Die Linke:Gysis zwei Gesichter

Gregor Gysi muss sich wieder gegen Stasi-Vorwürfe wehren: Jetzt stärkt sein Heimatverband ihm klar den Rücken

Gregor Gysi muss sich wieder gegen Stasi-Vorwürfe wehren: Jetzt stärkt sein Heimatverband ihm klar den Rücken

(Foto: Getty Images)

Der Frontmann der Linken reagiert verletzt und erschöpft auf die wiederkehrenden Stasi-Vorwürfe gegen ihn. Doch umgehend kehrt er den politischen Routinier heraus - und wird mit 94 Prozent der Berliner Spitzenkandidat.

Von Daniel Brössler, Berlin

Gregor Gysi hat gesprochen und die Genossen wissen, was sie ihm jetzt schulden. Nicht frenetisch fällt ihr Applaus aus, aber doch lang, laut und sehr freundlich. Gysi, der sich vom Rednerpult an seinen Platz zurück begeben hat, steht noch einmal auf, dreht sich um und winkt mit der rechten Hand den Klatschenden zu. Nicht triumphierend, eher erschöpft. Während der Rede war diese Hand noch durch die Luft gesaust. Ganz so wie Gysi es braucht, um seinen Worten Schwung zu geben.

In Wahrheit hat es die Linke dieser Tage nicht mit Gysi zu tun, sondern mit zwei Gysis. Der erste Gysi ist jener, der seiner Rede vor den Delegierten des Berliner Landesparteitages "einige ganz wenige persönliche" Bemerkungen voranstellt und der erklärt: "Ich unterschreibe keine falschen eidesstattlichen Versicherungen und Punkt." Es ist jener Gysi, der versichert, außer wenigen dienstlichen Begegnungen als Anwalt keine Kontakte zur Stasi unterhalten zu haben. "Ich war es, der für Rudolf Bahro Freispruch beantragt hat. Ich war es, der für Robert Havemann Freispruch beantragt hat und nicht diejenigen, die jetzt die Kübel über mich ausschütten", sagt Gysi. Es ist jener Mann, der nach mehr als 20 Jahren wiederkehrender Stasi-Vorwürfe nicht gelassen, sondern höchst angegriffen reagiert. Und jener Mann, der sich nach einer Schulter-Operation durchbeißt und doch verletzt wirkt.

Der andere Gysi ist der Routinier. Links, auf der Operationsseite, hält er sich am Pult fest, mit rechts redet er. "Die Bundestagswahl ist eine große und schwierige Herausforderung", ermahnt er seine Leute. Alle anderen Parteien hätten zum Ziel, dass die Linke aus dem Bundestag fliege. Gysi kann diese Rede im Schlaf, er hat sie schon so oft gehalten. Sie handelt von der "Konsenssoße", der nur die Linke widerstehe, sei es in Afghanistan oder Europa. Es geht in ihr um die Verfehlungen der SPD ("die Agenda 2010 ist weder sozial noch demokratisch") und darum, dass die Linke "ein ganz wichtiges Korrektiv" sei. Laut und leise wechselt Gysi wirkungsvoll ab. Der 65-Jährige kann das alles. Auch, wenn es ihm nicht gut geht.

Wahl mit 94 Prozent

Mit 94 Prozent der Stimmen wählen die Berliner Linken Gysi schließlich zu ihrem Spitzenkandidaten. "Gregor Gysi hat unsere Rückendeckung und das zeigen wir heute auch", hatte Bundeschefin Katja Kipping vorsorglich ermahnt, was vermutlich gar nicht nötig gewesen wäre. Die meisten in der Partei wissen, dass der alte Frontmann kaum zu ersetzen ist. Offiziell nur Teil eines achtköpfigen Spitzenteams, dem auch seine Stellvertreter in der Bundestagsfraktion Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch angehören, ist Gysi in Wahrheit als zentrale Figur der Kampagne gebucht. Umso mehr muss die Partei eine Anklage fürchten im Hamburger Ermittlungsverfahren. Es geht darum, ob eine eidesstattliche Versicherung Gysis haltbar ist, wonach er als DDR-Anwalt weder über Mandanten noch sonst jemanden an die Stasi berichtet hat.

Wenn Linke Gysi nun ihrer Solidarität versichern, so tun es sie es im Wesentlichen für sich selbst. Zwar kann auch Gysi längst nicht mehr vermitteln in der vielfach gespaltenen Partei - aber wenn einem zugetraut wird, die traditionellen Wähler bei der Stange zu halten, dann ihm. Das gilt angesichts der eklatanten West-Schwäche vor allem für die "Hochburgen" im Osten, über die Parteichefin Kipping neuerdings so gerne spricht.

Der Streit, ob Wohl und Wehe der Linken sich im Osten entscheiden (durch ein gutes Resultat) oder im Westen (durch ein nicht zu schlechtes) bewegt die Partei in Wahrheit mehr als die Stasi-Vorwürfe gegen Gysi. Im Kern steckt das auch hinter dem lauten Nachdenken von Oskar Lafontaine über eine Rückkehr in den Bundestag. Zu alledem gesellt sich Unsicherheit über den richtigen Ton gegenüber SPD und Grünen. Eigentlich haben sich die Linken darauf verständigt, nach vielerlei Zurückweisungen vorerst keine Avancen mehr zu machen. Mit seinen Angriffen auf die Linke habe SPD-Chef Sigmar Gabriel "das übliche Maß an Parteienkonkurrenz überschritten", erklärt Kipping den Delegierten. Am Tag darauf zitiert die Bild am Sonntag ihren Ko-Vorsitzenden Bernd Riexinger: Er halte nichts davon, "vor Wahlen alles Mögliche auszuschließen". Wenn die Inhalte stimmten, könne die Linke Peer Steinbrück auch zum Kanzler wählen.

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