Die Luxemburger Entscheidung:Nicht in meiner Firma

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Das EuGH-Urteil hat es in sich. Es stellt die deutsche Rechtslage auf den Kopf und betont die Freiheit der Unternehmen. Betriebe dürfen Mitarbeitern nun religiöse Symbole verbieten.

Von Wolfgang Janisch

Künftig könnte es für muslimische Frauen schwieriger werden, einen Job zu finden - zumindest dann, wenn sie ein Kopftuch tragen wollen. (Foto: BernhardClassen)

Natürlich ging am es am Dienstag in Luxemburg um Kopftücher, juristisch betrachtet aber um deutlich mehr. Deshalb muss man zunächst klarstellen: Nein, der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat nicht gesagt, Betriebe dürften muslimischen Arbeitnehmerinnen das Tragen von Kopftüchern untersagen. Jedenfalls nicht als plumpe Anordnung nach dem Motto: Wer hier mit Kopftuch kommt, fliegt raus. Unternehmen dürfen fortan aber sagen, sie wollten - natürlich ganz allgemein - einfach nur ein weltanschaulich neutrales Bild abgeben, weshalb das Tragen weltanschaulicher Symbole im Betrieb untersagt sei. Das gilt dann für Katholiken und Protestanten, für sektiererische Glaubensbrüder und sogar für Fundamental-Atheisten. Und ja, auch für Muslime.

Es ist der schmale Grat am Rande der Diskriminierung, auf dem sich die beiden Urteile des EuGH bewegen. Ein Fall stammt aus Frankreich, der andere aus Belgien; dort geht es um eine Rezeptionistin, die ihren Dienst schon einige Jahre ohne Kopfbedeckung verrichtet hatte, als sie 2006 ankündigte, nunmehr aus Glaubensgründen mit Kopftuch zur Arbeit zu kommen. Bis dahin hatte es lediglich eine ungeschriebene Regel zur Neutralität am Arbeitsplatz gegeben, doch im Zuge der Auseinandersetzung mit der Frau erließ das Unternehmen eine neue Arbeitsordnung, gebilligt vom Betriebsrat: keine "sichtbaren Zeichen" politischer, philosophischer oder religiöser Überzeugung am Arbeitsplatz. Die Frau wurde entlassen.

Ob es dabei bleibt, ist nach dem EuGH-Urteil allerdings nicht ganz sicher. Möglicherweise war die Neutralitätsregel nur nachgeschoben, um die Kündigung zu rechtfertigen, vielleicht gäbe es auch einen Arbeitsplatz ohne Kundenkontakt - mag sein, dass die Frau vor den belgischen Arbeitsgerichten am Ende gewinnt. Im zweiten Urteil haben die Richter zudem klargestellt, dass allein der Wunsch von Kunden, nicht von Kopftuchträgerinnen bedient zu werden, kein Verbot rechtfertigt.

Das Bundesarbeitsgericht hatte das Kopftuch am Arbeitsplatz ausdrücklich erlaubt

Generell aber hat der EuGH die Tür für Kopftuchverbote am Arbeitsplatz aufgestoßen. Man darf eben nur nicht mit den Vorurteilen der Kundschaft argumentieren, sondern muss sich auf die Unternehmenspolitik berufen. Und dies, obwohl der EuGH durchaus ahnt, dass sich hinter einem hehren Bekenntnis zur Neutralität auch eine "mittelbare Diskriminierung" von Muslimen verbergen kann. Dennoch schreibt er: "Der Wunsch eines Arbeitgebers, den Kunden ein Bild der Neutralität zu vermitteln, gehört zur unternehmerischen Freiheit" - geschützt auch durch die EU-Grundrechtecharta. Dieses Ziel rechtfertige Verbote weltanschaulicher Symbole "insbesondere" dann, wenn sie nur für Arbeitnehmer gälten, "die mit den Kunden in Kontakt treten sollen".

Der Spruch aus Luxemburg stellt die Rechtslage in Deutschland auf den Kopf. Seit einem Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) von 2002 war klar, dass religiöse Symbole am Arbeitsplatz nicht untersagt werden dürfen ( siehe Bericht links). Gewiss, Schleier an der Fräsmaschine etwa durften aus Sicherheitsgründen verboten werden. Doch im Normalfall galt Religionsfreiheit am Arbeitsplatz. Diese Linie wird das Gericht aufgeben müssen. "Das BAG wird das Urteil aus Luxemburg eins zu eins übernehmen", prognostiziert Gregor Thüsing, Professor für Arbeitsrecht in Bonn. Deutsche Unternehmen können damit eine Art Betriebslaizismus einführen, jedenfalls vorne an der Kundentheke. Das Urteil ist damit dem Schlussantrag der deutschen Generalanwältin Juliane Kokott gefolgt (deren Kollegin im zweiten Fall gegen Verbote votiert hatte). Thüsing hält das Urteil für konsequent, weist aber auf die Gefahren hin: "Das führt zu einer Ausgrenzung streng muslimischer Frauen aus dem Arbeitsmarkt."

Die Regeln für Arbeitnehmer könnten bald andere sein als für Staatsbedienstete

Besonders kurios daran ist: Muslimische Frauen, die das Kopftuch tragen, dürfen in Deutschland zwar womöglich nicht mehr an der Ladenkasse sitzen - aber sie können Lehrerin werden und Kinder unterrichten. Mit Kopftuch, wohlgemerkt. Das Bundesverfassungsgericht hat 2015 die individuelle Glaubensfreiheit höher angesiedelt als das staatliche Neutralitätsgebot und damit eine bemerkenswerte Abkehr von seinem Urteil aus dem Jahr 2003 vollzogen. Seinerzeit hielt es Kopftuchverbote an Schulen für zulässig - nun sollte dies nur noch in Ausnahmefällen möglich sein, und zwar bei einer konkreten Störung des Schulfriedens. Daraus ergibt sich für Deutschland eine widersprüchlich anmutende Rechtslage: Die Freiheit der Unternehmer rechtfertigt empfindlichere Einschränkungen der Religionsfreiheit als das Gebot staatlicher Neutralität. Bisher glaubte man, es sei andersherum.

Ist das erzliberale Schul-Urteil aus Karlsruhe inzwischen ein Solitär? Geht der Trend hin zu stärkeren Einschränkungen der Religionsfreiheit? Den Eindruck könnte man haben, wenn man sich die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte anschaut, also des zweiten (nicht zur EU gehörenden) obersten Europagerichts. 2014 hatte das Gericht in Straßburg ein allgemeines (also auch für den Spaziergang im Park geltendes) Burkaverbot in Frankreich gebilligt, 2015 akzeptierte es ein französisches Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst. Und Anfang des Jahres entschied es in wohltuender Klarheit, die schulische Integration muslimischer Mädchen sei wichtiger als eine religiös motivierte Befreiung vom Schwimmunterricht. Freilich spricht aus diesen Urteilen nicht so sehr eine strengere Linie in Religionsdingen, sondern eher die Zurückhaltung des Gerichts gegenüber nationalen Besonderheiten, etwa der strengen Trennung von Staat und Kirche in Frankreich.

Der Entscheid des EuGH dagegen lässt keinen Spielraum. Betriebe können sich auf die Freiheit des Unternehmens berufen, wie sie vom Gerichtshof definiert wurde. Sollten die Arbeitgeber davon in großer Zahl Gebrauch machen, dann wird das religiöse Bekenntnis mehr und mehr ins Private zurückgedrängt. Zu den Kritikern des Urteils gehört daher auch die Evangelische Kirche in Deutschland. Religionsfreiheit sei "mehr als ein Aspekt privater Lebensführung", sagte Katrin Hatzinger, Leiterin des Brüsseler EKD-Büros, der Nachrichtenagentur epd. Für viele Gläubige sei sie "integraler Bestandteil ihres Lebens".

© SZ vom 15.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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