Die CDU und der Koalitionsvertrag:Aufstand der Duckmäuser

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Angela Merkel beim Bundesausschuss der CDU (Foto: dpa)

Pünktlich bevor die CDU an diesem Montag den Koalitionsvertrag mit der SPD annimmt, melden sich sogenannte Rebellen zu Wort. Doch ihre Kritik liest sich so ängstlich, als fürchteten die Unterzeichner vor allem, bei der Kanzlerin in Ungnade zu fallen.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Wenn in der CDU jemand auf die Barrikaden geht, dann klingt das so: "Die Bundestagswahl war ein großer Erfolg für CDU und CSU. Wir sind mit 41,5 Prozent so stark wie seit 20 Jahren nicht. Das Ergebnis zeigt deutlich: Wir können es noch."

Oder so: "Die CDU ist personell gut und breit aufgestellt. Viele unserer Spitzenpolitiker um Angela Merkel genießen seit vielen Jahren zu Recht das Vertrauen der Deutschen."

Die schneidigen Sätze stehen in einer geradezu revolutionären Resolution junger, vornehmlich männlicher CDU-Politiker aus dem Bundestag und den Landesparlamenten.

Das Papier liest sich wie das Schreiben eines einfachen Mitgliedes der Chinesischen KP an die Parteiführung, das höflichst anmerken möchte, dass die Straße zu seinem Dorf noch nicht gebaut ist. Die überschaubare Kritik wird in Lobpreisungen auf die erleuchtete Führung ertränkt. In diesem Fall ist das Angela Merkel, unangefochtene Kanzlerin und Parteichefin der CDU.

Keiner der 57 Unterzeichner, davon lediglich fünf Frauen, ist älter als 44 Jahre. Einige von ihnen, wie etwa Junge-Union Chef Philipp Mißfelder oder der CDU-Gesundheitsfachmann Jens Spahn haben in den Koalitionsverhandlungen kräftig mitgewirkt. Jetzt schreiben sie in ein paar vorsichtigen Sätzen auf, was ihnen an dem Koalitionsvertrag mit der SPD nicht so sehr gefällt.

Forderung nach der Mitmachpartei

Und damit das etwas mehr Gewicht bekommt, veröffentlichen sie das Papier am Sonntag, also dem Tag bevor der sogenannte Bundesauschuss der CDU in Berlin zusammenkommt, um den Koalitionsvertrag abzusegnen.

Ganz sanft kritisieren die von Bild zu Rebellen erklärten Politiker etwa die Pläne für eine Rente mit 63, einer Forderung der SPD: "Unsere Sorge, dass das vereinbarte Rentenpaket inklusive der abschlagsfreien Rente mit 63 die Erfolge der Rentenpolitik der letzten 15 Jahre gefährden könnte, bleibt." Eine Sorge um die viel teurere Mütterrente, die mit sofortiger Wirkung Milliarden kostet, scheint allerdings nicht vorhanden. Aber die ist ja auch - anders als die Rente mit 63 - eine Idee der CSU.

Außerdem fordern die Unterzeichner. die CDU solle ihre Mitglieder mehr einbinden. Eine Mitmachpartei soll sie werden. Ähnlich sieht das der baden-württembergische Landeschef Thomas Strobl im Spiegel: Das nächste Wahlprogramm solle auf einem Parteitag debattiert werden. "Ich bin der Meinung, dass wir das auf eine breitere Basis stellen sollten", sagte er. Und CDU-Mittelständler Carsten Linnemann findet: "Wir halten jedes Jahr Bundesparteitage ab, doch ausgerechnet im Wahljahr haben wir darauf verzichtet. Damit haben wir es versäumt, die konkreten Inhalte unseres Wahlprogramms gemeinsam mit der breiten Parteibasis abzustimmen."

Aber was ist, wenn in der CDU keiner mitmachen will? Der NRW-Landeschef Armin Laschet hat vergangene Woche 900 Mandats- und Funktionsträger - in der Regel besonders engagierte Menschen - eingeladen, um über den Koalitionsvertrag zu diskutieren. 75 seien erschienen, fünf hätten sich zu Wort gemeldet, beschreibt der Welt-Journalist Robin Alexander in einem Beitrag über die CDU als der Partei der "Untoten". Die fünf hätten die Führung ausnahmslos gelobt.

In Donaueschingen seien zwar 200 gekommen, berichtet Alexander. Aber die CDU in Baden-Württemberg habe für den Mittwochabend ja auch alle 70.727 Mitglieder des Landesverbandes eingeladen. Beteiligungsquote: 0,28 Prozent.

Unter Punkt sieben kommen die Unterzeichner des kritischen Papiers womöglich zu ihrem eigentlichen Kernanliegen: Für einen anhaltenden Erfolg der CDU sei es "wichtig, dass junge Köpfe in Partei und Fraktion an verantwortlicher Stelle Profil gewinnen und Themen für die Union besetzen". Das steigere die Wahrnehmung der Partei insgesamt und in viele Lebenswelten hinein. Das sei auch "ein Grundstein für einen Erfolg in 2017".

Mit anderen Worten: Die Herren und Damen wollen Jobs. Unterhalb der Ministerebene dürfte noch einiges zu holen sein. Staatsekretäre, Fraktionsvizes, Sprecher für bestimmte Themen. Das könnte auch der Grund sein, warum das Papier so - sagen wir - zurückhaltend formuliert wurde. Wer sich Merkel ernsthaft zum Gegner macht, wird bestimmt nichts.

"Verbrechen an der nächsten Generation"

Deutlicher werden nur jene, deren Karriere praktisch schon gelaufen ist oder die glauben, dass es auch noch eine Zeit nach Merkel geben muss. Rädelsführer sind die Vorsitzenden des Wirtschaftsflügels der CDU. Kurt Lauk sitzt dem Wirtschaftsrat vor. Carsten Linnemann ist Chef der Mittelstandsvereinigung, und Christian von Stetten ist Vorsitzender des Parlamentskreises Mittelstand. Alle drei wollen dem Koalitionsvertrag nicht zustimmen, erklärten sie jetzt in der Bild.

Die Gründe heißen Mindestlohn, der Verzicht auf einen Abbau der kalten Progression oder die Rente mit 63. Für von Stetten sei Letzteres ein "Verbrechen an der nächsten Generation". Zu den Jobbeschreibungen aller drei gehört übrigens, sich im Zweifel für die Wirtschaftslobby starkzumachen statt für die eigene Partei.

Linnemann und von Stetten waren in den Koalitionsverhandlungen dabei, in denen es um Rente, Mindestlohn und Geld ging. Linnemann in der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales, von Stetten in der AG Finanzen. In der Bild lamentieren sie jetzt, sie hätten nichts machen können, weil die wichtigsten Themen ganz oben entschieden worden seien.

Nun drohen sie damit, dass sie einiges von dem, was im Koalitionsvertrag steht, im Gesetzgebungsverfahren stoppen wollen. "So wie sie jetzt im Vertrag stehen, werden die Rentenversprechen im Bundestag nicht beschlossen werden", kündigt von Stetten an.

Was er vergisst: Die Mehrheit der großen Koalition im Bundestag ist übergroß. Sie verfügt über 188 mehr Sitze, als sie für die absolute Mehrheit braucht. Selbst wenn sich alle 145 Abgeordneten, die in der vergangenen Wahlperiode im Parlamentskreis Mittelstand vertreten waren, auf die Hinterbeine stellen, wäre die Kanzlermehrheit der großen Koalition nicht gefährdet.

Merkel hat die Kritik durchaus wahrgenommen. Auf dem kleinen Parteitag in Berlin aber hat sie eine kleine Bitte an "all die, die kritisieren": Sie sollten doch bitte "bedenken, wie wir Aussichten auf Mehrheiten haben". Die würden ja nicht nur um Bundestag gebraucht. Sondern auch im Bundesrat.

Das ist ein Problem, für das die Kritiker wohl so schnell auch keine Lösung haben dürften.

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