Deutschland:Verzweiflungstäter

Beim Sondergipfel Anfang März will Angela Merkel Erfolge in der Asylpolitik erzielen - doch selbst Vertraute werden nervös.

Von Constanze von Bullion

Es will kein Frieden einkehren in der Union. Und wer meinte, nach dem Gipfel in Brüssel werde mehr Klarheit herrschen über den Flüchtlingskurs der Kanzlerin, wurde am Wochenende eines Besseren belehrt. Weder musste Angela Merkel einen Offenbarungseid leisten und zugeben, dass ihre Suche nach einer europäischen Lösung der Flüchtlingsfrage gescheitert ist, weil Bündnisgenossen fehlen. Noch zeichnet sich ab, wie es weitergehen soll, auch in Merkels eigener Partei. Dafür werden, wenige Wochen vor den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, nun die CDU-Spitzenkandidaten nervös.

Die Kanzlerin war kaum aus Brüssel heimgekehrt, da meldet sich die rheinland-pfälzische CDU-Spitzenkandidatin Julia Klöckner mit einer langen Erklärung zu Wort, die auch der baden-württembergischen Spitzenkandidat Guido Wolf unterzeichnet hatte. Klöckner, die als Initiatorin des Schreibens gilt, hielt fest, es sei "eine Frage des gesunden Menschenverstands", den Flüchtlingsstrom entschlossener zu steuern und "tagesaktuelle Kontingente aus Grenzzentren und Hotspots" einzuführen. "Wir brauchen vorgelagerte Erstaufnahmeeinrichtungen in Grenznähe, die auch als Wartezonen dienen", heißt es weiter in dem Schreiben. "Ohne Asylgrund oder Schutzstatus sollte niemand mehr in unser Land einreisen dürfen". Nötig seien hier auch deutlichere Signale in die Herkunftsländer hinein. "All diese Schritte können wir ohne Verzögerung national angehen, wenn möglich natürlich auch zusammen mit anderen europäischen Ländern, auch mit Österreich."

Die Erklärung, die offenbar schon in Erwartung eines Scheiterns des Brüsseler Gipfels in der Flüchtlingsfrage verfasst worden war, vermeidet zwar direkte Kritik an Angela Merkel, die "vehement um Solidarität innerhalb der EU" werbe. Der Verweis auf mögliche nationale Alleingänge aber geht deutlicher noch als bisher auf Distanz zum Kurs der Parteichefin. Ins Schussfeld geraten in dem Schreiben aber auch SPD-Politiker, die zwar Entschlossenheit und Tempo forderten: "Selbst liefern sie das genaue Gegenteil: Verzögerungstaktik, Blockade von Entscheidungen und keinen einzigen Lösungsvorschlag."

Der Ton des Papiers von Julia Klöckner ist so scharf, dass einige auf Distanz gehen

Der Ton des Schreibens hat Sachsen-Anhalts Ministerpräsidenten Reiner Haseloff (CDU) veranlasst, die Erklärung nicht zu unterschreiben. Auch Haseloff gehört zu den Merkel-Kritikern in der CDU, die warnen, mehr Flüchtlinge ins Land zu holen als integrierbar wären. Dass das jüngste Klöckner-Papier die SPD in so scharfem Ton für Defizite der Flüchtlingspolitik verantwortlich macht, ging Haseloff aber zu weit. Man regiere in Sachsen-Anhalt harmonisch mit der SPD, und dabei solle es nach der Landtagswahl bleiben, hieß es in der Magdeburger Staatskanzlei. Deshalb trage Haseloff die Erklärung nicht mit. Die Flüchtlingsfrage aber sehe er wie Klöckner. Die europäische Lösung, für welche die Bundeskanzlerin kämpfe, liege "außer Sichtweite", so der Ministerpräsident. Könnten die EU-Außengrenzen nicht wirksam geschützt werden, "müssen wir zu nationalen Handlungsoptionen übergehen".

Der Druck auf Merkel also bleibt hoch, auch wenn ihr am Wochenende Getreue zur Seite sprangen. Flüchtlingskoordinator Peter Altmaier (CDU) kündigte an, den bisherigen Kurs fortzusetzen. "Wir können in absehbarer Zeit mit der Türkei und Griechenland an den Außengrenzen erfolgreich sein", sagte er der Welt am Sonntag. Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) wertete den EU-Gipfel als wichtiges Signal, dass die Europäische Union schwierige Entscheidungen wie den Kompromiss zum Verbleib Großbritanniens in der Union und die Forderung nach Schutzzonen in Syrien fällen könne. "Das gibt Hoffnung für die weitere Behandlung der Flüchtlingskrise in den nächsten Wochen", sagte er der Deutschen Presseagentur.

Nicht mit ins Boot der Merkel-Kritiker wollte sich auch CDU-Finanzstaatssekretär Jens Spahn nehmen lassen. Er wies einen Bericht zurück, wonach er an einem Treffen junger Unionspolitiker gegen die Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin teilgenommen habe. Das Treffen sei lange geplant gewesen, man wolle nur die Zukunft Europas aus verschiedenen "Blinkwinkeln" betrachten, sagte er der Nachrichtenagentur Reuters. Jede andere Deutung des Treffens sei " mit Verlaub - bullshit".

Immerhin, bei allem Streit in den eigenen Reihen konnte Merkel ihren Kritikern ein kleines Mitbringsel aus Brüssel präsentieren. Sie will die vom britischen Premier David Cameron durchgesetzte Neuregelung des Kindergeldes für EU-Ausländer auch in der Bundesrepublik einführen. "Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass wir das auch umsetzen für Deutschland", sagte Merkel. Künftig sollen EU-Staaten nicht mehr verpflichtet sein, Kindern von EU-Ausländern Kindergeld nach dem Regelsatz ihres Landes zu zahlen, wenn diese noch in ihrem Herkunftsland leben. Dort fallen die Hilfen oft deutlich geringer aus. Künftig soll sich das Kindergeld am Herkunftsland orientieren. Das SPD-geführte Bundesfamilienministerium begrüßte die Pläne.

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