Neonazis im Parlament:Deutschland steht vor einer Reifeprüfung

Vor dem Tag der deutschen Einheit

Wenn die aktuellen Umfragen zutreffen, könnten 60 Abgeordnete der AfD im neuen Bundestag sitzen

(Foto: dpa)

Angela Merkels Flüchtlingspolitik hat die Republik verändert. Mit der AfD schicken sich nun Neonazis an, ins Parlament einzuziehen. Was bedeutet das für die deutsche Politik?

Von Heribert Prantl

Es ist nicht das erste Mal, dass eine Rechtsaußen-Partei Erfolg hat in der Bundesrepublik: Schon vor 48 Jahren verfehlte die NPD den Einzug in den Bundestag nur knapp; sie gewann 1969 in der alten Bundesrepublik knapp anderthalb Millionen Stimmen. Die Republikaner, die DVU und die Schill-Partei waren Jahrzehnte später erfolgreich; bei den Europawahlen 1989 wählten fast 15 Prozent der Bayern die Republikaner. Noch nie aber hatte eine der rechtspopulistischen und rechtsradikalen Parteien so viel Erfolg wie die AfD. Sie ist, nur vier Jahre nach ihrer Gründung, in 13 deutschen Landtagen vertreten; und sie wird nun, den Umfragen zufolge, mit womöglich zweistelliger Prozentzahl in den Bundestag gewählt werden. Das wären mindestens 60 Abgeordnete.

Unter den sehr aussichtsreichen Kandidaten sind Leute, die den Holocaust für einen "Mythos" halten, "den Schuldkult für endgültig beendet" erklären und den früheren US-Präsidenten Barack Obama als "Quotenneger" bezeichnen - Neonazis also. Zu den künftigen AfD-Abgeordneten wird auch Martin Hohmann gehören, der 2003 wegen antisemitischer Reden aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ausgeschlossen wurde. Andere künftige AfD-Abgeordnete halten engen Kontakt zu rechtsextremistischen Gruppen, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden.

Die AfD war ursprünglich, unter ihrem Mitgründer Bernd Lucke, als bürgerliche Anti-Euro-Partei angetreten. Lucke hat die Partei 2015 zusammen mit 2000 Mitgliedern des gemäßigten Flügels verlassen. Er gründete, erfolglos, eine neue Partei. Unter seiner Nachfolgerin Frauke Petry entwickelte sich die AfD zur Anti-Flüchtlings-Partei und fiel durch scharf antiislamische Töne auf. Seit dem AfD-Parteitag vom April 2016 werden die Kräfte in der AfD stärker, die die Partei als völkischen Kampfverband verstehen. Dazu wird auch der AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland gerechnet, der früher die Staatskanzlei des hessischen CDU-Ministerpräsidenten Walter Wallmann geleitet, sich dann radikalisiert hat und jetzt gegen die "Diktatorin Merkel" agitiert. Historiker und Parteienforscher sprechen seit Jahrzehnten von einem latent rechtsradikalen Potenzial in Deutschland von etwa 15 Prozent, das aber die Schwelle zur politischen Artikulation bisher nicht oder nur vorübergehend überschritten habe - bis zum Aufkommen der AfD. Man hatte sich daher zu Zeiten von NPD, Republikanern und DVU in einer Gewittertheorie eingerichtet, die besagte: Rechtsaußen-Parteien kommen von Zeit zu Zeit übers Land wie schlechtes Wetter. Dunkle Wolken ziehen auf, das Licht wird fahl, die Welt schaut bedrohlich aus, es donnert, blitzt und schüttet wie aus Kübeln. Aber das dauere, so die Gewitter-Theorie, nicht lange, dann klare es wieder auf.

Diese Theorie hat den Nachteil, dass sie nicht stimmt. Europaweit prallen heute, so wie in der Zwischenkriegszeit des 20. Jahrhunderts, demokratisch-liberale und autoritäre Politikvorstellungen aufeinander. In vielen Ländern sind Rechtsaußen-Parteien zu festen politischen Größen geworden. In Polen und Ungarn sind sie an der Regierung, in Österreich womöglich demnächst auch, dort wird am 15. Oktober gewählt. In Deutschland glaubte man bisher, dass das Rechtsaußen-Potenzial ohne charismatische Führungsfigur nicht aktiviert werden könne. Es zeigt sich nun am Beispiel der AfD, dass es diese Figur nicht braucht. In Deutschland werden Marine Le Pen oder Viktor Orbán durch "die Flüchtlinge" und "die Muslime" ersetzt. Die Entscheidung der Kanzlerin im Spätsommer 2015, die deutsche Grenze vor den muslimischen Flüchtlingen nicht zu verschließen, hat der AfD, die schon im Abwind war, wieder Auftrieb gegeben.

Eine noch härtere Asylpolitik dürfte der CSU Probleme mit den Kirchen bereiten

29 Jahre nach dem Tod von Franz Josef Strauß wird eine oft zitierte Losung des CSU-Vorsitzenden, die dieser erstmals 1986 ausgegeben hatte, von der Realität überholt. Sie lautet: "Es darf rechts von der Union keine demokratisch legitimierte Gruppierung von politischer Relevanz geben." Strauß hat das im Hinblick auf die Republikaner gesagt, die vier Jahre später bei der Landtagswahl in Bayern, geführt von Franz Schönhuber, einem nationalkonservativen Journalisten und ehemaligen Unterscharführer der Waffen-SS, 4,9 Prozent gewannen. Strauß kritisierte, dass die Wähler am rechten Rand seit der Regierungsübernahme durch Helmut Kohl vernachlässigt worden seien. Als Beleg galt der CSU auch die (weltweit gerühmte) Rede Richard von Weizsäckers zum 40. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai 1945, den der Bundespräsident als "Tag der Befreiung" bezeichnet hatte.

Die Strauß-Parole von 1986 führte erst jüngst wieder, im Flüchtlingsstreit, zu heftiger Auseinandersetzung zwischen Merkel und Horst Seehofer. Merkel hatte gesagt, das Strauß-Mantra gelte "nicht absolut", es dürfe nicht so verstanden werden, dass "Prinzipien relativiert werden", die "den Kern unserer Überzeugungen ausmachen". Seehofer erklärte daraufhin die Strauß-Losung zum "Stützpfeiler der Union", der nun "einsturzgefährdet" sei.

Die CSU ist hochnervös. Größere AfD- Erfolge am Sonntag auch in Bayern (dort wird 2018 der Landtag gewählt) könnten dazu führen, dass die CSU den Streit mit der CDU neu und noch heftiger als bisher entfacht - und stark nach rechts rückt. Dies läge auf der Linie von alten Strauß'schen Überlegungen, die sich mit einer Neuvermessung der Welt rechts von der Union befasst und des öfteren auch mit einer bundesweiten Ausdehnung der CSU geliebäugelt haben. Solche CSU-Strategien gab es 1976 (nach drei Wochen nahm die CSU den Kreuther Beschluss, sich von der CDU zu trennen, wieder zurück); dann in den Wendezeiten von 1990, als die CSU die in Leipzig gegründete DSU unterstützte. Diese rechtskonservative Partei, die schon mit ihrem Parteinamen CSU-Nähe suchte, degenerierte aber nach ersten Erfolgen zur Kleinpartei.

1969, als die NPD fast in den Bundestag gewählt wurde, brauchte die Union beim Versuch, Rechtsaußen wieder einzufangen, nicht wählerisch sein. Sie war es auch nicht, damals war sie im Bund in der Opposition. Ein CSU-Versuch, AfD-Positionen in die heutige Regierungspolitik zu übernehmen, hätte Grenzen, die auch der Parteiname markiert: Bei noch härterer Anti-Flüchtlingspolitik dürfte die CSU Probleme mit den Kirchen bekommen. Die große Frage der nächsten Jahre wird lauten: Wie gewinnt man die AfD-Wähler für die liberal-demokratische Mitte zurück? Diese Frage muss nicht nur die Union beantworten.

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