Die Berliner Republik nach sieben Jahren Rot-Grün:Macht, umwölkt von Wahlium

Ein Kanzleramt mit Skylobby, ein Friseur in der politischen Klasse und Regierende bei Comedyshows - wie der Wandel durch Anbiederung den Hauptstadtbetrieb prägt.

Kurt Kister

Berlin, 16. September - Wer an diesem Geländer vor diesem Ausblick steht, der nimmt ganz unwillkürlich die Imperatorenpose ein: Die Beine leicht gespreizt, die Hände im Abstand von einem Meter um das Metall geschlossen, die Augen, wie es unser Turnlehrer in der dritten Klasse Volksschule immer gesagt hat, "frei und stolz" nach vorne gerichtet.

Schröder, Reuters

Polykrates selbst.

(Foto: Foto: Reuters)

Vorne, draußen, drüben erhebt sich der alte, neue Reichstag mit der Foster-Kuppel in den strahlend blauen Herbsthimmel Berlins. Links davon liegt das Paul-Löbe-Haus, ein luftiger Abgeordnetenkasten aus Beton und Glas. Hinter den Politik-Bauten und jenseits der kurvenreichen Spree erstreckt sich der Ostteil Berlins, der einzigen wirklichen Großstadt, die es in Deutschland gibt.

Politfeuilletonisten-Geschwätz

Hoch oben an der Kugel des Fernsehturms am Alexanderplatz bricht sich das Sonnenlicht in einem goldenen Kreuz, ein Phänomen, das schon zu DDR-Zeiten als die Rache des Herrn an Erich Honecker bekannt war.

Selbst wenn man das alles, und sogar aus dieser Perspektive, schon häufiger gesehen hat, staunt man immer wieder. Ganz am Anfang, 1999, als das Bundesberlin noch sehr neu war, hieß es manchmal, das Kanzleramt des Hochstellhemdkragen-Architekten Axel Schultes und seiner Kompagneuse Charlotte Frank sei gigantisch und somit auf den Giganten Helmut Kohl zugeschnitten.

Eigentlich war das damals schon Unsinn, Politfeuilletonisten-Geschwätz eben. Es sei, hieß es auch, ein Ausdruck des irgendwie bedrohlichen Selbstbewusstseins, ja der Arroganz der "Berliner Republik".

Polykrates kommt gleich

Ach Gott, die Berliner Republik. Auf die kommen wir noch, aber jetzt schauen wir erst noch mal durch das große Panoramafenster auf die Stadt, die einem hier zu Füßen liegt. Im Kopf hallt Schiller, der Ring des Polykrates: "Er stand auf seines Daches Zinnen, er schaute mit vergnügten Sinnen auf das beherrschte Samos hin...". Und während man so denkt, sind Schritte zu hören. Es tritt auf, von links die Skylobby des Bundeskanzleramtes durchquerend - nein, nicht Polykrates selbst, aber immerhin Frank-Walter Steinmeier, Chef des Kanzleramtes, der, weißgescheitelt und rosawangig, ein lang gezogenes "Naaaaa?" als Gruß entbietet.

Naaaaa kann in diesem Zusammenhang (ein paar Tage vor der Wahl) und an diesem Ort (Skylobby, siebter Stock vor dem Amtszimmer des Polykrates) viel bedeuten. Es könnte heißen, unter anderem: Wie geht es? Noch mal die Runde machen? Was sagen Sie zum Kirchhof-Effekt? Wir sind an den 35 dran. Stellen Sie sich vor, hier steht demnächst die Merkel. Der Chef ist noch nicht da, aber er kommt gleich.

Man plaudert also ein wenig mit Steinmeier, der die Hälfte des innersten Kreises des Bundeskanzlers darstellt. Dann verschwindet er hinter der Tür von Schröders Sekretariat, in dem noch Marianne Duden residiert, die schon Helmut Schmidt zu Diensten war. Draußen, an der langen Holztäfelung des Chefbüros, hängen Schwarz-Weiß-Fotos der bisher sieben Kanzler der Republik, alle aufgenommen von Konrad R. Müller, Kanzlerfreund und eine Art staatlich approbierter Lichtbildhauer der Regierenden.

Man wendet sich ab, und in dem Moment zischt dezent der Aufzug. Ihm entsteigt Polykrates persönlich, den Kragen offen, das Antlitz gebräunt.

Er ist guter Dinge, offensichtlich, und bricht in lautes Lachen aus, als er auf die Frage "Was wollen Sie denn hier?", die Antwort bekommt: "Eindrücke sammeln." Dann hält er ein kurzes, launiges Kolleg darüber, wie er "niedergeschrieben" worden sei, im Allgemeinen und im Speziellen, und dass die Wahl keineswegs schon gelaufen sei.

Na ja, so sei das Leben eben, wendet man ein, und die Journalisten seien... Aber da ist er fast schon wieder enteilt in sein Büro, ein "Tschüss, bis bald" verfliegt in der Skylobby. Bis bald? Vielleicht hat er es eilig, weil er in seinem Büro mit der wunderbaren Aussicht noch ein wenig regieren und nicht herrschen will, wie das seine Redenschreiber einmal formuliert haben, als Schröder sein neues Büro im neuen Kanzleramt bezog.

Durch das Atrium, das sich über drei Stockwerke zieht, geht man wieder hinunter und begegnet der zweiten Hälfte des innersten Kanzlerkreises. Sigrid Krampitz kommt, wie immer auf flachen Schuhen, nach oben geeilt. Unter dem Arm trägt sie einen Packen Papier, auf dem zuoberst das Päckchen Tabak für die Selbstzudrehenden liegt.

Krampitz ist Schröders Büroleiterin, und was immer Schröder nach dieser Wahl auch machen wird, ist es schwer vorstellbar, dass Krampitz sein Büro nicht leiten wird. Übrigens, für die Raucher unter den journalistischen Kanzlernachlatschern war Krampitz immer ein Segen, denn sie zündete sich, egal ob in der Großen Halle des Volkes zu Peking oder im Weißen Haus zu Washington, stets eine Zigarette an, und die Domestiken brachten ihr einen Aschenbecher, den man dann mitbenutzen konnte.

Schröder, kopfüber?

An diesem Tag also ist noch alles so wie immer: Der Chef ist im Büro, Frau Duden sitzt davor, Steinmeier und Krampitz sind beim Chef, und Bela Anda, der Regierungssprecher, schnürt gut aussehend durchs Kanzleramt. Auf dem Weg nach draußen kommt man im ersten Stock noch einmal an einer Kanzler-Porträtgalerie vorbei.

Diesmal sind es Gemälde, darunter der Adenauer von Hans Jürgen Kallmann und der Schmidt von Bernhard Heisig. Anders als oben die Fotos sind es hier unten nur sechs, weil hier nur die Ehemaligen hängen. Wenn man sie an der Betonwand ein bisschen dichter, aber immer noch luftig aneinander rückt, dann ist leicht noch Platz für ein siebtes Bild: Gerhard Schröder, gemalt von Markus Lüpertz oder Georg Baselitz.

Baselitz wäre besonders nett, denn der malt die Sujets seiner Bilder immer auf dem Kopf stehend. Hinter Schröders Schreibtisch hängt ein Baselitz, ein sitzender Adler, der wegen der Perspektiveverdrehung aussieht, als stürze er. Dieses Bild hat etliche nachdenkliche Schreiber und Filmemacher schon zu tief schürfenden Assoziationen veranlasst.

Macht, umwölkt von Wahlium

Ein paar Tage später ist der blaue Samos-Himmel über Berlin verschwunden, zugedeckt, aufgefressen von dicken Regenwolken. In Bonn war es damals auch so, 1998 beim Machtwechsel. Es hat immer geregnet, jedenfalls fast immer.

Schröder, AP

Kanzler Schröder: "Politiker in einer solchen Lage gelangen in einen Zustand der Autosuggestion."

(Foto: Foto: AP)

Zwar war es in der Wahlnacht selbst trocken, so dass damals vor dem SPD-Hauptquartier, der Baracke, die Leute auf der Straße getanzt haben. An diesem Sonntag wird wohl niemand vor dem Willy-Brandt-Haus in der Wilhelmstraße tanzen, denn von Wochenbeginn bis zum Freitag, dem letzten Werktag vor der Wahl, sind die Umfragezahlen nicht besser geworden für die SPD.

Im Kanzleramt wissen sie, dass der Schub der Tage zuvor, die Sympathiepunkte aus dem TV-Duell und der Kirchhof-Malus, der für die Sozen ein Bonus war, an Wirkung verloren hat. Der Trend sagt: So um die 33 Prozent für die SPD, 41 oder mehr für die Union. Das reicht nicht, und wenn die anderen nicht wollen, nicht einmal zur großen Koalition.

Am Abend beim Wein legt ein Schröder-Hintersasse die Stirn in Falten und räsoniert darüber, dass die letzte, die allerletzte Woche vor der Wahl verloren war, weil das Feuerwerk mit den Raketen Wahlparteitag, TV-Duell, Bundestagsdebatte, Kirchhof-Schelte schon abgebrannt war und das Wahlvolk in den vergangenen Tagen nur noch die verglühenden Reste der Petarden sah. Selbst bei einem Schützenfest ist die Stimmung nach einem Feuerwerk, wenn die "Aaaaahs" und "Oooohs" verklungen sind, melancholisch.

Zweifelsohne, die rot-grünen Matadore sind erschöpft, auch weil ihnen die Erkenntnis dämmert, dass sie sich unheimlich angestrengt haben, ohne vielleicht wirklich etwas bewegt zu haben. Am Dienstagabend zum Beispiel sitzt Joschka Fischer hoch über dem Münchner Stachus in einem Hotelrestaurant.

Er hat sich zuvor auf dem Marienplatz wieder einmal schweißnass geschrieen wie fast jeden Tag in den vergangenen sechs Wochen, in denen der Joschka-Bus durch Deutschland gerollt ist. "Ich bin kaputt, ausgebrannt", sagt er, und eigentlich freut er sich nur darüber, dass er mit einem guten Freund aus der Welt der Hochfinanz, der neben ihm sitzt, einen schönen Burgunder trinken und ein feines Filet essen kann.

Man muss ihn nicht danach fragen, ob er froh ist, wenn alles vorbei ist, der Wahlkampf zumindest, ganz zu schweigen von anderen Dingen. Es steht ihm ins Gesicht geschrieben, dass es ihm reicht.

Ein wenig redet man dann doch über Politik, Kirchhof und den Wahlkampf, obwohl ja eigentlich alles gesagt ist, tausend Mal von allen und jeden Abend im Fernsehen. Die Grünen, so sieht es jedenfalls aus, werden dieses Mal nicht jene 8,6 Prozent erreichen, die sie 2002 erzielt haben. Wenn es ihnen schlecht geht, laufen sie unter den Kleinen nur als Drittstärkste ein, überholt von FDP und Linkspartei.

Vielleicht kommt es aber auch anders. Es müsste am Sonntag aber schon Manna regnen über Deutschland, um ein bei Joschka Fischer beliebtes Sprachbild zu plagiieren, damit Rot-Grün noch einmal die Regierung stellen kann.

Wonnen der Amnesie

Zurück nach Berlin, genauer gesagt: ins alte Westberlin. Im Café Einstein in der Kurfürstenstraße sitzt Klaus Bölling, der 1982 als Helmut Schmidts Vertrauter und Sprecher den Machtwechsel von Schmidt zu Kohl aus nächster Nähe miterlebt hat.

Bölling ist ein mittlerweile 77-jähriger Herr, der sich noch heute über "Genschers Bubenstück" trefflich ereifern kann. Seit mehr als 40 Jahren ist er Mitglied der SPD, Schmidtianer aus Überzeugung und Lebensgefühl. Er sagt, mit einem wunderbaren potsdam-preußischen Tonfall in der Stimme, er finde es immer "interessant", wie sich Schröder "je nach Ort und Publikum entweder auf Brandt oder auf Schmidt" beziehe. "Volatil" sei ja wohl das neue Modewort für ein solches Verhalten.

Bei Schröders Wahlparteitag Ende August saß der Genosse, nein, das passt eigentlich nicht, also: der Herr Bölling ziemlich weit vorne im Saal. Er beobachtete da, was er kannte aus den alten Zeiten: "Politiker in einer solchen Lage gelangen in einen Zustand der Autosuggestion."

Will heißen: Sie strengen sich an, sie kämpfen; sie erhalten Zuspruch und Applaus; sie schließen daraus, dass es besser wird; sie sagen, dass es besser wird, sie erhalten noch mehr Applaus; die Umfragen bewegen sich, sie kämpfen noch mehr und so weiter. Manchmal hilft das zum Sieg, häufiger verlieren sie trotzdem.

Autosuggestion ist etwas für Wahlkämpfer, die hinten liegen. Gerhard Schröder befindet sich - richtiger: befand sich bis vor kurzem - in diesem Zustand der Autosuggestion. Die eigenen Leute auch, zumal die auf dem Parteitag. Bölling: "Da waren lauter Sozialdemokraten, die Wochen zuvor gezweifelt haben, ja verzweifelt waren. Dann sprach Schröder, und das Publikum war dankbar für die Amnesie, die ihm angeboten wurde. Es war Valium." Als Bölling das sagt, klingt das letzte Wort wie Wahlium.

In dieser Woche nun ist die Wirkung des Wahliums abgeklungen, bei den Autosuggestanten Schröder und Fischer allemal. Die anderen, Merkel und Stoiber, sind wohl sowieso zu wenig leidenschaftlich, um sich von sich selbst so mitreißen zu lassen, dass sie den Wählern auch nur kurzzeitig ein Gefühl von Euphorie vermitteln könnten.

Macht, umwölkt von Wahlium

Fischer, ddp

Joschka Fischer: "Ich will hier nicht sein."

(Foto: Foto: ddp)

Möglicherweise, wahrscheinlich sogar, werden sie gewinnen, irgendwie. Tänze wird es dann vielleicht auch geben vor dem Konrad-Adenauer-Haus in der Klingelhöfer Straße, wo sich die Merkel-Unterstützer mit ihren orangefarbenen T-Shirts sammeln werden, um Freude und Schadenfreude vor den Kameras zu demonstrieren.

1998 übrigens, in der Bonner Wahlnacht, war es sehr still vor dem damaligen Konrad-Adenauer-Haus. Wer am Sonntagabend, wenn die Zahlen bekannt sind, aus was für Gründen auch immer, morbide gestimmt ist, dem sei die Website www.spreng.de empfohlen.

Man kann sich da eine kurze Videosequenz ansehen, wie im Dezember 2003 das alte Adenauer-Haus zu Bonn unter einer gewaltigen Staubwolke in sich zusammenfällt. Es gibt dort, parteipolitisch ganz neutral, auch sonst noch eine ganze Menge einstürzende Altbauten, Fabrikschlote und Hochhäuser zu bewundern.

Raumschiff Bonn

Wenn wir schon so weit sind, ist es nun vielleicht auch an der Zeit, sich noch einmal der Berliner Republik zuzuwenden. Was hat man nicht alles geschrieben und versendet in den ersten Monaten und Jahren nach dem Umzug von Bonn nach Berlin im Sommer 1999, um zu erklären, was sich nun alles verändert habe.

Die außenpolitische Souveränität wurde bemüht, die vermeintliche Protestantisierung und Verostung des politischen Apparates, die verstorbene Bonner Gemütlichkeit, die Weltoffenheit der Großstadt, der Einzug des intellektuellen Lebens ins Regierungshandeln.

Fragen wir noch einmal Klaus Bölling, den geborenen Potsdamer und aktiven Bonner, der seit langer Zeit wieder in Berlin lebt und an seiner Partei leidet. Er leidet so wie viele anständige Menschen leiden an dem, was sie seit langem lieben, weil sich das, was man liebt, im Laufe der Zeit oft viel mehr verändert als man selbst.

"Die Berliner Republik", sagt Bölling und macht dabei eine Handbewegung, als wolle er eine Fliege verscheuchen, "ist nichts anderes als das viel beschworene Raumschiff Bonn. Sie findet nur in einer hundertmal banaleren Weise statt."

Die Lust am Hyperventilieren

Es fällt leicht, ihm zuzustimmen, wenn er beschreibt, wie ein hiesiger Friseur, der sowohl die Kanzlerkandidatin Merkel als auch die herausragende Publizistin der Berliner Republik Christiansen ondulierend berät, irgendwie zur politischen Klasse zählt.

Und ja, man erinnert sich selbst noch lebhaft daran, wie zwei ortsansässige Blätter unter der Führung zugereister Großjournalisten den Berliner Zeitungskrieg ausriefen, weil sie dachten, heute gehöre ihnen Charlottenburg respektive Pankow und morgen Deutschland. In Bonn gab es, abgesehen von den Kollegen des Generalanzeiger, ein paar hundert Journalisten, die nur wegen der Politik dort waren und, mehr oder weniger langweilig, auch so arbeiteten.

In Berlin gibt es, immer noch, Tausende Journalisten, von denen viele nicht wegen der Politik, sondern wegen der Großstadt im weitesten Sinne da sind. Es gibt drei Boulevardzeitungen, und, gefühlt, 117 Radiostationen sowie etliche Dutzend Fernsehstudios nebst zugehörigen Mikrofonhaltern und Kameraschwenkern.

Die Rudelführer dieser Meute, wie sie die Publizistin und Fotografin Herlinde Koelbl genannt hat, bewegen sich manchmal auf einem sehr schmalen Grat zwischen Journalismus und Politik.

Dieser aufgeregte, oft hyperventilierende Apparat lebt nun seit sechs Jahren mit und von einer politischen Klasse, deren Hauptprotagonisten Prominente und Promis zugleich sind. Über Gerd und Joschka, aber auch über Guido, den Wowi und sogar die Angie weiß man alles, fast alles, und darunter vieles, was man nicht wissen möchte, auch weil es den Respekt vor den Inhabern höchster Regierungs- und Parteiämter mindert.

Sie gehen halt einen Tag vor der Wahl noch zu Stefan Raab, einem Witzbold gewordenen Metzger, weil es ja sein kann, dass man selbst in so einer TV-Show noch ein paar versprengte Wähler aufklauben könnte. Das ist die Berliner Republik. Das und nichts anderes.

Politik wie Teleshopping

Ist das wirklich so? Thomas Steg, Kanzlervertrauter und lange Jahre gemeinsam mit dem inzwischen verstorbenen Reinhard Hesse Wortschmied Schröders, findet vornehmere Begriffe. "Stil und Außendarstellung der rot-grünen Regierung sind sicher auch ein Merkmal des Wandels nach 1998", sagt er.

Aber er erinnert sich auch daran, wie problematisch es für seinen Kanzler wurde, als der zu Beginn eines innenpolitisch schwierigen Jahres Gast in Gottschalks "Wetten, dass..?" war. Im Gedächtnis haben sich weniger die gravitätischen Staatsaktionen oder die großen Reden festgesetzt, als vielmehr die Bilder: Schröder mit Zigarre und Designeranzug, der dürre und dann wieder dicke Fischer, der blaugelbe Guido, Merkel in Bayreuth.

Die Berliner Republik ist eine Veröffentlichungsveranstaltung und deswegen gab es in diesem Jahr auch so viel Wahlkampf im Fernsehen wie nie. Seit Mitte August lief jeden Abend bei ARD und ZDF, bei WDR, MDR und BR, ein Duell, ein Dreikampf, ein Forum, ein Wahlcheck und was es dergleichen mehr gab.

Entgegen der alten Regel, dass das, was es selten gibt, wertvoll ist, bekam man die Spitzenkandidaten wie beim Teleshopping frei Haus. Wem das nicht genug war, der konnte sich auch noch von hunderterlei Experten, Analytikern und Kommentatoren in tausend Talkshows totquatschen lassen. Wenn man später einmal einen Beruf beschreiben möchte, der für diese Berliner Republik, für die rot-grünen Jahre an der Spree, idealtypisch steht, dann ist es der im Fernsehen auftretende "Parteienforscher".

"Ich will hier nicht sein."

Ach ja, dann gab es noch am vergangenen Sonntag diesen einen Abend, die letzte Christiansen vor der Wahl, Joschka Fischer gegen Wolfgang Gerhardt. Als Fischer ins Studio ging, zischte er im Vorbeilaufen: "Ich mag das nicht. Ich hasse das. Ich will hier nicht sein."

Dann saßen sie doch da, Gerhardt sprach von der kaspischen Ellipse, und die von jeder Seite ins Publikum mitgebrachten Claqeure klatschten an den jeweils richtigen Stellen, ganz ohne dass die Studioleute Karten mit der Aufschrift "Applaus" hochheben mussten.

Es war alles sehr authentisch, die Quote stimmte auch. Hinterher fragte man Sabine Christiansen, ob es nicht vielleicht so sei, dass jemand in der politischen Klasse erst wirklich jemand sei, wenn er in ihrer Sendung auftreten dürfe. Christiansens Antwort war etwas länger, aber im Prinzip hieß sie: "Ja." Das zumindest wird so bleiben, auch wenn es jetzt zu Ende geht mit Rot-Grün.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: