Deutschlands letzte Wehrpflichtige:"Ich kann jetzt Hemden mit geschlossenen Augen falten"

Antreten zum Abtreten: An diesem Donnerstag verlässt Sami Galal El Din die Julius-Leber-Kaserne in Berlin. Damit geht auch ein Kapitel deutscher Geschichte zu Ende: die Wehrpflicht. Im Gespräch erzählt der Sohn eines Ägypters von seinen Erfahrungen in den vergangenen sechs Monaten - und verrät, wie es sich anfühlt, zu den letzten Wehrpflichtigen zu gehören.

Kathrin Haimerl

Sami Galal El Din, 20, verlässt an diesem Donnerstag die Julius-Leber-Kaserne in Berlin. Er gehört zu den letzten Wehrpflichtigen in Deutschland, von Juli an werden nur noch Freiwillige eingezogen. Die vergangenen sechs Monate verbrachte der 20-Jährige in der 8. Kompanie (Luftwaffe), 1. Zug. El Din, dessen Vater Ägypter ist, ist in Deutschland geboren. Mit zwölf Jahren zog seine Familie nach London, im Juni 2010 kehrte El Din zurück nach Berlin. Nur zwei Monate später, im August 2010, erhielt er seinen Einberufungsbescheid, am 3. Januar 2011 trat er seinen Dienst an. Das Wachbataillon ist der Verband der Bundeswehr für protokollarische Einsätze, aufgrund seiner öffentlichkeitswirksamen Aufgaben gehört es zu den bekannteren Teilen der Truppe.

Sami Galal El Din, Bundeswehr, letzter Rekrut

8. Kompanie, 1. Zug: In der Julius-Leber-Kaserne in Berlin verbrachte Sami Galal El Din die vergangenen sechs Monate, an diesem Donnerstag verlässt er die Kaserne - und blickt fast ein bisschen wehmütig auf die Zeit mit den Kameraden zurück.

(Foto: Adrian Jäckel, Bundeswehr)

sueddeutsche.de: Herr El Din, Sie gehören zur letzten Generation der Wehrpflichtigen in Deutschland. Wie fühlt sich das an?

Sami Galal El Din: Eigentlich bin ich ganz schön stolz darauf. Davon kann ich den Rest meines Lebens erzählen.

sueddeutsche.de: Haben Sie erwartet, dass man Sie noch einberufen würde?

El Din: Nein. Irgendwie hatte ich mir eingebildet, dass ich da nicht hin muss, weil ich schon so lange im Ausland war. Ich habe in London noch mit dem Maschinenbaustudium begonnen und wollte das in Berlin fortsetzen. Kurz nachdem ich in Deutschland angekommen bin, das war im Juni 2010, bekam ich meinen Einberufungsbescheid. Das war erst mal ein Schock. Ich habe mich gefragt: Was mach ich jetzt? Wie soll das gehen? Studieren kann ich dann wohl nicht so einfach?

sueddeutsche.de: Haben Sie versucht, sich ausmustern zu lassen?

El Din: Ich bin ins Überlegen gekommen, habe mir gedacht: Bundeswehr - wäre das wirklich so schlimm? Vielleicht könnte ich ein paar interessante Dinge mitnehmen, erwachsener werden, Kameradschaft erleben, wichtige Erfahrungen machen.

sueddeutsche.de: Gerade weil Sie viel Zeit im Ausland verbracht haben: Wie war es für Sie, den Dienst für Deutschland antreten zu müssen?

El Din: Für mich war das kein Problem. Ich bin hier geboren. Meine Mutter ist Deutsche. Das ist mein Zuhause, ich lebe jetzt hier. Zwar wäre ich nicht unbedingt bereit, an einem Auslandseinsatz teilzunehmen. Sollte es aber vor unserer Tür ein Problem geben, sähe ich es als meine Pflicht an, meine Heimat zu verteidigen. Das war auch ein Grund, warum ich mich dafür entschieden habe, den Wehrdienst anzutreten. Als ich dann noch erfahren habe, dass ich ins Wachbataillon komme, war das für mich eine große Ehre. Denn schließlich ist es unsere Aufgabe, unser Land in der Welt zu repräsentieren.

sueddeutsche.de: Jetzt - nach sechs Monaten - haben sich Ihre Erwartungen erfüllt?

El Din: Ich bereue meine Entscheidung auf keinen Fall. Das Kostbarste in der Zeit waren die Kameraden, die ich kennengelernt habe, die Zeit, die wir gemeinsam verbracht haben. Insbesondere, wie wir durch harte Zeiten gemeinsam gegangen sind.

Der Tag beginnt mit einem Moonwalk zum Waschraum

sueddeutsche.de: Gab es in den vergangenen sechs Monaten eine Situation, in der Sie aufgeben wollten?

El Din: Vergangenen Monat, Ende Mai, als wir gemeinsam zu einem Truppenübungsplatz nahe der polnischen Grenze gefahren sind. Wir mussten sämtliche Übungen im Kampfanzug absolvieren, also zum Beispiel mit Kampfstiefeln durch den sandigen Boden joggen. Dabei sanken wir immer ein, was sehr anstrengend war. Dann mussten wir uns in den Sand stürzen, kriechen und gleiten, das alles mit Waffe, ... immer weiter, immer weiter, ohne große Pause. Danach ging es in ein Waldgebiet, wo ein großer, dicker Baumstamm lag. "Das ist mein Freund", sagte der Oberleutnant. "Er fühlt sich nicht so wohl, jetzt versuchen Sie mal, ihn wegzuschaffen." Zu acht versuchten wir, den Baumstamm hochzuheben, schafften dies auch, aber nur für ein paar Schritte. Meine Kameraden und ich waren ganz schön fertig. Dennoch: Wir hatten unser Ziel erreicht. Das war - trotz allem - ein schönes Gefühl.

sueddeutsche.de: Hatten Sie aufgrund Ihrer Abstammung und Ihres Namens je Nachteile bei den Kameraden?

El Din: Nein, eher Vorteile. Als Muslime waren wir in unserer Kompanie zu dritt, speziell für uns wurde auch in der Suppenküche immer muslimisches Essen zubereitet. Im Zugbereich und unter unseren Kameraden waren wir sehr freundlich aufgenommen worden. Wir sind schon jetzt ein Teil der Truppe.

sueddeutsche.de: Wie sah Ihre Tagesroutine aus?

El Din: Anfangs mussten wir geschlossen um 4:30 Uhr aufstehen. Der Zugführer drehte im Flur die Stereoanlage auf und spielte laut Michael Jackson. Sämtliche Lieder. Das war cool. Wir konnten aufstehen, und auf dem Weg zum Waschraum ein bisschen Moonwalk machen. Da waren alle am Morgen gutgelaunt.

sueddeutsche.de: Und nach dem Aufstehen?

El Din: Mussten die Stuben, Zugflur und Waschräume gereinigt und die Spinde ordentlich gemacht werden.

sueddeutsche.de: Haben Sie da mal Ärger gekriegt?

El Din: Oh ja, oft genug. Am Anfang hat niemand gewusst, wie wir das überhaupt machen sollten, also wie man einen Lappen benutzt. Die meisten Kameraden sind noch daran gewöhnt, dass zu Hause die Mutter aushilft. Das war zunächst ein völliges Durcheinander. Wir konnten uns schon öfters was vom Zugführer anhören und haben recht viel Zeit damit verbracht, die Mängel abzustellen.

sueddeutsche.de: Und jetzt können Sie Hemden im DIN-A-4-Format falten?

El Din: Ja, kann ich, sogar mit geschlossenen Augen. Hier im Wachbataillon lernt man das noch besser als in anderen Teilen der Bundeswehr, hier muss alles penibelst ordentlich sein. Unsere Uniformen müssen ganz genau gebügelt werden. Unser Zugführer kündigte zu Beginn der Ausbildung an: "Wenn Sie hier fertig sind, können Sie besser bügeln als Ihre Mutter und Ihre Freundin zusammen." Ich glaube, das stimmt. Manchmal verbrachte ich am Abend fünf Stunden mit Bügeln.

sueddeutsche.de: Kamen Sie mit dem Befehlston klar?

El Din: Um ehrlich zu sein, hätte ich mir Schlimmeres erwartet. Der Ton wurde zwar schon strenger, wenn ein paar Kameraden nicht so motiviert waren, das Stuben- und Revierreinigen nicht ordentlich ausfiel oder das Bügeln nicht gut genug war. Dann wurde der Vorgesetzte etwas lauter, es ist aber nie ein Soldat beleidigt oder eingeschüchtert worden.

Vor dem Guttenberg-Zapfenstreich gab es politische Bildung

sueddeutsche.de: War Ihre Kompanie im März beim Großen Zapfenstreich anlässlich der Verabschiedung des ehemaligen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg vertreten?

El Din: Ein großer Teil unserer Ausbilder schon. Zum Beispiel unsere Stabsunteroffizierin, die als erste Frau überhaupt an einem solchen protokollarischen Einsatz teilnehmen durfte - als Fackelträgerin. Mein Zug war zu diesem Zeitpunkt noch mitten in der Ausbildung. Ich glaube nicht, dass wir schon für einen solchen Einsatz bereit gewesen wären. Aber wir haben im Vorfeld politische Bildung bekommen.

sueddeutsche.de: Was haben Sie da gelernt?

El Din: Ganz allgemeine Sachen, etwa, wer Guttenberg im Amt nachfolgen würde. Ganz ehrlich: Weil unsere Ausbildung zu diesem Zeitpunkt in vollem Gange war, waren die Kameraden während der Unterrichtszeit ganz schön müde.

sueddeutsche.de: Es ist also jemand eingeschlafen.

El Din: Sogar mehrere. Sagen wir es so: Der Unterricht war sicher gut. Aber die Kameraden sind mit ihrer Aufmerksamkeit dem nicht immer ganz gerecht geworden.

sueddeutsche.de: Haben Sie die letzten Tage in der Kaserne mit dem Maßband gezählt?

El Din: Maßband? Davon höre ich jetzt zum ersten Mal. Nein, sowas hatten wir nicht. Es ist nicht so, dass wir kaum darauf warten können, wegzugehen. Ich habe die Zeit mit den Kameraden sehr genossen, wir haben häufig auch abends viele Sachen zusammen unternommen. Gut die Hälfte von unserem Zug hat sich übrigens dafür entschieden, länger zu bleiben.

sueddeutsche.de: Und Sie? Würden Sie auch freiwillig zur Bundeswehr gehen?

El Din: Im August 2010, als ich meinen Einberufungsbescheid erhalten habe, hätte ich diese Frage mit "nein" beantwortet. Ich wusste nichts von der Bundeswehr und hielt das für einen zu großen Aufwand. Aber jetzt, nach den sechs Monaten in der Kaserne, habe ich schon überlegt, länger zu bleiben. Ich kenne mich hier drinnen aus, alles hat seine Ordnung, die Sachen laufen anders. Es wäre kein Problem für mich, noch ein Jahr länger zu bleiben. Aber ich habe andere Pläne.

sueddeutsche.de: Welche?

El Din: Vielleicht gehe ich mit meinem Vater nach Ägypten, um dort an unserem Projekt weiterzuarbeiten. Bei meinem Maschinenbaustudium in London habe ich gelernt, Wasser mit Hilfe von Solarenergie zu entsalzen. In Ägypten gibt es vor allem am Roten Meer Wassermangel, unsere Idee war, dort eine solche Maschine aufzubauen. Ich könnte mir aber auch vorstellen, erst einmal die Dinge in Berlin auf mich zukommen zu lassen und hier weiterzustudieren.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: