Die Grünen:Gebildete Beamtin aus dem Südwesten

Der typische Wähler ist bürgerlich, linksliberal und lebt nicht im Osten. Der Umwelt-Partei nutzte offenbar, dass sie Verwerfungen vermied - und steile Forderungen.

Von Matthias Drobinski

Für ein bisschen Jubel hat es dann doch gereicht auf der Wahlparty der Bündnisgrünen im einstigen Vollgutlager der Berliner Kindl-Brauerei. Ja, das Ziel, drittstärkste politische Kraft im Land zu werden, war verfehlt, und ausgerechnet die AfD hatte dies geschafft, was das Parteivolk mit Buhrufen und die Parteispitze mit Besorgnis kommentierte. Aber immerhin: In den Wochen vor der Wahl hatte manche Umfrage die Grünen nur knapp über der Fünf-Prozent-Hürde gesehen. Nun sind es 8,9 Prozent geworden, 0,5 Prozentpunkte mehr als 1013. Das ist das nach 2009 (10,7 Prozent) zweitbeste Bundestagswahl-Ergebnis der Parteigeschichte. Es bringt wohl vier Parlamentssitze mehr als 2013 - und die Möglichkeit, sich in einer Koalition mit CDU, CSU und FDP an einer Regierung zu beteiligen, erfolgreiche Koalitionsverhandlungen und eine willige Grünen-Basis vorausgesetzt.

560 000 bisherige Nichtwähler und 320 00 Erstwähler stimmten grün

Was machte den Erfolg im Endspurt aus? Dem Spitzenkandidaten-Duo Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir wurde vorgehalten, einen farbarmen Wahlkampf geführt zu haben, vor allem bei den Parteilinken grummelte es. Aber immerhin gab es vor der Wahl keine größeren Verwerfungen in der Partei und keine steilen Forderungen - beides hatte die Grünen bei Bundestagswahlen immer wieder Stimmen gekostet. In der politischen Lage zwischen Diesel-Skandal, Erderwärmungs-Nachrichten und dem bevorstehenden Einzug der AfD in den Bundestag gelang es den Grünen, so die Wahltagsbefragung des Instituts Infratest dimap , 560 000 Nichtwähler zu aktivieren und 320 000 Erstwähler zu gewinnen, zudem 760 000 Ex-Wähler der SPD und 330 000 Unionsanhänger. Andersherum verloren sie aber 380 000 Wähler an die SPD und 330 000 an die Linke; 330 000 ehemalige Grün-Wähler blieben 2017 daheim.

Schaut man sich die Wahldaten von Infratest dimap an, so zeigt sich, dass die Grünen recht stabil eine bürgerlich-linksliberale Wählerschaft an sich binden. Sie punkten mit 16 Prozent Wähleranteil klar bei den Beamten und ein bisschen bei den Angestellten und Selbständigen (11 und 10 Prozent). Unterrepräsentiert sind sie bei den Arbeitslosen und Arbeitern (7 und 5 Prozent). Bürger mit hoher Bildung wählten zu 14 Prozent grün, jene mit niedriger Bildung nur zu vier Prozent.

Elf Prozent der Frauen gaben den Grünen ihre Stimme und acht Prozent der Männer. Das ist der relativ höchste Frauenanteil aller Parteien, gefolgt von der Union. Bei den 18- bis 24-Jährigen haben sie mit 13 Prozent ihr Ziel erreicht, drittstärkste Kraft zu werden, hinter Union und SPD. Hätten allerdings nur die über 60-Jährigen gewählt, hätten die Grünen tatsächlich um den Einzug in den Bundestag zittern müssen (6 Prozent).

Geografisch sind die Grünen eine Partei des Westens und vor allem des Südwestens, der großen Städte und ihrer Speckgürtel, der Universitätsstädte und Regionen mit hohem Anteil an Migranten und jungen Menschen. Im Berliner Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg verteidigte Canan Bayram knapp das einzige Direktmandat der Partei, das zuvor Hans-Christian Ströbele vier Mal gewinnen konnte. Die meisten Zweitstimmen holte dort allerdings mit 26,3 Prozent die Linke (Grüne: 20,4 Prozent); eine schmerzhafte symbolische Niederlage im linksalternativen Kiez.

Unter dem Durchschnitt in den Arbeiterbezirken von Saarland und Ruhrgebiet

Stark schnitten die Grünen vor allem in Baden-Württemberg ab, wo die Partei in Winfried Kretschmann den Ministerpräsidenten stellt, der gemeinsam mit der CDU regiert, Abschiebungen nach Afghanistan möglich macht und den Ausgleich mit der Autoindustrie sucht. Landesweit legten die Grünen um fast drei Punkte auf 13,9 Prozent zu. In Freiburg erreichten sie 21,2 Prozent der Zweitstimmen, in Stuttgart I waren es 19,6, in Karlsruhe 18,3 und in Tübingen 18 Prozent. Aber auch in München wurde die Partei mit 17,2 Prozent Stimmenanteil zweitstärkste Kraft, noch vor der SPD (16,2 Prozent). Dagegen bleiben die Grünen in den Ost-Ländern eine verschwindend kleine Gruppe. In den Wahlkreisen Bautzen I und Anhalt reichte es gerade einmal für 2,4 Prozent der Zweitstimmen, nur in den ostdeutschen Städten schafften die Grünen es über die Fünf-Prozent-Marke. Unter dem Durchschnitt blieb die Öko-Partei auch in den Arbeiterbezirken des Saarlands und des Ruhrgebiets.

Die Grünen sind also die Partei des bürgerlichen, gebildeten Städters, der meist in gesicherten Verhältnissen lebt - soziologisch trennen damit Grüne und Liberale wenig. Und mancher Grüne stammt aus einem christdemokratischen Elternhaus. Oft sind aber gerade solche biografischen und soziologischen Nähen der Grund für Distanz und Konkurrenz. Auch das dürfte die Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition erschweren. Die Begeisterung über ein mögliches Bündnis mit CDU, CSU und FDP hält sich unter den Grünen-Anhängern in Grenzen: Nur 38 Prozent befürworten einer ARD-Umfrage zufolge eine schwarz-gelb-grüne Regierung unter der Führung von Angela Merkel. Das sind immerhin mehr als bei der Union, wo es nur 31 Prozent Jamaika-Freunde gibt - aber weniger als bei der FDP (42 Prozent). Andererseits waren vor der Wahl sagehafte 75 Prozent der Grün-Wähler zufrieden mit der Arbeit der Bundeskanzlerin Merkel.

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