Deutschland:Zahl der Flüchtlinge auf Höchststand

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Berlin muss die Prognose für 2015 stark nach oben korrigieren. Bis zu 750000 Menschen könnten Asyl beantragen.

Von Jan Bielicki, M ünchen

In Deutschland werden in diesem Jahr voraussichtlich so viele Menschen Asyl beantragen wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) will an diesem Mittwoch eine neue Flüchtlingsprognose vorstellen. Bereits zuvor hatte er angekündigt, dass die darin genannte Zahl "erheblich höher sein wird, als wir sie bisher geschätzt haben". Laut einem Bericht des Handelsblatts, das sich auf Regierungskreise beruft, erwartet die Bundesregierung in diesem Jahr mindestens 650 000, womöglich sogar 750 000 Asylbewerber.

Auch SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sprach am Dienstag von 700 000 bis 800 000 Flüchtlingen.

Noch im Mai hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) mit 450 000 Asylsuchenden gerechnet. Schon das wären mehr als doppelt so viele Antragsteller wie im Jahr zuvor. Der bisherige Höchststand stammt aus dem Jahr 1992. Damals registrierten die Behörden 438 191 Asylbewerber, die zumeist aus den Bürgerkriegsgebieten des zerfallenden Jugoslawien und aus den Armutsstaaten Südosteuropas geflohen waren. Ein Jahr später änderte der Bundestag das Grundgesetz und schränkte das bis dahin geltende Grundrecht auf Asyl stark ein. In der Folge sanken die Flüchtlingszahlen, bis sie 2008 mit 28 000 einen Tiefstand erreichten. Seither wachsen sie wieder, zuletzt rasant.

Im ersten Halbjahr 2015 zählte das Bamf bereits etwa 180 000 Asylbewerber, fast die Hälfte von ihnen sind Bürger der sechs Nicht-EU-Länder Südosteuropas. Zuletzt beschleunigte sich der Zuzug noch einmal stark. Allein im Juli kamen fast 80 000 Asylsuchende ins Land - vor allem aus den Bürgerkriegsländern Syrien, Irak und Afghanistan. Flüchtlinge aus diesen Staaten erreichen derzeit in Rekordzahlen Europa. Allein im Juli seien an den Außengrenzen der EU 107 500 Migranten entdeckt worden, dreimal so viele wie im gleichen Monat des Vorjahres, teilte die europäische Grenzschutzagentur Frontex am Dienstag mit. Insgesamt zählte Frontex in diesem Jahr 340 000 Flüchtlinge an den EU-Grenzen, 60 000 mehr als im Gesamtjahr 2014. Der größte Teil von ihnen kommt derzeit über die sogenannte Balkanroute nach Europa. Allein in der vorigen Woche erreichten fast 21 000 Flüchtlinge über die Ägäis Griechenland, wie das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge am Dienstag mitteilte. Schon im Juli waren demnach etwa 50 000 Menschen auf den nahe der Türkei gelegenen Inseln Griechenlands gelandet, mehr als im ganzen Jahr 2014. 80 Prozent von ihnen waren Syrer. Die meisten dieser Flüchtlinge versuchen, via Mazedonien, Serbien und Ungarn nach Mitteleuropa zu gelangen. Deutschland schickt Asylbewerber, die auf diesem Weg hierher kommen, nicht mehr nach Griechenland zurück. Zwar wäre das Land laut den europäischen Dublin-Regeln für die Asylverfahren zuständig, aber deutsche und europäische Gerichte sehen Asylsuchende dort der Gefahr unmenschlicher Behandlung ausgesetzt. Italien entdeckte nach Frontex-Angaben im Juli 20 000 Flüchtlinge auf der gefährlichen Fahrt übers Mittelmeer.

© SZ vom 19.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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