Die deutsche Atomdebatte:Kein Ende in Sicht

Inmitten der aktuellen Energie- und Klimakrise erscheinen Atomkraftwerke plötzlich wieder als Ausweg. In Deutschland zerbrechen sich Politiker und Aktivisten seit rund 50 Jahren über das Für und Wider der Atomenergie die Köpfe - die Geschichte der deutschen Atomdebatte in Bildern.

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Die AKWs Biblis, Brokdorf, Emsland und Brunsbüttel/ Foto: dpa

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Vier der 17 aktiven deutschen Atomkraftwerke - bald Vergangenheit oder vielmehr der Weg in eine bessere Zukunft?

Im Sommer 2008 - inmitten der aktuellen Energie- und Klimakrise - fordert US-Präsident George W. Bush die Welt dazu auf, die "Schönheit der Atomenergie" zu entdecken. Blanke Provokation für die Anti-Atom-Bewegung, die weltweit seit Jahrzehnten für den Ausstieg aus der riskanten Technologie kämpft.

In Deutschland zerbrechen sich seit rund 50 Jahren Politiker und Aktivisten über das Für und Wider der Atomenergie die Köpfe - die Geschichte der deutschen Atomdebatte in Bildern.

Text: Irene Helmes/lala

Von links oben im Uhrzeigersinn: Die AKWs Biblis, Brokdorf, Emsland und Brunsbüttel/ Foto: dpa

Godesberger Treffen SPD, dpa

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Schon 1955 verkündete der deutsche Physiker Max Born, das Atom schließe "zugleich eine fürchterliche Drohung und eine strahlende Hoffnung in sich ein".

Die Drohung hatte sich durch die Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki ins kollektive Gedächtnis eingegraben. Doch die fortschrittsgläubigen fünfziger Jahre ließen sich auch von den Möglichkeiten der zivilen Nutzung beeindrucken.

Die CDU der Adenauer-Zeit investierte in die Atomkraft. Und auch die SPD zeigte sich in der Präambel ihres "Godesberger Programms" zuversichtlich, dass durch die "täglich wachsende Macht über die Naturkräfte" mehr "Wohlstand für alle" zu erreichen sei. 1961 ging das erste deutsche Kernkraftwerk in Kahl ans Netz.

SPD-Parteitag in Bad Godesberg 1959: Willy Brandt (links) im Gespräch mit dem Parteivorsitzenden Erich Ollenhauer, rechts neben Ollenhauer Herbert Wehner/ Foto: dpa

Leere Autobahnen Ölkrise 1973, dpa

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Bis 1973 waren in der Bundesrepublik bereits zehn Atomkraftwerke am Netz, die Branche boomte. Als die Opec-Staaten dem Westen 1973 den Ölhahn zudrehten, blieben nicht nur die Autobahnen durch Sonntagsfahrverbote leer - die Abhängigkeit von Energie wurde zum Politikum.

Eine der Folgen der ersten großen Ölkrise waren verstärkte Investitionen in die Nuklearenergie. Im ersten energiepolitischen Gesamtkonzept der damaligen sozial-liberalen Bundesregierung wurde 1973 ein massiver Ausbau des Sektors geplant. Bis 1985 sollte die Leistung von 7200 auf 40.000 Megawatt gesteigert werden.

Blick auf das leere Autobahnkreuz Duisburg-Kaiserberg im Dezember 1973/ Foto: dpa

Demonstration auf dem Baugelände für das geplante Kernkraftwerk Wyhl, 1976 , dpa

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Während der Industriezweig immer bedeutender und mächtiger wurde, wuchs im weiteren Verlauf der siebziger Jahre die Ablehnung in der Bevölkerung. Gründe gab es viele: Die einen befürchteten durch die Bauvorhaben eine Zerstörung der Landschaft, andere misstrauten der Sicherheit und so fort.

Das badische Wyhl wurde eine der ersten Symbolstätten der entstehenden Anti-Atom-Bewegung.1973 erfuhr die dortige Bevölkerung nur über das Radio vom geplanten Bau eines Kraftwerks in ihrer Nähe. Erstmalig besetzten hier Demonstranten 1975 einen Bauplatz.

Als Mahnung wurden Orientierungsschilder angebracht, die mit Ortsnamen beschriftet waren, an denen ebenfalls Atomkraftwerke geplant oder die von Giftkatastrophen betroffen waren.

Demonstration auf dem Baugelände für das geplante Kernkraftwerk Wyhl 1976/ Foto: dpa

Räumung des Anti-Atom-Dorfes in Gorleben 1980, dpa

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Mit der Zeit wurden vor allem die Proteste gegen die Atommülllagerung immer stärker. Am 3. Mai 1980 besetzten rund 5000 Aktivisten das Baugelände an der Tiefbohrstelle 1004 in der Nähe des niedersächsischen Gorleben. Sie riefen die "Republik Freies Wendland" aus - in den folgenden Wochen campierten dort 300 Menschen ständig und mehrere tausend an den Wochenenden.

Am 4. Juni 1980 räumten Polizei und Bundesgrenzschutz mit Hilfe von Hunde- und Reiterstaffeln, Wasserwerfern und gepanzerten Fahrzeugen das Protest-Dorf. Gegen die Anti-Atom-Bewegung als Ganzes konnte diese Aktion jedoch nichts ausrichten: Sie hatte sich mittlerweile zur größten Bürgerrechtsbewegung der Bundesrepublik entwickelt.

Räumung des Anti-Atom-Dorfes in Gorleben 1980/ Foto: dpa

Demonstration gegen das Atomkraftwerk in Brokdorf, 1981, dpa

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Auch auf dem Baugelände des geplanten AKW Brokdorf in Schleswig-Holstein rangen Gegner und Ordnungskräfte über Jahre miteinander.

Nach aufsehenerregenden Großdemonstrationen 1976 und 1977 mobilisierten die Behörden im Februar 1981 mit mehr als 10.000 Beamten das bis dahin größte Polizeiaufgebot in der Geschichte der Bundesrepublik. Geschätzte hunderttausend Demonstranten hatten sich aufgemacht, um gegen das Kraftwerk zu demonstrieren - und versuchten auch Wasserwerfern standzuhalten.

Demonstration gegen das Atomkraftwerk in Brokdorf 1981/ Foto: dpa

Gerhard Polt auf einer Antikernkraftdemonstration, 1986, AP

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In der Anti-AKW-Bewegung engagierten sich auch viele Künstler und Prominente, wie etwa der Kabarettist Gerhard Polt. Auf dem Höhepunkt der Proteste gegen die atomare Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf traten beim "Anti-WAAhnsinns-Festival" 1986 unter anderem Udo Lindenberg, Die Toten Hosen, Ton Steine Scherben und Biermösl Blosn vor 100.000 Zuschauern auf.

Der Liedermacher Walter Mossmann verfasste schon in den Siebzigern seine "Flugblattlieder", die direkt von den Protesten etwa in Wyhl inspiriert und an die Demonstranten gerichtet waren. Für viele Aktivisten war der Protest eine allgemeine Lebenseinstellung, die Engagement in der allgemeinen Umwelt- und Friedensbewegung mit einschloss.

Gerhard Polt auf einer Antikernkraftdemonstration 1986/ Foto. AP

Reaktor des Atomkraftwerks in Tschernobyl, 1986, dpa

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Was am 26. April 1986 geschah, bestätigte schließlich die schlimmsten Ängste derjenigen, die der Kernkraft spätestens seit dem Reaktorunglück im amerikanischen Harrisburg 1979 misstraut hatten. Eine Kernschmelze zerstörte den Reaktorblock IV des sowjetischen (ukrainischen) Atomkraftwerks Tschernobyl.

Die Folgen waren bis nach Westeuropa nachweisbar. Wie viele Menschen durch das Unglück sofort oder durch langfristige Schäden ums Leben kamen, ist bis heute Gegenstand erbitterter Kontroversen.

Reaktor des Atomkraftwerks in Tschernobyl 1986/ Foto: dpa

Opfer der Tschernobyl-Katastrophe bei einer Demonstration 2000, dpa

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Die Internationale Atomenergiebehörde schätzte die Zahl der Todesopfer in einem 2005 veröffentlichten Bericht auf 59. Für die Umweltschutzorganisation Greenpeace ein Skandal: Sie verwies darauf, dass die ukrainische Regierung bereits 2002 von circa 15.000 Todesopfern allein unter den Aufräumarbeitern vor Ort ausging.

Die Spuren der Katastrophe bleiben sichtbar: Besonders die Zahl von verschiedenen Krebserkrankungen, Totgeburten und missgebildeten Kindern stieg in den betroffenen Gebieten dramatisch an.

Ehemalige Tschernobyl-Helfer schieben bei einem Protestmarsch in Kiew im Jahr 2000 die Rollstühle ihrer behinderten Kinder/ Foto: dpa

Gewalttätige Auseinandersetzungen bei der WAA Wackersdorf, 1986, AP

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In der Bundesrepublik blieben die Folgen des GAUs zwar geringer, doch die Furcht vor erhöhter Strahlenbelastung sorgte für teils panische Reaktionen.

Während das DDR-Regime seine Bevölkerung aus Rücksicht auf die Regierung des sozialistischen Bruderstaats so wenig wie möglich informierte, reagierten Bürger im Westen des Landes mit Hamsterkäufen in Supermärkten, ließen ihre Kinder nicht mehr im Sandkasten spielen und verzichteten teils jahrelang auf besonders strahlenverdächtige Lebensmittel.

In ganz Deutschland fanden in der Folge friedliche Massendemonstrationen statt, doch die Katastrophe heizte auch die militante Strömung der Anti-AKW-Bewegung weiter an. Immer wieder war es in den siebziger und achziger Jahren zu gewalttätigen Zusammenstößen mit der Polizei gekommen. Die verhärteten Fronten zeigten sich nun besonders deutlich, etwa in den Pfingsttagen 1986 in Wackersdorf.

Gewalttätige Auseinandersetzungen bei der WAA Wackersdorf Pfingsten 1986/ Foto: AP

Transnukleargelände in Hanau, dpa

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Was noch vom einst so guten Ruf der Atomindustrie in Deutschland übrig war, wurde vom Skandal um die Hanauer Spedition Transnuklear weiter zerstört. Tausende verschobene und falsch deklarierte Atommüllfässer, schwarze Kassen, Schmiergelder in Millionenhöhe - Wasser auf die Mühlen derer, die das Vertrauen in den Sektor sowieso schon lange verloren hatten.

Blick auf das Gelände der Spedition Transnuklear in Hanau 1988, dpa

Bemalter Kühlturm Schneller Brüter, dpa

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Langsam aber sicher mehrten sich Erfolgsnachrichten für die Anti-Atom-Bewegung. Viele ihrer Aktivisten fassten immer mehr als Politiker Fuß. Im Sommer 1986 schwenkten auch die Sozialdemokraten auf den Atomausstiegskurs um.

1991 musste die Bundesregierung endgültig das Scheitern des sogenannten Schnellen Brüters im nordrhein-westfälischen Kalkar einräumen. Das AKW war zu diesem Zeitpunkt bereits seit sechs Jahren fertiggestellt - die SPD-Landesregierung hatte die Inbetriebnahme jedoch standhaft verhindert.

Bemalter Kühlturm "Schneller Brüter" in Kalkar 1999/ Foto: dpa

Protestaktion gegen den Castor-Transport 2002, AP

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Als es die Grünen - maßgeblich von der Anti-Atom-Bewegung geprägt und teils direkt aus dieser hervorgegangen - 1998 zusammen mit der SPD auf die Regierungsbank schafften, bahnte sich eine politische Wende in der Debatte an. Die rot-grüne Koalition begann mit der Industrie Verhandlungen über einen geordneten Rückzug von der Atomenergie.

Die Proteste auf der Straße konzentrierten sich derweil mehr und mehr auf das Problem von Transport und Lagerung von Atommüll. Der Umgang mit Castor-Behältern entwickelte sich zum Schwerpunkt der Aktionen.

Protest gegen einen Castor-Transport nach Gorleben 2002/ Foto: AP

Anti-Castor-Proteste bei Wendisch-Evern 2001, ddp

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Ob mit Sitzblockaden . . .

Anti-Castor-Proteste bei Wendisch Evern 2001/ Foto: ddp

Demonstration gegen Castortransport 2005, dpa

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... oder Lichterketten - die Zeiten der ganz großen Protestaktionen mit Zehntausenden Teilnehmern schienen zwar vergangen, doch der Widerstand vor allem an der Strecke zum Zwischenlager Gorleben ging weiter.

Demonstration gegen einen Castortransport an der Strecke zwischen Dannenberg und Gorleben 2005/ Foto: dpa

Zeitungsanzeige der Bundesregierung zur Abschaltung des AKW Stade, dpa

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Am 22. April 2002 hatte die rot-grüne Bundesregierung ihr großes Projekt geschafft: Eine Novelle des Atomgesetzes trat in Kraft, die den Neubau von kommerziellen Kraftwerken verbietet und die Regellaufzeit der bestehenden Kraftwerke auf durchschnittlich 32 Jahre seit Inbetriebnahme begrenzt.

Das war zwar nicht der sofortige Ausstieg, für den viele Aktivisten gekämpft hatten - und so ließ Kritik nicht auf sich warten. Verschiedene Meinungsumfragen zeigten jedoch in den folgenden Jahren Unterstützung in großen Teilen der Bevölkerung - je nach Studie bis zu 70 Prozent.

Im November 2003 gab Bundesumweltminister Jürgen Trittin von den Grünen in Zeitungsanzeigen die Stilllegung des ersten Meilers in Stade bekannt - ...

Zeitungsanzeige der Bundesregierung zur Abschaltung des AKW Stade 2003/ Foto: dpa

Grünenplakat zur Abschaltung des Kernkraftwerks Obrigheim 2005, dpa

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... für seine Partei der Beginn der Erfüllung einer jahrzehntelangen Mission. "Tschüss, altes Haus" - als zweites Kraftwerk wurde Mai 2005 nach dem Atomkonsens das älteste deutsche AKW Obrigheim abgeschaltet.

Grünen-Vorsitzender Reinhard Bütikofer mit einem Plakat zur Abschaltung des Kernkraftwerks Obrigheim 2005/ Foto: dpa

Atommüll im ehemaligen Salzbergwerk Asse II/ Foto: Helmholtz Zentrum Muenchen/ddp

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Standhafte Gegner der Atomkraft sind entsetzt. Auch sie argumentieren mit jüngsten Nachrichten, etwa über die Zustände im niedersächsischen Atommüll-Endlager Asse II, wo radioaktive Salzlauge die zulässigen Grenzwerte weit überschreitet.

Auch häuften sich in letzter Zeit kleinere Zwischenfälle in Atomkraftwerken, im Juni und Juli 2008 etwa in Slowenien, Japan, Frankreich und Ungarn.

Die Grünen lassen bereits durchblicken, dass sie den Protest gegen eine mögliche Revision des Atomausstiegs wieder auf die Straße tragen wollen.

Das Kapitel der deutschen Anti-Atom-Bewegung scheint noch lange nicht beendet.

Text: Irene Helmes

Atommüll im ehemaligen Salzbergwerk Asse II/ undatiertes Foto: Helmholtz Zentrum Muenchen/ddp

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