Deutschland und seine Politiker:Makel der Provinz

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Keiner verkörpert das Provinzielle in der Politik besser als SPD-Chef Beck. Ihn deswegen als tumben Tor abzustempeln, wäre aber ein Fehler. Die Provinz hat auch Positives zu bieten.

Peter Fahrenholz

Die Frage ist zwar rein theoretisch, aber trotzdem reizvoll: Würde Kurt Beck politisch genauso katastrophal dastehen, wenn er nicht wie Kurt Beck daherkäme? Wenn er nicht diesen Haarschnitt hätte, der an die "Vokuhila"-Frisuren der 80er Jahre erinnert?

80er-Jahre-Frisur, Fransenbart und pfälzischer Singsang: der SPD-Vorsitzende Kurt Beck verkörpert die Provinz. (Foto: Foto: ddp)

Oder diesen fransigen Bart, der kein richtiger Vollbart ist, aber erst recht kein cooler Dreitagebart, wie er in den Metropolen dieser Welt getragen wird? Und nicht diesen pfälzischen Singsang sprechen würde, sondern eine elegante, städtische Erscheinung wäre, sagen wir: wie Ole von Beust? Die Antwort: Strahlend stünde Beck auch dann nicht da, aber so am Boden läge er nicht.

Ein Spitzenplatz für Beck in den Politiker-Rankings ist angesichts der objektiven Umstände so gut wie ausgeschlossen. Sein Job als SPD-Vorsitzender ist das größte Himmelfahrtskommando, das die deutsche Politik derzeit zu vergeben hat. Jeder andere an Becks Stelle stünde vor den gleichen Problemen. Wie will man eine Partei erfolgreich führen, die mit sich selber nicht im Reinen ist?

Politikmache im Aufblasen von Randerscheinungen

Hinzu kommen die politischen Fehler, die Beck gemacht hat. Der Umgang mit der Linkspartei, das Lavieren bei der Frage eines eigenen Präsidentschaftskandidaten, und so fort. In dieser Lage kann einer nicht damit rechnen, in Umfragen oder Medien gut dazustehen. Damit muss Beck leben, so ist das politische Geschäft, in Berlin, Mainz oder sonst wo.

Womit Beck hingegen nicht leben muss (und offenbar auch nicht länger leben will), ist die verächtliche Weise, in der er als tumber Tor aus der Provinz abgemeiert wird, der die Spielregeln der vermeintlich großen Politik einfach nicht begreifen will. Dabei bestehen diese Spielregeln zum großen Teil im Aufblasen von politischen Randaspekten.

Im hysterisch aufgeladenen Klima Berlins kann eine Kleinigkeit aus irgendeiner Hintergrundrunde den politischen Betrieb einen Tag lang in Atem halten - bis die nächste Petitesse in die Schlagzeilen drängt. Dessen ungeachtet sieht die politische Klasse der Hauptstadt auf einen wie Beck herab, einschließlich der Hauptstadtjournalisten, von denen viele selber aus der Provinz kommen oder für Provinzblätter arbeiten.

Die Provinz hat auch positive Seiten

Dieser kollektive Dünkel wirft die Frage auf, welche Sorte von Politikern eigentlich den Ton angeben sollte. Populisten vom Schlage Lafontaines, smarte, aber inhaltsarme Selbstverkäufer à la Wowereit, Opportunisten wie Jürgen Rüttgers, Lavierer wie Angela Merkel oder Gremienspinnen wie Andrea Nahles, die Mehrheiten in Vorständen und auf Parteitagen organisieren können? Muss nicht, vor allem bei den großen Volksparteien, immer auch ein kräftiger Schuss Provinz dabei sein?

Provinz, das bedeutet eben nicht nur Biederkeit und schlechtsitzende Anzüge, sondern, im positiven Fall, mehr Bodenständigkeit und ein Gespür dafür, was den Menschen zuzumuten ist und was nicht. Franz Müntefering hat als SPD-Chef seinen Sauerländer Hausverstand geradezu zu seinem Markenzeichen gemacht. Seine Partei ist damit nicht schlecht gefahren.

Auf der nächsten Seite lesen Sie, warum die Politik die Provinz nicht unterschätzen sollte.

Politisch ist die Verächtlichmachung der Provinz ohnehin nicht nachvollziehbar. Wer mit dem Zug durch Deutschland fährt und die vielen kleinen Orte an sich vorüberziehen lässt, die Häuschen mit den Eternitverkleidungen und den aufgeräumten Gärten, in denen der Gartenzwerg keineswegs ausgestorben ist, der ahnt: Deutschland, das ist vor allem Provinz. Dort muss gewinnen, wer in Berlin regieren will.

Volksverbundenheit gehört dazu: Kurt Beck samt Sieben-Liter-Weinglas in Speyer (Archiv). (Foto: Foto: ddp)

Einer hat das schon vor mehr 25 Jahren erkannt und ist damit 16 Jahre lang Kanzler geblieben. Wer die Mobbing-Kampagne gegen Beck für einzigartig hält, hat vergessen, was über Helmut Kohl alles geschrieben worden ist. Selbst beim Sturz der sozialliberalen Regierung 1982 - Kohl war zu diesem Zeitpunkt schon sechs Jahre lang Oppositionsführer in Bonn - galt es für viele als undenkbar, dass dieser Provinzler Kanzler werden könnte.

Beck hat bewiesen, dass er Wahlen gewinnen kann

Der Spiegel hatte schon den Titel in der Schublade: "Kohl gescheitert - Birne darf nicht Kanzler werden". Birne war damals der Schmäh-Name für Kohl. Er ist später rasch verschwunden, nicht nur, weil sich Kohl, rein figürlich, immer mehr ins Buddha-mäßige entwickelte. Sondern weil es irgendwann lächerlich geworden war, ihn auf diese Weise lächerlich machen zu wollen.

Becks Lage ist in vielfacher Hinsicht nicht mit der des frühen Kohl vergleichbar - sie ist weit unkomfortabler. Kohl hatte damals die konservativen Medien hinter sich, die froh waren, dass endlich wieder die CDU regierte. Sein Nervenkostüm war wesentlich robuster. Und er stand einer Partei vor, die nicht an der Macht leidet, wie die SPD, sondern sie als ihr selbstverständliches Recht ansieht.

In der SPD dagegen hat immer das Intellektuelle gezählt, das Beck nicht verkörpert. Trotzdem muss sie sich ihres Vorsitzenden nicht genieren. Anders als viele Möchtegern-Strategen hat Beck schon bewiesen, dass er Wahlen gewinnen kann. Und es ist in der gesamten SPD-Führungsriege niemand erkennbar, der die Partei in ihrer schwierigen Lage besser zusammenhalten könnte. Gewiss, Beck hat viele Fehler gemacht. Dass er aus der Provinz kommt und sich für den Berliner Betrieb nicht verbiegen möchte, gehört nicht dazu.

© SZ vom 8.7.2008/dgr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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