Die Grünen:Jetzt außen vor, dann mittendrin

Die Grünen müssen gar nicht nervös werden, wenn sie bei der Kür des neuen Bundespräsidenten nun doch keine Rolle spielen. Viel wichtiger für die Partei ist die Klärung ganz anderer Fragen.

Von Stefan Braun

Soso, die Großen haben gesprochen, und die Kleinen dürfen nicht mehr mitmachen. Schnell kann das gehen in der Politik, und meistens tut es weh. Entsprechend dürften sich jetzt viele Grüne fühlen. Sie hatten gedacht, bei der Auswahl der oder des nächsten Bundespräsidenten mitzuspielen, weil sie ob ihrer Stärke in den Ländern eine erkleckliche Zahl an Stimmen in die Bundesversammlung mitbringen. Sie schienen fast selbstverständlich zu dem zu werden, was sie sein möchten: das Zünglein an der Waage. Nun aber haben Angela Merkel, Sigmar Gabriel und Horst Seehofer offenbar entschieden, einen parteiübergreifenden Kandidaten zu suchen; und so werden die Grünen (wie die Linken und die FDP) nicht mehr gebraucht werden. Ja, das kann schmerzen, weil es Machtlosigkeit signalisiert.

Doch so plausibel dieses Gefühl erscheinen mag - es ist falsch. Nichts kann für die Grünen besser sein, als diesen Wettbewerb in aller Ruhe von der Seitenlinie aus zu betrachten. Seit drei Jahren kämpfen sie um ihre Unabhängigkeit, nachdem sie eine Ewigkeit lang wie gefesselt wirkten an eine SPD, die es nicht mehr schafft, eine tiefe eigene Stärke auszustrahlen. Gleichzeitig wäre ein Überraschungsbündnis mit der Union natürlich ein Moment des Erfolgs. Aber er wäre verbunden mit der Gefahr, dass die Hälfte der eigenen Truppe aus Zorn abspringt, weil die für viele Grüne schwierige Liaison vor jeder inhaltlichen Auseinandersetzung stattgefunden hätte.

Die Bundespräsidentenkür muss die Grünen nicht nervös machen

Etwas Zweites kommt hinzu: Der Vergleich mit der Wahl von Gustav Heinemann 1969 führt in die Irre. Damals gab es verlässlich zwei große Parteien und eine kleine. Das war zur Wahl Heinemanns im März klar, und es war sicher, dass sich daran bis Herbst nicht viel ändern würde. Entsprechend war die Abstimmung über Heinemann für FDP und SPD ideal. Beide konnten sie als Vorspiel für ihr Bündnis betrachten, wissend, dass die nachfolgende Parlamentswahl die Machtverhältnisse nicht verschieben würde. Das ist dieses Mal ganz anders. Niemand kann heute oder im Februar 2017 verlässlich sagen, wie die Sitzverteilung nach der Bundestagswahl aussehen wird. Nur eines wird immer unwahrscheinlicher: dass das eine oder das andere klassische Lager eine Mehrheit auf sich vereinen kann. Für die Grünen kann das nur heißen, mit dem ganz eigenen Programm beim Wähler für sich zu werben. Nur so werden sie in der Lage sein, anschließend glaubwürdig mit SPD wie mit Union auszuloten, in welchem Bündnis sie ihre Inhalte umsetzen können.

Jetzt außen vor und dann mittendrin - für die Grünen ist das keine schlechte Perspektive. Eines indes wird ihnen das nicht ersparen: Soll aus der vermeintlichen Schwäche tatsächlich eine Stärke werden, müssen sie zentrale inhaltliche Fragen klären; vorneweg die Frage, wie ihr Verständnis von einer sozial gerechten Gesellschaft aussieht - bei den Vermögen, bei den Erbschaften, bei den Steuern. Die Antwort darauf wird über ihre Regierungsfähigkeit viel mehr entscheiden als die Frage, ob sie den Präsidenten mit gekürt haben.

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