Die Grünen:Schrecken der Realos

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Eine gefühlte Ewigkeit saß er im Parlament: Der Kriegsgegner und Bürgerrechtskämpfer Hans-Christian Ströbele wird bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr nicht mehr für die Grünen kandidieren.

Von Stefan Braun, Berlin

Die Nachricht kam nüchtern daher. In ruhigen Worten teilte Hans-Christian Ströbele seinem Kreisverband am Dienstagabend mit, dass er bei der Wahl 2017 nicht mehr antreten werde. Was manche Freunde geahnt hatten, erwischte andere kalt bei der Weihnachtsfeier. Der Fraktionsvorstand erfuhr vom Verzicht der großen linken Figur, als er von einem anstrengenden Jahr in aller Ruhe und bei einem Glas Wein Abschied nehmen wollte.

Adieu hat nun Ströbele gerufen. Und er macht seiner Partei damit das Leben nicht leichter. Anders als manche Mitstreiter, die 2017 nicht mehr antreten, hat Ströbele das aus freien Stücken getan. Niemand hatte Ansprüche angemeldet, keiner hatte gegen ihn intrigiert - so wie das Ströbeles Fraktionskollegin und politische Kontrahentin Marieluise Beck in Bremen erlebt hat. Seine solitäre Rolle - er ist der Einzige, der je für die Grünen einen Direktwahlkreis gewonnen hat - schützte den 77-Jährigen davor, auch nur ansatzweise infrage gestellt zu werden. Ströbele? Der war doch immer da! Der wird schon weitermachen! Der darf nicht gehen! So hatten es die meisten in der Fraktion immer empfunden.

Trotzdem kommt es anders. Und Britta Haßelmann, die Fraktionsgeschäftsführerin, klingt nicht glücklich am nächsten Morgen. "Ich kann ihn mir gar nicht vorstellen ohne Parlament", sagt sie. Das soll heißen: Der kann doch nicht leben ohne Bundestag! Ohne U-Ausschuss! Ohne Geheimdienststelle! Doch Haßelmann weiß, dass viele ihren Satz auch umgekehrt mittragen würden: dass man sich Parlament und Fraktion nicht vorstellen kann ohne den alten RAF-Anwalt, Alt-68er und Kriegsgegner. "An den Gedanken", sagt Haßelmann, "muss ich mich erst gewöhnen."

Tatsächlich hat Ströbele, der im Juni 1939 geboren wurde, das Gesicht der Grünen seit Jahrzehnten mehr geprägt als viele andere - die meisten Minister, Parteichefs und Fraktionsführungen eingeschlossen. Gefühlt sitzt er seit Ewigkeiten im Parlament; ganz so, als habe er immer dazugehört, jedenfalls seit den Siebzigerjahren. Dabei kann er es mit manchem Christdemokraten wie Wolfgang Schäuble im Parlament keineswegs aufnehmen. Schäuble ist seit 1972 im Bundestag. Ströbele kam 1985 als Nachrücker ins Parlament - und schied aufgrund der Rotation zwei Jahre später schon wieder aus. Endgültig zurück kam er 1998. Seither hat er in der inneren Sicherheit, beim Kampf gegen staatliche Überwachung und im Streit um Auslandseinsätze mit Verve den linken Flügel vertreten.

Hans-Christian Ströbele, linke Identifikationsfigur der Grünen, beendet seine Zeit im Bundestag, in den er vor 31 Jahren eingezogen ist. (Foto: Rainer Jensen/dpa)

So war er auch nach den Terroranschlägen von New York strikt gegen eine Ausweitung der Anti-Terror-Pakete, lehnte die Beteiligung am Kosovokrieg ab und gehörte den Untersuchungsausschüssen zum CDU-Spendenskandal, zur möglichen Beteiligung des BND am Irakkrieg und zu den Massendatensammlungen des US-Geheimdienstes NSA an. Zu Letzterem gehörte auch sein Besuch bei Edward Snowdon im Herbst 2013. Mit der Visite in Moskau gewann er den Amerikaner für eine Aussage im Berliner Untersuchungsausschuss - was die Bundesregierung aber ablehnte.

Weniger erfolgreich verlief Anfang der Neunzigerjahre ein Besuch in Israel. Damals sagte Ströbele, Israel habe die Raketenangriffe des Irak durch seine Politik quasi selbst provoziert. Die anschließende Entrüstung war auch in den eigenen Reihen so groß, dass er als einer von drei Bundesparteisprechern nach gut einem Jahr im Amt wieder zurücktreten musste.

Kraft und Einfluss Ströbeles wären freilich ohne seine Rolle in Berlin kaum zu verstehen. Hier zählte er zu den Mitbegründern der alternativen Tageszeitung taz, trat früh in den Achtzigerjahren der Alternativen Liste bei (nachdem er 1974 aus der SPD geflogen war) und fand ein für ihn ideales linkes Milieu. Das war die Basis dafür, dass er 2002 in Friedrichshain-Kreuzberg ein Direktmandat erobern konnte. Ein Erfolg, den er dreimal wiederholte.

Ein Schatten fiel auf ihn, als vor der Wahl 2013 die Debatte über Verstrickungen der Grünen in pädophile Umtriebe ausbrach. Heute weiß man, dass viele, auch Ströbele, viel zu viel ignorierten, als Pädophile Ende der Siebziger-/Anfang der Achtzigerjahre versuchten, ihre Verbrechen zu legalisieren. Ströbele bedauerte das im Rückblick - betonte aber, er könne sich nicht erinnern, ob er die Leute gekannt oder auch nur erlebt habe. Er benutzte Sätze, die er politischen Gegnern in anderen Zusammenhängen niemals hätte durchgehen lassen.

© SZ vom 15.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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