Die Hartz-IV-Debatte:Genau nachgerechnet

Die Hartz-IV-Beschlüsse provozieren die Opposition - sie sind aber besser als ihr Ruf. Denn wer Hartz IV zu stark erhöht, der verschärft falsche Anreize.

Marc Beise

Die Dinge vom Kopf auf die Füße zu stellen ist seit Karl Marx eine beliebte Forderung. Sie gilt auch für die Hartz-IV-Debatte. Das beginnt mit der fälschlichen Annahme, das Bundesverfassungsgericht habe höhere Sozialleistungen für länger Arbeitslose gefordert - was bedeuten würde, dass die Koalition mit ihrem Beschluss vom Sonntag über eine minimale Erhöhung der Hartz-IV-Sätze sehenden Auges ins richterliche Verderben laufen würde. Karlsruhe aber ging es um vorrangig um das Wohl der Kinder und die Transparenz des Verfahrens. Dies berücksichtigt, steht die Koalition schon besser da.

Hartz IV - Illustration

Der Regelsatz für Hartz-IV-Empfänger steigt um fünf Euro.

(Foto: dpa)

Sie hat der Versuchung widerstanden, dem Druck der gesammelten Opposition im Land nachzukommen und den Regelsatz von Hartz IV von 359 auf über 400 Euro zu hieven, was nebenbei bemerkt etliche Milliarden Euro kosten würde. Sie erhöht nicht einmal den Satz für Kinder, obwohl sie sich damit im Kernbereich des Karlsruher Urteils bewegt und gegen Erwartungen verstößt. Das mag so aussehen, als ob die Regierenden ihr Mütchen an den Schwachen in der Gesellschaft kühlten. Zu einer Zeit, da die Schere zwischen Arm und Reich weiter aufgeht, spart die Regierung bei denen, die - häufig ohne eigenes Verschulden - abgestürzt sind? Diese Einschätzung würde der Neuregelung nicht gerecht.

Richtig und wichtig ist zunächst die Überarbeitung des Berechnungssystems. Wurde Hartz IV bisher Pi mal Daumen festgesetzt, wobei man Kinder einfach mit einem Bruchteil der Erwachsenentarife ansetzte, so hat die Regierung nun genau nachrechnen lassen. Diese Rechnung wird zu überprüfen sein, ebenso wie Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen unter Beobachtung bleibt, wann und wie sie die gebotenen Mehrausgaben für Kinder statt über den Hartz-IV-Satz durch noch zu beschließende Bildungsangebote tätigt. Sie hat dabei richtigerweise auch die Sprösslinge von Arbeitnehmern mit niedrigem Einkommen im Blick, damit dort nicht neue Ungerechtigkeiten entstehen.

Dass die Koalition den Regelsatz für Erwachsene nur um wenige Euro erhöht, um Internet- und Praxisgebühren einzubeziehen, ist richtig. Dass sie im Gegenzug den Anteil für Alkohol und Nikotin streicht, ist kleinlich. Der Staat hat Wichtigeres zu tun als darüber zu richten, ob die wenigen Euro für Genussmittel Grundversorgung sind oder nur Lebensstil. Er muss beispielsweise die Bezüge zwischen Arbeitslosen und Arbeitenden in der Gesellschaft im Blick behalten.

Gemeinsam mit Miet- und Heizgeldzuschuss kommt ein lediger Arbeitsloser auf 700 bis 800 Euro im Monat. Das ist für sich genommen nicht viel, aber auch nicht mehr weit entfernt von Niedriglohnjobs. Wer Hartz IV erhöht, verschärft falsche Anreize. Die schmerzhaften Kürzungen im Sozialbereich durch Rot-Grün haben die Arbeitslosigkeit reduziert. Erhöht man die Sätze zu stark, wird die Arbeitslosigkeit wieder steigen. Das kann niemand wollen.

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