Die EU, Polen und Ungarn:Konflikt um Grundwerte gewinnt an Schärfe

Polen musste sich am Dienstag als erstes EU-Land wegen möglicher Rechtsstaatsverstöße einer Anhörung im Rat stellen. Auch Ungarn droht ein Verfahren.

Von Daniel Brössler, Brüssel

In der Europäischen Union gewinnt der Konflikt um die Rechtsstaatlichkeit in den national-konservativ regierten Mitgliedstaaten Polen und Ungarn noch einmal an Schärfe. Während Polen sich am Dienstag als erstes EU-Land einer offiziellen Anhörung im Rat stellen musste, sprach sich der Justizausschuss des Europäischen Parlamentes dafür aus, auch gegen Ungarn ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrages einzuleiten. Darin wird die schwerwiegende Verletzung europäischer Grundwerte mit Stimmrechtsentzug angedroht, wofür allerdings Einstimmigkeit - mit Ausnahme des betroffenen Staates - notwendig wäre. "Es kann keine politischen Rabatte bei der Rechtsstaatlichkeit geben", sagte der deutsche Europa-Staatsminister Michael Roth (SPD) in Luxemburg.

Zwar gab es in den vergangenen Monaten Gespräche mit der Regierung in Warschau zur Entschärfung des Konflikts. Diese haben nach Einschätzung der EU-Kommission aber nichts daran geändert, dass in Polen die "eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der Rechtsstaatlichkeit" besteht, weil die Unabhängigkeit der Justiz durch eine ganze Serie von Gesetzesänderungen ausgehebelt werde. Im Dezember 2017 hatte die Kommission gegen Polen erstmals in der Geschichte der EU das Verfahren nach Artikel 7 angestrengt. Die Anhörung am Dienstag war Teil des im EU-Vertrag festgelegten Ablaufes, um das Verfahren voranzutreiben.

Im nächsten Schritt könnte sich der Rat der Einschätzung der Kommission anschließen, müsste dies aber mit einer Vier-Fünftel-Mehrheit tun. Nötig wäre dafür die Zustimmung von 22 der 28 EU-Staaten. Er sehe ein "hohes Maß an Geschlossenheit im Ministerrat" sowie "eindeutige Signale" der EU, betonte Roth.

Wie schon in der Vergangenheit traten Deutschland und Frankreich demonstrativ gemeinsam auf. So sprach die französische Europaministerin Nathalie Loiseau für beide Länder. Es gebe bislang "keine substantiellen Verbesserungen", kritisierte sie. In Namen von Deutschland und Frankreich äußerte sie sich besorgt "über diese Situation, die auf die gesamte EU Auswirkungen hat, insbesondere für die justizielle und innenpolitische Kooperation und für das Funktionieren des Binnenmarktes".

Besonderer Zeitdruck herrscht, weil in Polen am 3. Juli die Senkung des Rentenalters für die Richter des Obersten Gerichtshofes wirksam wird. 27 von 72 Richtern könnten dann in den Ruhestand gezwungen werden. Die EU-Kommission beklagt, dass es von politischer Willkür abhänge, ob Richter die volle Länge ihrer Amtszeit ausschöpfen können.

"Wir treten für die Rechte der ungarischen Bürger ein"

Die polnische Seite macht eine Reihe von Korrekturen an der Justizreform geltend, durch die nach Einschätzung der EU-Kommission die grundsätzlichen Bedenken aber nicht ausgeräumt werden konnten. Ergebnislos blieb ein Treffen des zuständigen Ersten Vizepräsidenten der EU-Kommission, Franz Timmermans, mit dem polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki in Warschau vergangene Woche.

Den Entzug der Stimmrechte muss Polen nach Lage der Dinge aber nicht fürchten, da Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán dagegen bereits sein Veto angekündigt hat. Allerdings droht nun auch Ungarn selbst ein Verfahren nach Artikel 7. Im Justizausschuss stimmten die Abgeordneten am Montagabend mit 37 gegen 19 Stimmen dafür, dieses Prozedere anzustrengen.

"Wir treten für die Rechte der ungarischen Bürger und die europäischen Werte in der EU ein", sagte die zuständige Berichterstatterin, die niederländische Grüne Judith Sargentini. Der Ausschuss sieht zahlreiche Grundwerte in Ungarn gefährdet. Beschlossen werden müsste die Einleitung des Verfahrens vom Plenum mit Zwei-Drittel-Mehrheit.

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