Deutschland und Russland:So nah und doch so fern

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Der sowjetische Ministerpräsident Bulganin und Bundeskanzler Adenauer (rechts) vereinbaren 1955 die Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Im Gegenzug durften die letzten deutschen Kriegsgefangenen nach Hause. (Foto: DPA)

Seelen­verwandtschaft und Waffenbrüderschaft, Verzückung und Hass - ein Wechselspiel über Jahrhunderte: Katja Gloger beschreibt das besondere Verhältnis von Deutschen und Russen.

Rezension von Renate Nimtz-Köster

Beim Grübeln über die deutsch-russischen Beziehungen kam Karel Schwarzenberg, ehemals tschechischer Außenminister, unlängst auf einen ganz besonderen Vergleich: Es handele sich "eigentlich um das sadomasochistischste Liebesverhältnis der Weltpolitik". Es gebe da eine "tiefe, gegenseitige Faszination, obwohl man beiderseitig versucht hat, sich umzubringen".

Was diese Anziehungskraft über die Jahrhunderte ausgemacht hat, wie die Geschichte der Deutschen und Russen eng verwoben und tragisch verknotet ist, erzählt Russland-Expertin und Stern-Autorin Katja Gloger: "Fremde Freunde" ist unter den schwergewichtigen Russland- und Revolutionsbüchern des Jubiläumsjahres eine leichtere, dabei durchaus substanzielle Lektüre: Unverblümte Analyse einer, die mit maßgeblichen Staatsmännern wie Gorbatschow ebenso zusammengesessen hat wie mit Historikern und Überlebenden von Vernichtungskrieg und Verfolgung.

Gleichzeitig gelingen Gloger packend geraffte Streifzüge durch die Epochen der Geschichte, im Blick stets die Gemeinsamkeiten, ebenso die erstaunliche Kontinuität bis in die jüngste Zeit.

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Zusammengestellt von Luca Deutschländer und Oliver Das Gupta

"Ich kann meine Grenzen nur verteidigen, indem ich sie ausdehne", erklärte einst die aus Anhalt-Zerbst stammende Katharina die Große: Die imperiale Herrscherin vollendete Russlands Expansion nach Süden, bis auf die von Tataren beherrschte Krim. Das historische Leitmotiv russischer Außenpolitik klang noch gut 200 Jahre später an, schreibt Gloger - bei der Annexion der Krim durch Wladimir Putin.

Alles war möglich im Verhältnis der beiden Völker: Seelenverwandtschaften und Waffenbrüderschaft, Verzückung, Hass, ja Phobie. Der frühen Annäherung durch Fernhändler und Reisende im "Land der wilden Moskowiter" folgten wechselvolle Verhältnisse: Im Dienste des Radikalreformers Peter des Großen machten sich Deutsche unentbehrlich, ebenso als Staatsdiener des erzkonservativen Preußenverehrers Nikolaus I.

Marx sah in Russland eine "halbasiatischen Despotie"

"Russifizierte Deutsche" dienten damals dem Zaren, "germanisierte Russen" hingegen trugen schon das Virus der Revolution in sich. Als "halbasiatische Despotie" sah damals Karl Marx Russland, Friedrich Engels sprach von "bewaffneten Barbaren, die nur darauf warteten, über Deutschland herzufallen". Erst wenige Jahre vor seinem Tod entwickelte Marx eine "widerwillige Affinität" zum künftigen Zentrum der Weltrevolution.

Den deutschen Blick jener Zeit nach Osten fasste Heinrich Heine in Verse: "Russland, dieses schöne Reich,/Würde mir vielleicht behagen,/Doch im Winter könnte ich/dort die Knute nicht ertragen."

Ihre russische Sicht auf Deutschland besang später die Poetin Marina Zwetajewa: "... wo du doch, Deutschland, meine Liebe/wo du doch, Deutschland, bist mein Wahn": So reimte sie noch im Kriegsjahr 1915 über ihr Deutschland.

"Ist nicht der Russe der menschlichste Mensch?", fragte schwärmerisch Thomas Mann in seinen "Betrachtungen eines Unpolitischen". "Heimat und Himmel" war Russland für Rilke geworden, dem das fromme Land aus vormoderner Zeit in seiner Ursprünglichkeit ein Paradies zu sein schien. Der Zauberspiegel, in dem sich Russen und Deutsche entdeckten, sei aber immer auch zum "Zerrspiegel" geworden, so die Autorin.

Wie schon der Historiker Gerd Koenen räumt Gloger auf mit dem Mythos, der die Realität verdrängte und sich in der Weimarer Republik zum wahren "Russlandfieber" und zur "Erfindung der russischen Seele" auswuchs: "So intensiv, so gefühlsbesessen wie mit Russland und der Sowjetunion, diesem ,Land der roten Zaren' beschäftigte man sich in Deutschland wie in keinem anderen Land."

In einem "teilweise wahnhaft anmutenden Dostojewski-Kult" hätten die Deutschen "diese schicksalhafte russische Geistigkeit" entdeckt, die, zusammen mit dem russischen "Märtyrertum" ja angeblich auch das Wesen deutscher Kultur ausgemacht habe.

"Unversöhnlichkeit und Konfrontation" als neue Realität

Vielerlei scharfsichtige Betrachtungen bietet Glogers russisch-deutsche Gesamtschau im Umgang mit der jüngsten Geschichte. Nach der Wiedervereinigung habe auf deutscher Seite "Wille und Expertise für eine neue Ostpolitik gefehlt, die strategische Interessen der EU mit langfristiger, geduldiger, demokratischer und ökonomischer Aufbauhilfe für Russland verbunden hätte". Gloger: "Offenbar verwechselte man die Männerfreundschaft Schröder-Putin und die beiden umstrittenen Nord-Stream-Pipeline-Geschäfte mit Russlandpolitik."

Die neue Realität sind nun, 2017, "Unversöhnlichkeit und Konfrontation". Schon lange vor dem Ukraine-Konflikt "positionierte sich die russische Führung als Träger eines neuen, zunehmend nationalistischen Konservativismus". Mit der Orthodoxie im Bunde, fühle Putin sich dem dekadenten Westen und damit auch Deutschland moralisch überlegen. Die Abkehr von der "amerikanischen Welt" habe Putin 2007 mit seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz eingeläutet. "Russland verlässt den Westen", habe es schon damals in Moskau geheißen.

Der von Außenminister Frank-Walter Steinmeier erfundene "Doppelte Dialog" sei jedoch "laute Sprachlosigkeit" geblieben. "Semantische Leerstellen" wie Steinmeiers Ermunterung, Deutsche und Russen müssten wieder lernen, einander zu lesen, hätten seinen "abgebrühten Amtskollegen Lawrow" kaum begeistert.

Katja Gloger: Fremde Freunde. Deutsche und Russen. Die Geschichte einer schicksalhaften Beziehung. Berlin Verlag, Berlin 2017, 560 Seiten, 28 Euro. E-Book: 19,99 Euro. (Foto: Piper Verlag)

Putins Haltung sei inzwischen: "Ihr könnt mich mal." Doch auch im vierten Jahr nach der Annexion der Krim und im 18. Jahr seiner Herrschaft könnten sich viele Deutsche nicht zu einem nüchternen Umgang mit Putin und seiner Politik durchringen: "Wer Putin kritisiert, diese ungeheuerliche Kleptokratie, dem wird Missachtung Russlands, Dämonisierung und Kriegstreiberei unterstellt." Nach Glogers Einschätzung wird sich der russische Sonderweg als Irrweg herausstellen, "denn er hat den Menschen im Land keine Zukunft anzubieten".

Übersehen werde oft, dass zu den schärfsten Kritikern des Systems Putin die besten Russland-Kenner gehörten, dem Land oft in jahrzehntelanger Sympathie verbunden. Dazu zählt auch die Autorin selbst, deren 2015 erschienenes Buch "Putins Welt" hoch gelobt wurde.

Verbunden ist sie Russland derart, dass sie in Widmung und Vorwort selber in das von ihr belächelte Schwärmen verfällt - der "russischen Seele", den "wunderbaren Menschen" und dem "wunderbaren Land" widmet sie gleich mehrfach ihr "Herz". Wohl dem Leser, der darüber hinwegblicken kann und in die sehr lohnende Lektüre einsteigt. Ein Tadel dem Verlag, der seiner Autorin durch nachlässiges Lektorat die ersten Seiten vermasselt.

Renate Nimtz-Köster hat Romanistik und Slawistik studiert. Sie ist freie Wissenschaftsjournalistin.

© SZ vom 13.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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