Deutschland:Merkels gebundene Hände

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"Ein guter Europäer ist nicht der, der eine Einigung um jeden Preis sucht": Bundeskanzlerin Angela Merkel am Mittwoch im Bundestag. (Foto: Markus Schreiber/AP)

Die Kanzlerin gibt sich im Bundestag demonstrativ gelassen. Dafür attackiert Finanzminister Schäuble die Regierung in Athen umso schärfer.

Von Cerstin Gammelin

Am Mittwoch machten sich Regierung und Opposition im Bundestag die Mühe, die griechische Krise neu zu vermessen. Beurteilt an dem, was beide Seiten vortrugen und sich zuweilen um die Ohren schlugen, ist die Ausdehnung der Krise weit vorangeschritten. Sie ist sozusagen im Bundestag angekommen, wo man wegen der im Stundentakt eintreffenden und oft unstimmigen neuen Nachrichten aus Athen nicht mehr ganz sicher sein kann, ob der Prozess, der da gerade abläuft, überhaupt noch irgendwie zu steuern ist - und wer woran schuld ist. Das ist besonders wichtig in diesen Tagen, da jeder eine mögliche Mitschuld an der Katastrophe in Athen dem jeweils anderen zuspielen will.

Für neue Verhandlungen brauche sie ein Mandat des Parlaments, sagt die Kanzlerin

Bundeskanzlerin Angela Merkel jedenfalls ließ keinen Zweifel offen, wen sie für schuldig befindet, nämlich die Regierung in Athen, die an den europäischen Werten rüttele. Sie bemühte sich aber, keinerlei schnelle Konsequenzen aus dieser Feststellung zu ziehen. Denn genau dies ist verminte Geländes. Was ihr, anders als Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD), weitgehend gelang. Bevor weiter über Zahlen und Geld gesprochen werde, sagte Merkel, müsse an die Bürger in Griechenland gedacht werden, die schwere Tage erlebt hätten und "es liegen weitere vor ihnen". Nach dem Exkurs zu den notleidenden Bürgern nahm Merkel Anlauf, um die Pläne der Regierung zu erläutern. "Wir warten das Referendum ab. Vorher kann kein neues Programm verhandelt werden." Und außerdem: Auch wenn sie wollte, könnte sie noch gar nicht verhandeln, weil sie dazu ein Mandat des Bundestages benötigen würde. So sehen es die Regeln des Euro-Rettungsfonds ESM vor, der für weitere Finanzhilfen genutzt werden könnte. Dass Merkel diesen Hinweis auf ihre noch gebundenen Hände so explizit vortrug, lag womöglich an einem Abwesenden. Frankreichs Staatspräsident François Hollande hatte in der heiklen Frage, wie es im Chaos um Griechenland weitergehen solle, in Lyon gerade eine andere Meinung als die Kanzlerin in Berlin vorgetragen. Er forderte, angesichts der unkontrollierbaren Ereignisse sofort, ohne ein Referendum abzuwarten, über weitere Hilfe aus dem ESM zu verhandeln. Jedes Warten, sagte Hollande, vergrößere die Gefahr, in ein Loch zu fallen. Die an das Bundestagsmandat gebundene Merkel stellte die Lage geradezu gegensätzlich dar: "Wir können in Ruhe abwarten. Europa ist stark", sagte die Kanzlerin. Anders als Hollande machte Merkel in einem Nebensatz deutlich, wo ihre roten Linien liegen, um eine Einigung mit Griechenland zu finden. Europa zeichne sich dadurch aus, dass es fähig sei, Kompromisse zufinden. "Kompromisse, bei denen die Vorteile die Nachteile überwiegen." Sie werde also keinen Kompromiss um jeden Preis schließen. Konkret bezogen auf Griechenland heißt das, dass sie gewillt ist, Athen ein Stück weit entgegenzukommen. Aber nur so weit, wie es möglich ist, ohne dass die Euro-Zone insgesamt lädiert werden könnte. Wenn der Preis für die Befriedung also sein sollte, dass Länder wie Spanien, Portugal oder Italien sich von der Währungsunion absetzen könnten, dann werde sie nicht zahlen. "Wir brauchen Kompromisse, bei denen die Währungsunion keinen Schaden nimmt."

Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sagte später das, was Merkel verschwiegen hatte, nämlich, dass er einen Regierungswechsel in Athen für nötig erachte, um überhaupt wieder ernsthaft zu verhandeln. Die jetzige Regierung agiere "ohne Sinn und Verstand", sagte er. Es sei außergewöhnlich schwierig, einen Weg zu finden. "Für eine tragfähige Lösung brauchen wir eine neue Grundlage für neues Vertrauen. Sonst zerstören wir mehr als wir gewinnen." Schäuble war sich nicht nur mit seiner Chefin einig. Er bestätigte indirekt auch Oppositionsführer Gregor Gysi von den Linken, der Merkel zuvor vorgeworfen hatte, ihr gehe es nicht um Geld, "sondern darum, die linke Regierung in Griechenland zu beseitigen". Gysi griff die Rettungspolitik der Bundesregierung heftig an. Er warf ihr vor, alle Schuld für die jetzige Katastrophe nach Athen abschieben zu wollen. "Sie sagen, die griechische Regierung hat alles falsch gemacht. Sie selbst und die anderen haben alles richtig gemacht", sagte Gysi. Diese Art, "sich zu beweihräuchern, ist völlig daneben". Vizekanzler Gabriel habe ein "kurzes Gedächtnis", sagte Gysi. 2011, als die sozialdemokratische Pasok-Partei in Griechenland ein Referendum über das damals geschlossene zweite Rettungsprogramm abhalten wollte, sei Gabriel dafür gewesen. Jetzt, da die Linke ein Referendum angekündigt habe, sei es eine schlechte Idee. Gabriel wirkte persönlich angegriffen. "Wie man in die SPD hineinruft, so antwortet der Vorsitzende gelegentlich", sagte er.

Den mutigsten Vorschlag lieferte Anton Hofreiter ab, der Fraktionschef der Grünen. Er nahm das Wort "Umschuldung" in den Mund - das Berlin so scheut wie Athen das Wort Troika. "Wir brauchen ein Abkommen zur Umschuldung", sagte er, das fünf Jahre laufe und Bürgern und Investoren Mut und Zuversicht gebe. Und benannte die Verantwortlichen: Geben Sie sich einen Ruck, Frau Merkel und Herr Gabriel!

© SZ vom 02.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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