Deutschland und Polen:Die Zukunft hat schon begonnen

1939 fiel Deutschland über Polen her, der Beginn dunkler Jahre in Europa. Heute sind die Länder Partner.

R. Sikorski und F.-W. Steinmeier

Radoslaw Sikorski ist Außenminister von Polen, Frank-Walter Steinmeier deutscher Außenminister.

Deutschland und Polen: Gedenkfeier zum Kriegsbeginn vor siebzig Jahren in Polen.

Gedenkfeier zum Kriegsbeginn vor siebzig Jahren in Polen.

(Foto: Foto: AFP)

Heute vor 70 Jahren, am frühen Morgen des 1. September, fielen deutsche Bomben auf das kleine polnische Grenzstädtchen Wielun. Mindestens 1200 Polen starben - die ersten unschuldigen Opfer des Zweiten Weltkrieges. Zur gleichen Zeit nahm eine kleine Schar polnischer Soldaten auf der Westerplatte den ungleichen und heldenhaften Kampf gegen die Nazi-Aggressoren auf. Ihr Mut wurde zum Sinnbild des unbeugsamen Kampfes der Polen um ihre Unabhängigkeit.

Der deutsche Angriff war der Beginn eines verbrecherischen Krieges, einer europäischen Katastrophe. Über fünf Jahre sollte er wüten. Dunkle Jahre, in denen Nazi-Deutschland Tod und Grauen über ganz Europa brachte.

Dieser Krieg wurde bezahlt mit dem größten Opfer an Menschen und Zerstörung, das die Europäer je gebracht hatten. Deshalb hat sich dieses Datum ins europäische Gedächtnis eingebrannt. Wer heute zurückblickt auf jenen 1.September 1939, kann nicht anders als zutiefst erschrecken. Zugleich schärft es unser Bewusstsein, wie kostbar die Friedensordnung ist, die wir in den 60 Jahren nach Ende des Krieges in Europa gebaut haben.

In ihrer verbrecherischen Verblendung wollten die nationalsozialistischen Urheber des Krieges eine neue Epoche der europäischen Geschichte herbeiführen. Es ist ihnen gelungen - allerdings zum Glück in ganz entgegengesetzter Weise. Sie hatten Europa, so schien es, vernichtet - aber damit den Willen und den Mut der Europäer zur Selbsterneuerung ihrer Zivilisation herausgefordert. Das Grauen dieses Krieges mahnte unsere Völker, die europäische Einigung zu suchen und damit den Frieden dauerhaft zu verankern.

Für Deutschland und Polen erwuchs aus dem ersten September 1939 und seinen Folgen eine historische Aufgabe von besonderem Gewicht. Verbunden in einer schrecklichen Erinnerung mussten beide Völker einen neuen Weg zueinander finden, zu Aussöhnung und gemeinsamer Zukunft. Heute sind wir auf diesem Weg weit vorangekommen.

Möglich wurde das, weil Deutschland sich seiner historischen Verantwortung gestellt hat. Und auch Polen hat über die schrecklichen Erfahrungen des Krieges hinweg den Weg für eine gemeinsame Zukunft geöffnet. Polnische Versöhnungsbereitschaft war die großzügige Antwort auf die deutsche Anerkennung der Schuld und Verantwortung. Wir verneigen uns heute gemeinsam vor den Opfern. Und wir zollen allen Menschen Respekt und Bewunderung, die uns den Weg zu einem neuen Miteinander ermöglicht haben.

Wir gehen nicht über die Wunden hinweg, die der Krieg geschlagen hat. Aber wir begrüßen den zupackenden Willen, mit dem beide Völker und Regierungen seit Jahren erfolgreich miteinander arbeiten. Unvergessen ist die Geste Willy Brandts, sind die Zeichen der Versöhnung aus Polen, das Wort der katholischen Bischöfe Polens. Aus Anlass des Jahrestags des Kriegsbeginns haben sie es gemeinsam mit ihren deutschen Kollegen noch einmal bekräftigt und auf die Perspektive für Geschichtsaufarbeitung und Zusammenarbeit hingewiesen.

Unvergessen ist der Mut des polnischen Volkes auf dem Weg zu gesamteuropäischer Freiheit. Ohne Solidarnosc wäre die friedliche Revolution in der DDR nicht möglich gewesen.

Heute ist Polen frei, und Deutschland wiedervereinigt. Heute hat die gemeinsame Zukunft schon begonnen. Junge Deutsche und Polen begegnen sich heute so oft und so freundschaftlich wie nie zuvor. Das Deutsch-Polnische Jugendwerk hat fast zwei Millionen deutsche und polnische Jugendliche zusammengebracht. Es gibt 600 deutsch-polnische Städtepartnerschaften, ungezählt sind die Schulpartnerschaften. Und jedes Jahr werden über 7000 deutsch-polnische Ehen geschlossen. Diese Zahlen sprechen für sich, wie auch die intensiven Handels- und Wirtschaftsbeziehungen und die sehr gute Zusammenarbeit in vielen anderen Bereichen bis hin zu militärischer Zusammenarbeit im Rahmen des Multinationalen Korps Nord-Ost.

Kein Zweifel, wo sich vor siebzig Jahren eine klaffende Wunde auftat, wächst heute Europa sichtbar zusammen. Die Grenzen sind offen, Polen in Deutschland und Deutsche in Polen sind längst eine Selbstverständlichkeit. Alte Klischees und Vorbehalte verblassen. Die überwiegende Mehrheit von Polen und Deutschen sehen einander heute ohne Vorbelastung, viele begegnen sich als Kollegen oder als Nachbarn. Langsam, aber stetig ist der Boden für eine gemeinsame Zukunft gewachsen.

Trotz einer schmerzlichen Vergangenheit fanden beide Völker den Mut zur Verständigung, Versöhnung und Freundschaft. Unsere Aufgabe ist es, diese Freundschaft jeden Tag aufs Neue mit Leben zu erfüllen. Das heißt auch, die Erinnerung wachzuhalten. Wir meinen: Die Geschichte Polens und Deutschlands kann anderen Völkern und Staaten, die durch ihre Vergangenheit und Erinnerung gespalten sind, als ein gutes Beispiel dienen.

Polen und Deutschland - Verbündete und Partner in der EU und in der Nato - verfolgen dieselben grundlegenden Interessen und Ziele. Gefährdungen und

Herausforderungen begegnen wir heute gemeinsam. Und gemeinsam erinnern wir uns daran, was am 1. September 1939 geschah - damit es sich nie mehr wiederholt.

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