Dichtung und Wahrheit:Protokoll eines vorsätzlichen Krieges

Saddam muss weg: Diesem Ziel ordneten Tony Blair und George Bush alles unter, auch die Wahrheit. Nun belegt ein Dokument, dass sie die Öffentlichkeit bewusst belogen haben.

Von Thomas Kirchner

Am 23. Juli 2002, acht Monate vor dem Beginn des Irak-Kriegs, rief der britische Premier Tony Blair sicherheitspolitische Experten in die Downing Street 10. Außen- und Verteidigungsminister waren anwesend, Kronanwalt, Sicherheitsberater und die Chefs von Armee und Geheimdienst. Sie besprachen die Strategie für den Kampf gegen Saddam Hussein.

US-Präsident George Bush und der britische Premier Tony Blair

Kampagne für den Krieg: US-Präsident George Bush und der britische Premier Tony Blair.

(Foto: Foto: Reuters)

Knapp drei Jahre später und vier Tage vor der Wahl in Großbritannien, am 1. Mai 2005, veröffentlichte die Sunday Times das geheime Protokoll des Treffens. Der Irak-Krieg hat Blair Stimmen gekostet, doch das Dokument ging im Wahlkampf unter. (Einen Link auf das Dokument finden Sie am Ende des Artikels.)

Dabei handelt es sich um den ersten regierungsinternen Beleg dafür, dass US-Präsident George Bush und sein Haupt-Alliierter Blair die Welt bei der Vorbereitung des Irak-Kriegs vorsätzlich belogen haben.

Saddam musste weg: Diesem Ziel ordneten die Regierungen in Washington und London alles unter, auch die Wahrheit. Sie frisierten Geheimdienst-Informationen und ließen den Diktator gefährlicher erscheinen als er war. Das ist bekannt.

Dass es Krieg gibt, stand fest

Hinweise auf Tricksereien lieferten Aussagen der ehemaligen britischen Minister Robin Cook und Clare Short, Bücher des zurückgetretenen amerikanischen Finanzministers Paul O'Neill und des ehemaligen Antiterror-Spezialisten Richard Clarke sowie des Watergate-Enthüllers Bob Woodward ("Plan of Attack"). Weitere Details sind den Berichten britischer und amerikanischer Untersuchungskommissionen zu entnehmen.

Zusammengefasst: Die Bush-Regierung hatte schon vor den Anschlägen in New York und Virginia einen Angriff auf den Irak erwogen. Sechs Wochen nach dem 11. September beauftragte der Präsident seinen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld mit konkreten Planungen.

Bald darauf stand die Entscheidung für den Krieg fest. Nun musste noch eine Rechtfertigung für die Militäraktion gefunden werden.

Ein früher Beschluss

Das war die Ausgangslage für die Besprechung in London. Richard Dearlove, Chef des britischen Auslandsnachrichtendienstes MI6, erzählte zunächst von Gesprächen in Washington: "Die Haltung hat sich spürbar verändert. Eine Militäraktion wird nun für unvermeidlich gehalten. Bush will Saddam weg haben, mit militärischen Mitteln, begründet durch die Verknüpfung von Terrorismus und Massenvernichtungswaffen.

Aber die Geheimdienst-Erkenntnisse und die Fakten werden so zurechtgebogen, dass sie zur politischen Strategie passen. Der Nationale Sicherheitsrat (der USA) hat keine Geduld mit dem UN-Weg und ist nicht erpicht darauf, Material über das irakische Regime zu veröffentlichen."

Aus Dearloves Worten geht hervor, dass Bush spätestens zu diesem Zeitpunkt, also im Sommer 2002, beschlossen hatte, den Irak anzugreifen. Als Begründung hatte er sich zurechtgelegt: Saddam unterstützt die Terroristen der al-Qaida und bedroht die Menschheit mit seinem Arsenal von Massenvernichtungswaffen.

Protokoll eines vorsätzlichen Krieges

Nun ging es darum, die Fakten passend zu machen. Weiter wird deutlich, dass innerhalb der Regierung eine starke Fraktion den "UN-Weg", die Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen, als überflüssig und lästig erachtete.

Laut Protokoll ergreift dann der britische Außenminister Jack Straw das Wort und verweist auf die "dünne Beweislage": "Saddam bedroht seine Nachbarn nicht, und er hat weniger Massenvernichtungswaffen als Libyen, Nordkorea oder Iran." Wie ließe sich ein Angriff trotzdem rechtfertigen?

Straws Plan: "Wir sollten Saddam ein Ultimatum stellen, damit er die UN-Waffeninspektoren wieder ins Land lässt." Der Diktator hatte 1998 die Zusammenarbeit mit den UN eingestellt.

Kronanwalt Lord Goldsmith gibt zu bedenken, dass als Grundlage für eine Militäraktion nur eine Resolution des UN-Sicherheitsrates in Frage käme. Der bloße "Wunsch nach einem Regimewechsel" im Irak reiche nicht. Das leuchtet Blair ein.

Er hatte Bush, wie Woodward schreibt, schon im April 2002 auf seiner Ranch im texanischen Crawford zwar versichert, dass er ihn keinesfalls im Stich lassen werde. Blair wusste aber auch, wie schwierig es würde, den Bürgern - und seiner friedliebenden Labour Partei - einen Angriff zu erklären. Er musste also so tun, als wolle er den Krieg um jeden Preis vermeiden.

UN als reines Mittel zum Zweck

Deshalb unterstützte er Straws Idee mit dem Ultimatum: "Politisch und rechtlich wäre es ein großer Unterschied, wenn Saddam sich weigerte, die Inspektoren hereinzulassen. (...) Wenn der politische Kontext stimmt, dann würde die Öffentlichkeit den Regimewechsel befürworten. Die zwei entscheidenden Fragen sind, ob der militärische Plan funktioniert und ob wir die politische Strategie haben, die dem militärischen Plan den Raum zum Funktionieren lässt."

Blair fragt sich also, wie sich die Invasion politisch untermauern lässt. Und er hat einen möglichen Casus belli ins Auge gefasst. Die UN und ihre Inspektoren erscheinen als reines Mittel zum Zweck.

Im September 2002 überredete Blair Bush, den Weg über die UN zu nehmen. Der US-Präsident kam damit auch seinem Außenminister Colin Powell entgegen, dem daran gelegen war, diesen Weg mit offenem Ziel zu gehen, Saddam also eine wirkliche Chance zu geben.

Tatsächlich war der UN-Weg, wie Vizepräsident Dick Cheney befürchtet hatte, voller Tücken.

Protokoll eines vorsätzlichen Krieges

Statt sich querzustellen und damit den erhofften Kriegsgrund zu liefern, ließ Saddam die Inspektoren von November 2002 an wieder nach Massenvernichtungswaffen suchen. Sie fanden nichts - weil es nichts zu finden gab, wie inzwischen auch US-Inspektoren bestätigten.

Parallel zum UN-Weg hatten Amerikaner und Briten jedoch eine Propaganda-Offensive gestartet, um den "politischen Kontext" zu steuern. Es ging darum, wie Bushs Stabschef Andrew Card später in der New York Times einräumte, das "Produkt Irak-Krieg zu verkaufen".

Operation Marketing

Unablässig wiesen Bush, Cheney und Rumsfeld auf die Gefahr hin, die von Saddams Atomprogramm ausgehe. Die Geheimdienste gerieten unter Druck, Informationen zu liefern; Berichte wurden manipuliert, belastendes Material wurde aufgebauscht, entlastendes weggestrichen.

Abenteuerliche Falschmeldungen wurden in die Welt gesetzt. Cheney verbreitete, einer der Attentäter des 11. September habe in Prag einen irakischen Diplomaten getroffen. Blair alarmierte sein Land mit der Aussage, Saddam brauche nur 45 Minuten, um die tödlichen Raketen scharf zu machen. Bush behauptete, der Irak habe versucht, im Niger 500 Tonnen Uran zu bekommen.

Schlusspunkt der Kampagne war Powells Auftritt vor dem UN-Sicherheitsrat am 5.Februar 2003. Fast keiner seiner 29 Anklagepunkte gegen den Irak entsprach der Wahrheit. Der richtige "politische Kontext" aber war etabliert, es gab kein Zurück.

Dass die UN-Inspektoren noch immer keine Waffen gefunden hatten, interpretierten die USA als Versagen des Monitoring-Verfahrens. Am 20. März begann der Krieg.

In der BBC hat Blair auf die Veröffentlichung des Memorandums reagiert. Über den Angriff sei zu jener Zeit noch nicht entschieden gewesen, sagte er: "Wir beschlossen dann, noch einmal zu den UN zu gehen und ihnen eine letzte Chance zu geben."

In den USA veröffentlichte die New York Review of Books soeben das Protokoll. Am Schluss seiner Analyse zitiert der Autor einen "hochrangigen Berater" Bushs: "Wir sind jetzt ein Imperium, und wenn wir handeln, schaffen wir unsere eigene Wirklichkeit."

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