Die Linke und ihre Führung:Parteichefs auf Abruf

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Das Programm ist verabschiedet, die Personalfrage bleibt offen. Klaus Ernst und Gesine Lötzsch sind Parteivorsitzende auf Abruf, der heimliche Parteichef heißt Oskar Lafontaine. Das ist nach dem Bundesparteitag klarer denn je. Schlimm findet das dort kaum einer.

Michael König, Erfurt

Manche Vorsätze halten nur drei Minuten. Um 11:05 Uhr gibt die Parteitagsleitung das Ergebnis bekannt: 503 Ja-Stimmen, vier Nein-Stimmen, 29 Enthaltungen. Das erste Parteiprogramm der Linken ist mit 96,9 Prozent Zustimmung verabschiedet.

Appell an die Partei: Die Vorsitzenden der Linkspartei, Klaus Ernst und Gesine Lötzsch, haben auf dem Bundesparteitag der Linken in Erfurt daran erinnert, dass für den Erfolg ein Mindestmaß an Geschlossenheit notwendig ist. (Foto: dpa)

Die Delegierten auf dem Bundesparteitag in Erfurt klatschen rhythmisch, minutenlang. Rote Tücher und Fahnen werden geschwenkt. Die Bildregie zeigt Menschen, die sich in die Arme fallen. Eine Frau weint vor Freude. Der Streit der vergangenen Monate, vor allem um das Spitzenpersonal, soll in diesem Moment vorbei sein. "Wir hatten zu viel Selbstbeschäftigung, die macht uns kaputt", hatte Bundestag-Fraktionschef Gregor Gysi gesagt.

Um 11:08 Uhr, der Jubel ist verklungen, kündigt Tagungsleiter Klaus Lederer, Landeschef der Berliner Linken mit Vorliebe für modische Sportjacken, den weiteren Zeitplan an. "Und dann folgt die Rede unseres Vorsitzenden ..., äh, der saarländischen Fraktion, Oskar Lafontaine." Ein Raunen geht durch den Saal. Einige Linke lachen spöttisch. Da ist sie wieder, die Personaldebatte. Auch von einem Grundsatzprogramm ist sie nicht tot zu kriegen.

Lafontaine ist der heimliche Parteichef, das ist nach dem Bundesparteitag klarer denn je. Am Samstag meldet er sich zweimal am Saalmikrofon. "Ich bin Oskar Lafontaine", sagt der einstige SPD-Vorsitzende, obwohl das hier jeder weiß. Dann spricht er sich dafür aus, den mühsam gefundenen Kompromiss zur Außenpolitik im Parteiprogramm unangetastet zu lassen. Die Delegierten folgen ihm. Später setzt er durch, dass Klaus Ernst vor der Endabstimmung sprechen darf, und nicht erst später. Auch dieser Antrag geht durch.

Klaus Ernst ist gemeinsam mit Gesine Lötzsch der eigentliche Parteichef. Das muss erwähnt werden, ersichtlich ist es nicht. Lafontaine, nach einer Krebserkrankung offenbar wieder topfit, sitzt in der ersten Reihe direkt neben dem Duo. Als Lötzsch am Freitag von ihrer Rede zurückkehrt, hebt er den Daumen wie ein römischer Cäsar.

In der Rolle des Welterklärers

Ernst beruft sich in seiner Rede am Sonntag mehrfach auf Lafontaine. Er erinnert daran, dass "die Medien" 2009 berichtet hätten, Lafontaine trage die Verantwortung für interne "Querelen". Kurz darauf habe die Linke ihr Bundestagswahl-Ergebnis von knapp zwölf Prozent eingefahren. "Wenn ich mit Gesine Lötzsch über die Spree gehen würde, würden die Journalisten schreiben: Sie können nicht einmal schwimmen", klagt Ernst in Anlehnung an ein Zitat von Berti Vogts.

Der bayerische Gewerkschaftler hält eine engagierte Rede, ähnlich wie Gysi am Vortag gefällt er sich in der Rolle des Welterklärers. "Ein Prozent der Gesellschaft will weitermachen wie bisher: Die Banker, die Spekulanten, die mit dem dicken Bankkonto. Die müssen wir daran hindern, das ist unser Job", ruft Ernst. Die Linke sei ein Fluss, der sich aus vielen Quellen speist. "Aber er ist mächtiger als die Summe seiner Quellen." An jene, die noch unentschlossen seien, appelliert Ernst: "Wer den Kopf in den Sand steckt, kriegt in den Hintern getreten, und kann nicht mal sehen, wer's gewesen ist."

Wie vor ihm Lötzsch und Gysi appelliert Ernst an den Zusammenhalt seiner Partei. "Für den Erfolg brauchen wir ein Mindestmaß an Geschlossenheit", sagt er. Das tue "manchmal gut". Seine Klage lässt tief blicken. Wer nicht einmal ein Mindestmaß an Unterstützung spürt, der ist in der Opferrolle. Das war Ernst - und mit Abstrichen auch Lötzsch - in den vergangenen Wochen und Monaten häufiger. Aber diesmal sind die Reaktionen anders.

Die Linke hat zwar weiterhin ein Personalproblem, aber jetzt auch eine Lösung. So sehen das viele. "Warten auf Oskar", nennt es spöttisch ein Delegierter. Frei nach: Warten aufs Christkind. Als Lafontaine am Sonntag redet, hat er schon einmal Geschenke dabei.

Wird der Vorgänger zum Nachfolger? Ex-Parteichef Oskar Lafontaine (links) sowie die amtierenden Parteivorsitzenden der Linken, Klaus Ernst (Mitte) und Gesine Lötzsch. (Foto: dpa)

Zwar bleibt der Fraktionschef der Saar-Linken bei seiner Position, sich nicht zu der Spitzenkandidatur zu äußern. Aber die Rede ist gewohnt flammend, der Applaus hält länger an als bei allen Vorrednern. "Wir brauchen den aufrechten Gang", ruft Lafontaine immer wieder. "Wenn Euch jemand fragt, ob ihr bei den Linken seid, dann duckt Euch nicht weg. Schaut ihm ins Gesicht und sagt: Du noch nicht? Dann wird es aber Zeit!"

Lafontaines Auftritt könnte einem Lehrbuch für Motivationstrainer entsprungen sein. "Ich hab mir tierisch geärgert über die Antisemitismus-Debatte", sagt er in Anspielung auf den Streit um antijüdische Tendenzen in der Linken. "Eine Partei, die Gregor Gysi in ihren Reihen hat, die sich auf Rosa Luxemburg beruft, die hat doch keine Belehrung nötig!" Donnernder Applaus.

Die Konkurrenz wird im Schnelldurchlauf abgewatscht. "Wer hat sich denn einer Zusammenarbeit verweigert, in Thüringen, Sachsen-Anhalt, in Hessen und in Hamburg? Das war die Sozialdemokratie! Die haben Veränderungsbedarf, nicht wir", ruft Lafontaine. An die Grünen gerichtet: "Wer mörderische Kriege befürwortet, der kann kein Umweltschützer sein." Und an die gesamte Konkurrenz: "Nicht nur Guttenberg ist ein Plagiator, die anderen Parteien sind Plagiatoren, wenn es um die Programmatik der Linken geht."

Mit der Finanzkrise sei die Zeit der Linken angebrochen, sagt Lafontaine: "Was Fukushima vermeintlich für die Grünen war, das war der Zusammenbruch von Lehman Brothers für die Linke. Das System muss überwunden werden, es gibt keine andere Möglichkeit". Die "Diktatur der Finanzmärkte" zu beenden, das gehe nur mit der Linken. Ähnlich hatten es zwar auch schon andere Redner ausgedrückt, aber bei Lafontaine wirkt es kämpferischer. "Da is das Ding", ruft ein junger Delegierter in Anlehnung an Oliver Kahn. Als sei die Linke gerade Meister geworden.

Was Lötzsch und Ernst angeht, mahnt Lafontaine zur Zurückhaltung: "Wenn die Führung angegriffen wird, dann braucht sie die Solidarität der gesamten Partei. Auch wenn sie Fehler macht", sagt der heimliche Parteichef. Das ist Aufforderung und Kritik zugleich, verpackt in wenige Worte. Seine Zuhörer applaudieren, als sei von ihnen niemand an der Demontage beteiligt gewesen.

Als Lafontaine fertig ist, umarmt ihn Lötzsch. Und Ernst fällt ihm regelrecht um den Hals. Wie ein Sohn, der seinem Vater dankbar ist. Nach der Geschenkübergabe, zu Weihnachten.

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