und Luftwaffenchef, wurde nach seiner Rückkehr aus dem Exil laut seinem Anwalt in Kairo unter Hausarrest gestellt. Man drohte ihm, alte Korruptionsverfahren wieder aufzunehmen; Schafik verzichtete. Sami Anan, bis 2012 Generalstabschef, wurde festgenommen, nachdem er seine Kandidatur erklärt hatte. Er habe nicht die erforderliche Erlaubnis der Militärs eingeholt, überdies Dokumente gefälscht, hieß es, bevor die Staatsanwaltschaft eine Nachrichtensperre verhängte.

Als klar wurde, dass Sisi alleine antreten würde, meldete sich Minuten vor Fristende Moussa Mustafa Moussa bei der Wahlkommission, der kaum bekannte Chef der Ghad-Partei. Tags zuvor war er noch Teil einer Kampagne gewesen, die für Sisis Wiederwahl wirbt. Nach Schafiks und Anans "Ausscheiden" habe er eine "demokratische Wahl garantieren wollen", sagt er.

Seine Partei habe ein Programm vorzuweisen, und außerdem: Bei einem Referendum über Sisi müssten ihn fünf Prozent der 60 Millionen registrierten Wähler bestätigen; ein Bündnis linker Parteien hat zum Boykott aufgerufen. "Dann würde vielleicht niemand zur Wahl gehen. Warum sollen die Leute sich in der Sonne den Kopf verbrennen, wenn es nur einen Kandidaten gibt?", fragt Moussa. Wenn aber nicht genug Stimmen für den Präsidenten zusammenkämen, sei das gefährlich für das Land - sagt dessen offizieller Gegenkandidat. Ägyptens Feinde lauerten nur auf eine solche Gelegenheit, sagt er.

Selbst im Militär gibt es inzwischen offenbar Verwerfungen

Verschwörungen wittert auch der Präsident: Dunkel warnt er vor den "Kräften des Bösen", die Ägypten zerstören wollten. Tatsächlich kämpft die Armee im Nordsinai gegen die Terrormiliz IS; am Samstag entging in Alexandria der Sicherheitschef der Stadt einem Bombenanschlag unverletzt; zwei Polizisten aber starben. Hinter all dem sollen laut Regime die verbotene Muslimbruderschaft stehen und ihre Unterstützer Türkei und Katar, aber auch westliche Staaten. Jede Kritik an der Menschenrechtslage, an der Inhaftierung Zehntausender politischer Gefangener, wird als Versuch dämonisiert, gegen die vermeintliche Stabilität Ägyptens zu konspirieren.

Im Visier sind ausländische Medien, wie sie es seit der gewaltsamen Machtergreifung des Militärs im Sommer 2013 nicht mehr waren. Die Korrespondentin der Times aus London wurde festgenommen. Ohne dass man ihr die Vorwürfe gegen sie mitteilte, wurde ihr ein Prozess vor einem Militärgericht angedroht, wenn sie nicht das Land verlasse. Gegen die BBC läuft eine beispiellose Hetzkampagne, nachdem der Sender über Menschenrechtsverletzungen berichtet hatte. In dem Film klagte eine Mutter an, die Sicherheitskräfte hätten ihre Tochter verschwinden lassen - Hunderte ereilt dieses Schicksal jedes Jahr. Tage später wurde das Mädchen in der Sendung eines regimetreuen Talkshow-Moderators vorgeführt und bestritt alle Angaben. Ihre Mutter wurde daraufhin verhaftet, deren Anwalt ist verschwunden.

Die Macht des Staates: Einer tritt an, der andere nicht: Mohammed Anwar al-Sadat (links) zog seine Präsidentschaftskandidatur zurück; Moussa Mustafa Moussa sprang in letzter Sekunde ein.

Einer tritt an, der andere nicht: Mohammed Anwar al-Sadat (links) zog seine Präsidentschaftskandidatur zurück; Moussa Mustafa Moussa sprang in letzter Sekunde ein.

(Foto: Mohamed Abd El Ghany/Reuters; Amr Nabil/AP)

Der Generalstaatsanwalt schaltete eine Hotline, bei der "gefälschte Nachrichten" gemeldet werden können, und Sisi stellte klar, dass "Verleumdungen der Armee und Polizei" nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt, sondern "Hochverrat" seien. Eilfertig nahm die Polizei einen Moderator fest, der als besonders regimenah gilt. Sein Vergehen: Er hatte den Brief einer Frau eines Polizeioffiziers verlesen, in dem sie klagte, das Gehalt ihres Mannes sei so schlecht, dass sie als Putzfrau arbeiten müsse.

Aber auch in den eigenen Reihen wähnt Sisi offenkundig Verrat: Im Oktober setzte er Generalleutnant Mahmoud Hegazy als Generalstabschef ab. Im Januar schasste er - ebenfalls ohne jede Erklärung - den mächtigen Geheimdienstchef Khaled Fawzy, der maßgeblich Ägyptens Politik in Libyen bestimmte oder zwischen den rivalisierenden Palästinenser-Gruppen Fatah und Hamas vermittelte. An seine Stelle trat Sisis Büroleiter Abbas Kamal. Das hat Spekulationen über Verwerfungen im Regime befeuert. Doch dass Sisi wiedergewählt wird, steht außer Zweifel. Dafür bräuchten eigentlich die Wahllokale an diesem Montag in Ägypten gar nicht öffnen.

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