Die arabische Welt im Umbruch:Der Hefeteig der Revolution

Brot und Protest: In Tunis schwenkten die Menschen Baguettes, auf dem Tahrir-Platz in Kairo wurden Demonstranten mit Fladen versorgt. Armut, Unterdrückung und steigende Brotpreise haben die Revolte in der arabischen Welt ausgelöst - was die Geschichten von Bäckern über die Not und den Zorn der Menschen erzählen.

Peter Münch (Gaza) und Christiane Schlötzer (Kairo)

Am Anfang war das Brot, es ist älter als das geschriebene Wort. Seine frühen Namen sind vergessen, wie die Sprachen, die sie ersonnen haben. "Das Brot wurde aus der Asche geboren, auf dem Stein", notierte der Schriftsteller Predrag Matvejevic, einer der Chronisten der Kulturen des Mittelmeerraums. Brot ist das Ur-Lebensmittel. In den Tempeln der alten Ägypter fanden sich Getreidekörner. Wegen Brot werden Kriege geführt. Gefangene teilen ihr Brot. Die Menschen segnen es.

Heute wird mit Weizen auf den Weltmärkten spekuliert. Gerade mit Getreide lassen sich besonders gute Termingeschäfte machen. Als die Lebensmittelpreise zu Beginn dieses Jahres sprunghaft anstiegen, kam es zu den Protesten in Tunesien und danach in Ägypten. Etwa 40 Prozent der Ägypter leben von weniger als zwei US-Dollar am Tag. Wo Menschen so arm sind, dass sie fast ihr ganzes Geld für Grundnahrungsmittel ausgeben müssen, gibt es viele unbefriedigte Bedürfnisse. Eine Katastrophe, wenn der Preis für Getreide steigt.

"Es ist ein Mysterium, und dies vielleicht für immer, wo und wann die erste Ähre gemahlen wurde", schreibt Predrag Matvejevic in seinem Buch Pane Nostro (Unser Brot, Verlag Garzanti, Mailand 2010) über die Brotkulturen in den Ländern des Südens. Erste Spuren des gemahlenen Korns fanden sich jedenfalls unter dem "fruchtbaren Halbmond", dem niederschlagsreichen Winterregengebiet im Norden der arabischen Halbinsel. Wo Korn angebaut wurde, da hörten die Menschen auf,

Nomaden zu sein. Sie wurden sesshaft. Aussaat und Ernte teilten das Jahr ein, Ackerland wurde von Generation zu Generation weitervererbt. Doch wenn die Herrscher diese Regeln brechen und das Land an sich reißen, dann wächst der Zorn.

Tunesien: "Würde und Brot"

"Würde und Brot" riefen die Menschen in der tunesischen Revolution. Es ging den Demonstranten nicht allein um das Essen und um ihren schweren Alltag. Es ging ihnen um ihre Wertigkeit. Das war vor 17 Jahren noch anders, als ebenfalls im Januar die große Brot-Revolte ausbrach. Im Süden Tunesiens rebellierten die Arbeiter der Phosphat-Bergwerke, der Preis einer Baguette hatte sich über Nacht um 150 Prozent erhöht, weil Staatsgründer Habib Bourguiba freie Kräfte in der Wirtschaft walten ließ. Um den Aufruhr zu unterdrücken, schoss das Militär in die Menge. Mehr als 500 Menschen starben. Die Lage beruhigte sich erst, als Bourguiba versprach, die Preiserhöhungen würden zurückgenommen. "Alles wird wie vorher", sagte er damals im Fernsehen. Nun demonstrieren die Tunesier wieder, diesmal aber tragen sie Baguettes, die Nationalfahne und Bilder des Staatsgründers vor sich her. "Lang lebe Bourguiba", heißt nun die Parole.

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Proteste in Tunis: Ein Demonstrant hält ein Baguett nach oben. Tunesiens revolutionäre Tradition ist eng mit dem Brot verknüpft.

(Foto: AFP)

Tunesiens revolutionäre Tradition ist eng mit dem Brot verknüpft. Keine Mahlzeit ist ohne Brot denkbar. Viele Rezepte für Suppen und Ragouts beruhen auf der Verwertung von altbackenem Brot. Schon in der Antike war die römische Provinz Africa, zu der das heutige Tunesien gehörte, die Kornkammer des Reiches. Allerding hatte die französische Beherrschung des Landes zur Folge, dass die Baguette die herkömmlichen Brotarten weitgehend verdrängte. Anders als in den meisten arabischen Ländern, ist sie die Standardform des Brotes geworden.

Zwar ist die Tabuna - der dicke einheimische Brotfladen -, noch immer zu haben. Lebensmittelgeschäfte mit mehr Auswahl führen auch das dünne arabische Fladenbrot, Chubbs genannt. Daneben gibt es noch andere Formen gebackenen Teiges wie die dünnen Stangen, die den italienischen Grissini ähneln, oder kleine, knusprige Kugeln zum Knabbern beim Bier oder zu Vorspeisen.

Was es nicht mehr gibt, ist die Bäckerei an der Ecke. In jeder belebten Straße ist mindestens ein Konditor am Werk, der Dutzende Sorten orientalischer Zuckerbäckerei anbietet. Aber alles Brot, ob in kleinen Krämerläden, in Supermärkten, sogar auf den traditionellen Märkten für Obst, Gemüse, Fleisch und Fisch ist industriell gefertigt. Die Fabriken liegen am Rande der Stadt. Lieferwagen bringen die Ware in Plastikkästen, selbst die Fladen.

Tunesiens Wirtschaft ist modern geworden. Die traditionellen Handwerke haben schwer darunter gelitten, die Qualität des Brotes auch. Kunsthandwerker, die nicht für den Souvenirmarkt arbeiten, sind wie die Bäcker vom Aussterben bedroht. Es gibt Tunesier, die ihr Brot selber backen, wenn es so schmecken soll wie ehedem.

Ägypten: Säckeweise Brot für den Tahrir-Platz

Die arabische Welt im Umbruch: Backwaren für die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo.

Backwaren für die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo.

(Foto: AP)

Sesam, Kreuzkümmel, Schwarzkümmel, Weißmehl, Vollkorn, Hefe. Samir spricht fast zärtlich von den Zutaten für seinen Teig. "Und alles mit den Händen", sagt er. Brot müsse man mit den Händen machen. Geld für Maschinen hätte Samir sowieso nicht. Sein Bäckerstand in der berühmten Basargasse Mu'izz li-Din Allah in Kairo besteht aus ein paar Gestellen. Die Dattelkekse sind mit Plastikfolie bedeckt, das Brot liegt offen im Regal.

Erst seit zwei Jahren sei er Bäcker, erzählt Samir und knetet seine Finger, wie sonst den Teig. Er hat schon viel probiert, um zu überleben, wie viele Ägypter, die nicht im Reichtum geboren sind. "Ich hatte sieben Jobs, aber kein Glück." Das Brot ernährt ihn nun. Brot essen die Ägypter immer. Kein Mahl ohne Brot. Kein Frühstück, kein Mittagessen, kein Abendessen. Selbst die Ärmsten kaufen Brot - auch wenn sie sonst fast kein Geld auszugeben haben.

Während der Revolutionstage in Kairo wurde säckeweise Brot zu den Demonstranten auf den Tahrir-Platz gebracht - auch von denen, die es sich nicht leisten konnten. Brot und Tee hatten sie auf dem Tahrir fast immer. Nicht Tüten mit "Kentucky Fried Chicken", wie das staatliche Fernsehen glauben machen wollte. Soldaten an den Straßensperren, die nichts und niemanden durchlassen sollten, zeigten den Brotboten die Schlupflöcher.

Samir, der Bäcker, war nicht auf dem Tahrir. Und er wird so bald auch nicht hingehen, selbst wenn es sich jetzt um ein historisches Monument handeln soll. Ein paar dutzend, manchmal ein paar hundert Demonstranten sind oft immer noch dort, streiten, schreien, spotten, als müssten sie sich die Jahre der Unfreiheit kollektiv von der Seele reden.

Samir gehört zu den Stillen. In den 30Jahren der Herrschaft von Hosni Mubarak haben viele Menschen gelernt, nicht einmal am Telefon über Politik zu sprechen, weil man nicht wusste, wer mithört. Die Revolution ist in Samirs Gasse noch nicht wirklich angekommen.

Mubarak, meint der Bäcker, sei doch gar nicht über alles informiert gewesen, was in seinem Land vorging. "Sie haben wahrscheinlich die Wahrheit vor ihm verheimlicht." Samir hat aber auch gehört, dass Hosni Mubarak viel Geld ins Ausland geschafft haben soll; Geld, das den Armen fehlt, und das der ägyptische Generalstaatsanwalt jetzt suchen lässt. "Es wird alles zurückkommen", sagt Samir leise, als sei im Gedanken an das gestohlene Volksvermögen schon zu viel Kritik versteckt. "Das sollen dann die jungen Leute bekommen, unsere Söhne und Töchter. Wir sind alt, wir brauchen es nicht mehr."

Samir hat gelernt, mit wenig zufrieden zu sein, und er weiß, wie vergeblich alle Mühe sein kann, wenn man nicht die richtigen Leute kennt. So war das bisher in seinem Land. Und ob es nun anders wird, das muss sich erst noch zeigen.

Nicht weit weg von Samirs Basar-Stand wird auch gebacken. Im großen Stil. Ein Ofen, hoch wie eine Lokomotive und schwarz wie eine Bergwerkslore, spuckt im Sekundentakt runde Brote aus. Das Förderband ächzt, und was auf der breiten, heißen Zunge ankommt, wird noch dampfend auf hölzerne Gestelle gelegt. Die Männer mit den Radkarren warten schon. Sie laden die Wägen voll oder setzen sich Gestelle mit den Brot-Türmen auf den Kopf. "Abu Schilling" heißt das Brot, weil es nur einen Schilling oder fünf Piaster - etwa einen halben Eurocent - kostet. Das ist billig.

Es ist das Brot der Armen, der Staat gibt den Bäckern, die es backen, verbilligtes Mehl. Auch dabei soll es nicht immer mit rechten Dingen zugehen, mancher Sack Mehl soll schon verschwunden sein. In der Ofenhitze geht das Brot auf, es wird luftig. Schon die alten Ägypter haben solches Brot gebacken, rund wie eine Diskusscheibe. Man hat es in den Pyramiden gefunden. Weil die Pharaonen an ein Leben nach dem Tod glaubten, wollten sie auch Brot parat haben. Nun liegt es im Ägyptischen Museum.

"Aisch baladi", Landbrot, sagen sie dazu. Es ist das ägyptische Urbrot. Im dem Wort "Aisch" steckt auch das Wort für "Leben". So eng sind Brot und Leben verknüpft. Deshalb haben die Ägypter immer wieder revoltiert, wenn der Brotpreis stieg. Das staatlich verbilligte Brot sollte das Volk beruhigen. Bisweilen stellen sich auch ein paar Reiche in die Schlangen vor den Billigbrot-Ständen. Selten wird ihnen die Ware verweigert. Sie sagen, das schlichte Brot der Armen schmecke so gut.

Das billige Brot kommt überall hin, in jede Gasse, jeden Hinterhof. Es wird verkauft von der Ladefläche eines Lastwagens herunter, von fliegenden Händlern und von den flinken Radlern. Auch Brot ist ein Klassengeschäft: Das Brot für die Armen wird aus grobem Vollkornmehl und von Volksbäckern gebacken. Das teure Brot besteht aus fein gemahlenem Weizen und ist in gut sortierten Geschäften zu haben.

Mubarak hatte sein eigenes Brot. Er soll strenge Diät gehalten und auf Bioprodukte Wert gelegt haben. Eine Farm produzierte eigens für ihn. Wertvolles Ackerland am Nilufer wurde dagegen in der Mubarak-Zeit billig als Bauland verschachert. Darauf entstanden die wild gebaute Siedlungen Kairos - eine ökologische und städtebauliche Katastrophe. "Warum mussten wir Weizen aus Amerika importieren?", fragen sich viele Ägypter. "Wir haben doch den Nil." Das fruchtbare Land sollte doch alle ernähren.

Für die alten Römer war Ägypten ein Brot- und Obstkorb, heute gibt es in den Supermärkten von Kairo Äpfel aus Italien, auch Getreide muss eingeführt werden. In einem der schwarzen Glutöfen backen sie an einem Tag oft 25 000 Brote. Der Bäcker Samir kann da nicht mithalten, er hat nur seine zwei Hände. Die müssen ihn ernähren.

Eigentlich könnte Samir ein reicher Mann sein. Schließlich besitzt er einen großen Schatz. Gleich bei seinem Bäckerstand, auf der anderen Seite der schmalen Gasse, öffnet sich ein Kreuzgang. 17Klosterzellen mit hohen Kuppeldächern gehen auf den weiten Innenhof. Reisende Sufis, tanzende Derwische, haben hier einst Station gemacht, haben ihr Brot geteilt. Irgendwann wurde der Orden verboten, jetzt bröckeln die jahrhundertealten Mauern, Tauben gurren im Hof. Der Staat, sagt Samir, wolle ihm das Gebäude, sein Geburtshaus, wegnehmen, weil es ein historisches Bauwerk sei. "Und wo sollen wir dann wohnen?", fragt er. Samirs ganze Familie lebt in dem Derwisch-Kloster. Ein Cousin zeigt seine Kemenate. Darin ist gerade mal Platz für Bett und Schrank. Aber der Mann hat auch noch einen Tisch hineingezwängt. Darauf steht ein Computer. Es ist ein älteres Modell, und dennoch Beweis dafür, dass auch in der verwunschenen Welt des Bäckers die neue Zeit schon eine Nische hat.

Gaza: Die Hamas kann nur hoffen

Die arabische Welt im Umbruch: Palästinensische Demonstranten bekunden ihre Solidarität mit der Revolte gegen den libyschen Staatschef Muammar al-Gaddafi.

Palästinensische Demonstranten bekunden ihre Solidarität mit der Revolte gegen den libyschen Staatschef Muammar al-Gaddafi.

(Foto: AFP)

Abed Hamdan steht in der Backstube, knetet den Teig, zieht an seiner Zigarette, knetet wieder den Teig und sagt beim Ausatmen: "Für die Leute in Gaza ist das Brot zu teuer." Um 15 Prozent, so berichtet er, ist der Preis im vergangenen Jahr gestiegen. 15 Prozent sind viel, wenn die Wirtschaft nicht wächst, wenn kaum einer Arbeit hat und Hoffnung schon lange nirgends mehr zu finden ist. 15 Prozent Aufschlag auf den Brotpreis - das ist anderswo der Stoff, aus dem Revolutionen entstehen. "Doch bei uns wird das nicht passieren", sagt Abed Hamdan, der Bäcker aus Rafah im südlichen Gaza-Streifen.

Die Hamas kann das nur hoffen. Denn angesichts des Aufruhrs bei den arabischen Brüdern müssen auch die frommen Herrscher des Küstenstreifens ihr Volk unter Kontrolle halten. Sie haben den 1,5 Millionen Untertanen schon vieles zugemutet und sind nun vorsichtig geworden beim Brotpreis. Als jüngst schon wieder eine Erhöhung angestanden hätte, da wurde der Preis per Anweisung einfach eingefroren - und stattdessen die vorgeschriebene Backmenge reduziert. Für stabile sieben Schekel, umgerechnet 1,40 Euro, bekommen die Kunden beim Bäcker Hamdan so wie überall im Gaza-Streifen jetzt nicht mehr drei Kilo Brot, sondern nur noch 2,7 Kilo.

Not macht erfinderisch, doch nicht jede Erfindung lindert die Not. Abed Hamdan erzählt, dass fast jeden Tag Menschen vor seiner Backstube stehen und um Brot betteln. Nein sagen kann er nicht, und er soll es auch nicht, denn die Bäckerei wird betrieben von einer islamischen Hilfsorganisation. Wohltätigkeit gehört mit zu deren Geschäftsgrundsätzen, auch wenn sich die Generosität nicht unbedingt auf die Gehälter erstreckt. Denn Abed Hamdan, 50 Jahre alt und mit einer zehnköpfigen Familie gesegnet, verdient als Bäcker im Monat nur 1100 Schekel (220 Euro). "Wenigstens kann ich am Abend eine Tüte voll Brot mit nach Hause nehmen", sagt er.

Seit 30 Jahren schon ist er im Geschäft, und in Rafah sagen die Leute, er sei in ihrer Stadt der Beste seines Fachs. Draußen vor dem Verkaufsfenster steht die Kundschaft Schlange, und auch hier ist der Preis ein Thema. "Höchstens fünf Schekel dürfte das Brot kosten", sagt eine Frau. Die anderen nicken still.

Drinnen in der Backstube, die kahl und schmuddelig wirkt wie eine Autowerkstatt, stapeln sich die Mehlsäcke bis zur Decke. Mittendrin steht Abed Hamdan, ein kleiner Mann mit kurzen grauen Haaren und Stoppelbart, den Kittel voller Mehlstaub. Ein paar alte Rührmaschinen scheppern.

Bahrain: Die Brote werden kleiner

Bahraini Shi'ite opposition leader Hassan Mushaimaa speaks to supporters in Pearl Square in Manama

Proteste auf dem Perlenplatz in Manama: Der Anführer der schiitischen Opposition, Hassan Mushaimaa, spricht zu den Demonstranten auf dem Platz.

(Foto: REUTERS)

Das Rezept ist einfach: Zwei Sorten Mehl, Wasser und Salz, den Teig ziehen lassen und kurz in den Kühlschrank legen. "Kühlen ist wichtig. Erst danach dürfen die Laibe geformt und gebacken werden", sagt Haidar Ahmadi. Ahmadi backt das Brot so, wie es ihn der Vater gelehrt hat. "Das ist hart, die Mehlsäcke sind schwer. Und ich muss immer früh raus am Morgen." Der Bäcker hofft, dass sein Sohn das Geschäft einmal übernehmen wird.

Dabei ist der Begriff Geschäft übertrieben für Ahmadis Bäckerei: Die 15 Quadratmeter große Backstube ist bis zur Decke weiß gekachelt und so anheimelnd wie eine Duschkabine. Sie ist gleichzeitig Vorratslager und Verkaufsraum. Das immer offene Fenster dient als Theke, es gibt Brot, Softdrinks aus Dosen, Trinkjoghurt. Ahmadi sagt: "Eigentlich bin ich glücklich mit meinem Leben - anders als viele meiner schiitischen Landsleute hier."

Der Bäcker Ahmadi lebt in Schakura, einem der dörflichen Stadtteile von Bahrains Hauptstadt Manama. Im Zentrum der Hauptstadt, am Perlenplatz, ist derzeit Revolution. Die schiitische Bevölkerungsmehrheit lehnt sich gegen das sunnitische Königshaus auf. Sie fordert ihre Rechte ein - der Erfolg ist ungewiss. Den 23-jährigen Schiiten Ahmadi treibt die Politik aber nicht wirklich um: "Ja, die Revolution ist gut und nötig. Aber die Menschen müssen auch essen. Dafür bin ich als Bäcker da. Also bleibe ich hier - ich gehe nicht auf den Perlenplatz."

Ahmadi wirft einen Blick in den Ofen, die Gasflamme am Boden faucht, an der Wand kleben ein paar halbfertige Brote. Dann schaut der Bäcker auf den Arbeitstisch: Sein Gehilfe formt tennisballgroße Teigkugeln, klatscht sie auf die Arbeitsplatte, walzt sie aus. Der Mann stammt aus Indien. Ein zweiter Gehilfe nimmt dünne Teigscheiben, wirft sie gegen die Ofenwand, zieht die glühend heißen Brote nach knapp einer Minute mit einem Eisenhaken aus dem Feuer. Er kommt von den Philippinen. Ahmadi sagt: "Na ja, es ist so wie überall. Ich finde keinen Bahraini, der die Arbeit für 250 Dinar im Monat machen würde."

Eines der knusprigen, dünnen Brote kostet vier Eurocent - Ahmadi verdient rund 500 Dinar im Monat, gut 1000 Euro. Für Bahrain ist das nicht schlecht. Viele müssen mit 300 Dinar auskommen. Die Löhne sind wegen der Arbeiter aus Thailand, den Philippinen, Indien und Pakistan so niedrig, dass viele Schiiten lieber zu Hause bleiben. Sie stellen zwei Drittel der Bevölkerung, aber fühlen sich von den Sunniten diskriminiert. Sie klagen, dass sie keine Jobs finden, während das Königshaus die guten Stellen in der Verwaltung an Sunniten aus dem Jemen, Syrien und Pakistan gibt.

Bahrain ist ein Inselstaat im Persischen Golf, ein kleines Emirat, erst seit einigen Jahren ein Königreich. Es ist dem riesigen Saudi-Arabien vorgelagert, durch eine Autobahnbrücke mit diesem verbunden - das Wohnzimmer der Saudis: Liberal, modern, es gibt Alkohol, teure italienische Restaurants, edle Clubs und andere Vergnügungen für die jungen saudischen Männer, die das Alkoholverbot im eigenen Land am Wochenende umgehen. Nur eines wollen die Saudis in Bahrain nicht: eine schiitisch dominierte Regierung. Die Schiiten-Vormacht Iran, der große Rivale der Saudis, liegt auf der anderen Seite des Golfs.

Dem schiitischen Bäcker Ahmadi ist all das egal. Er denkt an seine Brote und an seine Kunden. Die Menschen in Bahrain haben immer weniger Geld, die Preise kann er trotz der Inflation nicht anheben. Also hat er seinen eigenen Weg gefunden: Er nimmt weniger Teig, die Brote werden eben kleiner.

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