Flüchtlingsfrage:Wir dürfen uns nicht an Heidenau gewöhnen

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Dass Tausende Menschen übers Meer, den Balkan und die Alpen nach Deutschland kommen, ist ein ungeheures Kompliment für dieses Land.

Kommentar von Detlef Esslinger

Wieder ein Ort, den bisher kaum jemand kannte, wieder ein Ort, bei dessen Nennung man vorerst an Hass, Dummstolz und Mob denken wird. Heidenau bei Dresden ist jetzt ein Begriff. Wie Freital. Wie Tröglitz. Wie Vorra. Erschreckend sind ja nicht allein die Vorgänge vom Wochenende, die Parolen, die Böller, all die verletzten Polizisten. Erschreckend ist, dass die Republik offenkundig vom Mob durchzogen ist, dass der mal hier, mal dort seine Fratze präsentiert - und ganz gewiss demnächst in einem Ort, dessen Bürgermeister noch nicht ahnt, dass er ihn bald in der Tagesschau zu verteidigen hat.

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Es sind beklemmende Bilder: Im sächsischen Heidenau eskaliert die Fremdenfeindlichkeit - die zweite Nacht in Folge.

Deutschland wird derzeit mit Problemen konfrontiert, die jenseits seiner Grenzen entstanden sind und zwischen denen es nur eine Gemeinsamkeit zu geben scheint: Sie finden gleichzeitig statt. Aber in der Flüchtlings- wie auch in der Griechenlandkrise geht es nur zum einen Teil um das, was konkret zu tun ist. Zwar sind die handfesten Dinge in beiden Fällen jeweils die drängendsten, die zu entscheiden sind: Wo bringt man die Flüchtlinge unter? Sind in der Unterkunft wenigstens genügend Toiletten? Bekommt Griechenland noch einen Kredit? Was muss das Land dafür tun? Zum anderen steht bei der Bewältigung solcher Probleme immer auch Deutschland als solches unter Beobachtung. Und es ist bemerkenswert, wie unterschiedlich dieses Land auftritt und wahrgenommen wird, je nachdem, um welche der beiden Krisen es geht.

In Heidenau zeigt der Mob seine Fratze. Er traut sich das.

Im Drama um Griechenland steht Deutschland im Ruf, zwar zur Solidarität bereit zu sein, aber nur zu seinen Bedingungen. Wer dem Land Merkels und Schäubles grundsätzlich zugeneigt ist, wirft ihm vor, permanent als Streber, als Besserwisser aufzutreten. Wer ihm noch nie traute, nimmt das infame Spiel mit den Andeutungen bereitwillig wieder auf und konstruiert Kontinuitäten von Hitler bis zur Gegenwart. Ironischerweise bedient die Bundesregierung solche Haltungen ausgerechnet dadurch, dass sie - wie all ihre Bonner und Berliner Vorgänger - aus der Geschichte gelernt haben will. "Dem Weimarer Kult der Entscheidung setzte die Bundesrepublik die Orientierung an Sachlogik und vernünftiger Steuerung entgegen", so hat der Politologe Herfried Münkler das deutsche Regierungsprinzip beschrieben; vor Ausbruch der Griechenlandkrise übrigens.

Deutschland löst Aversionen aus, wenn seine Repräsentanten nur in Zahlen argumentieren, nicht aber in Gesten des Mitgefühls. Warum zeigt sich nie ein Minister in Berlin mal beim Griechen? Warum hält die Kanzlerin zum Beispiel keine Rede an einer Universität in Südeuropa?

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:Rechte Gewalt: Was muss der Staat unternehmen?

Die Bilder aus Heidenau machen betroffen: ein rechter Mob, der Nazi-Parolen skandiert, Menschen, die Böller, Flaschen und Steine gegen Polizisten werfen - weil 250 Flüchtlinge in dem sächsischen Ort einquartiert werden sollten. Wie soll der Staat auf Ausbrüche rechter Gewalt reagieren?

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Zugleich handelt es sich bei Deutschland ganz offensichtlich um den beliebtesten Besserwisser der Welt. Wohin wollen denn, trotz all der Heidenaus, all der Freitals, die meisten Flüchtlinge, die den Mördern daheim entkommen sind? Nach Italien, nach Polen, nach Russland gar? Im Grunde ist die Massenflucht übers Meer, den Balkan und die Alpen ein ungeheures Kompliment. In Mazedonien sagte dieser Tage ein Flüchtling einem Reporter, oberste Regel sei, sich in keinem Land auf der Route die Fingerabdrücke nehmen zu lassen, "erst in Deutschland".

Bei internationalen Konferenzen gibt es immer wieder Angst vor Deutschland und seiner ökonomischen Stärke. Im Alltag sind es diese Stärke und das darauf beruhende innere Gleichgewicht seiner Bewohner, weshalb so viele Verzweifelte in diesem Land ihre Arche vermuten. Im Umgang mit den Ankommenden zeigen die meisten Deutschen jene Empathie, die sie in jeder Wirtshausdebatte über Griechenland zumindest gut verbergen. Die Frage ist, wie lange das hält. Innenminister Thomas de Maizière konstatiert nicht nur eine "gewaltige Welle von Hilfsbereitschaft", sondern unter dem Eindruck von Heidenau eben auch einen "Anstieg von Hass, Beleidigungen und Gewalt".

Es ist ja eins schlimmer als das andere: der Mob, der meint, ein Mehrheitsempfinden zu verkörpern und gegen die Flüchtlinge demonstriert - und der Mob, der anonym Unterkünfte anzündet. Schon mal vom Dorf Niederstedem gehört? Eben. Als in Vorra, Bayern, und in Tröglitz, Sachsen-Anhalt, leer stehende Heime niedergebrannt wurden, erschrak noch das ganze Land. Das Haus in Niederstedem in der Eifel hingegen war bewohnt, als Unbekannte vor zehn Tagen dort Feuer legten; die Flüchtlinge waren nur gerade nicht daheim. Das Land nahm jedoch kaum Notiz. Aus einer gewissen Gewöhnung heraus? Weil man sich kaum jedes Mal von Neuem entsetzen kann?

Dies wäre nicht nur das Ärgste, was die Deutschen sich, ihrem Land und dessen Ruf antun könnten (um den sie sonst stets besorgt sind). Sie würden dem Mob einen Triumph bescheren.

© SZ vom 24.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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