Die Grünen und der Atomausstieg:Eine Partei sucht ihre Haltung

Dagegen, dafür, dagegen - die Grünen leben ihren Pluralismus: Fraktionschefin Künast sieht den Atomausstieg nach den Zugeständnissen der Kanzlerin "auf einem guten Weg". Ihre Stellvertreterin Höhn kündigt an, den nächsten Bundestagswahlkampf auch zu einer Abstimmung über einen noch schnelleren Atomausstieg zu machen.

Den Tag eins nach der Einigung mit den Ländern zum Atomausstieg nützt die Kanzlerin bereits für das, was in den kommenden Jahren eine der großen Aufgaben der deutschen Politik sein wird: Werben für die Nutzung erneuerbarer Energien und den dafür notwendigen Netzausbau. Bis das letzte Kernkraftwerk 2022 vom Netz geht müsse Deutschland den Umbau der Energieversorgung schaffen, erläuterte die Kanzlerin in ihrem am Samstag veröffentlichten Video-Podcast im Internet.

Auch Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer rührt die Werbetrommel für den Ausstieg und fordert Anerkennung für die große Anstrengung von Schwarz-Gelb. Die Energiewende sei für die Parteien eine Zäsur, vergleichbar mit der Agenda 2010 für die SPD oder den Bundeswehr-Kampfeinsätzen für die Grünen.

Die Kanzlerin hatte am Freitag eine schrittweise Abschaltung der restlichen Atommeiler in Deutschland von 2015 bis 2022 zugesichert und damit die wichtigste Forderung der Kritiker des schwarz-gelben Ausstiegsplanes erfüllt. Nach dem Treffen der Ministerpräsidenten zeichnete sich damit auch ein Konsens zum Atomausstieg ab, den alle Länder und alle Parteien mittragen können.

Doch wie verhalten sich die Grünen? Ein "halbherziges Ausstiegsgesetz voller Hintertüren", sei der schwarz-gelbe Ausstieg, formuliert es Bärbel Höhn, Fraktionsvize der Grünen im Bundestag, in der Leipziger Volkszeitung. Das Gespräch erschien an diesem Samstag, wurde allerdings geführt, bevor sich die Ministerpräsidenten am Freitagnachmittag verständigt hatten. Die frühere nordrhein-westfälische Umweltministerin lässt es damit nicht bewenden: Höhn kündigte in dem Interview an, den nächsten Bundestagswahlkampf auch zu einer Abstimmung über einen noch schnelleren Atomausstieg zu machen.

"Wir wollen, dass die Atomkraftwerke bis 2017 eins nach dem anderen abgeschaltet werden. Wenn die Bundesregierung da nicht weiter auf uns zukommt, wird das ein Streitpunkt bleiben, auch bei Wahlen", sagte Höhn.

SPD-Politiker Olaf Scholz, seit seinem Erfolg bei der Hamburg-Wahl ein mächtiger Vertreter des bevorzugten Koalitionspartners, hat eine derartige Ankündigung wohl nicht erwartet. "Ich bin froh, dass es nach einem einvernehmlichen Vorgehen aussieht", sagte der Hamburger Bürgermeister nach dem Gipfel im Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt. Wohl an die Adresse der Grünen gerichtet schickt Scholz hinterher: "Der Ausstieg aus der Atomkraftnutzung ist eine ernste Sache. Da verbietet sich jedes parteipolitische Taktieren."

Jürgen Trittin Grünen-Fraktionschef hält der Regierung vor, mit dem geplanten Ausbau der "klimaschädlichen Kohleverstromung" den Ausbau erneuerbarer Energien zu behindern. "Das ist nicht die Energiewende, die nach Fukushima geboten ist", sagt Trittin der Zeitschrift Super Illu - allerdings ebenfalls vor dem Kompromiss mit den Ministerpräsidenten. Kanzlerin Merkel korrigiere damit "den schwarz-gelben Irrtum" der AKW-Laufzeitverlängerung vom Herbst 2010 "durch einen neuen Irrtum".

Mit Renate Künast schlägt aber auch eine führende Grünen-Politikerin moderate Töne an. "Es geht in die richtige Richtung", sagte Künast der Nachrichtenagentur dapd. Der Atomausstieg befinde sich "jetzt auf einem guten Weg". Auch Höhn äußerte sich nach dem Zugeständnis der Kanzlerin versöhnlicher. Dass auch die Bundeskanzlerin jetzt von einem stufenweisen Atomausstieg spricht, sei zu begrüßen.

Seit Schwarz-Gelb die Energiewende vollzieht, sind die Grünen gefangen in einem Dilemma: Kooperation oder Konfrontation. Beide Varianten bergen Gefahren für die seit Fukushima erfolgsverwöhnte Partei: Weichen sie von ihren Forderungen (noch schnellerer Ausstieg, mehr Förderung für erneuerbare Energien) ab, um im Sinne eines gesamtgesellschaftlichen Konsenses mit der SPD und der Regierung für den Atomausstieg zu stimmen, könnten sie womöglich treue Stammwähler verlieren. Verwehren sich die Grünen, laufen sie Gefahr, wieder als Dagegen-Partei abgestempelt zu werden und den gerade erarbeiteten Aufstieg zur Fast-Volkspartei zu verspielen.

Ob die Zugeständnisse der Kanzlerin die Grünen nun auf Konsenskurs bringen, das muss sich erst zeigen.

Anmerkung der Redaktion: Die von der Super Illu verbreiteten Äußerungen des Grünen-Fraktionsvorsitzenden Jürgen Trittin und die von der Leipziger Volkszeitung veröffentlichten Zitate der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Bärbel Höhn, sind nach Angaben eines Pressesprechers der Grünen überholt und wurden vor der Verständigung der Ministerpräsidenten am Freitagnachmittag aufgezeichnet. Dies ging aus den Agenturmeldungen nicht hervor und war auch in der ursprünglichen Fassung dieses Textes nicht ersichtlich.

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